Leila Koivunen: Visualizing Africa in Nineteenth-Century British Travel Accounts (= Routledge Research in Travel Writing; 2), London / New York: Routledge 2009, XVI + 351 S., ISBN 978-0-415-99001-1, GBP 70,00
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Fernreisen erleben trotz Wirtschaftskrise einen Boom, und das nicht nur als Pauschalangebote. Das Interesse an der Welt und an globalen Zusammenhängen wird auch als historische Kategorie entdeckt. Gerade das Untersuchungsfeld der "Entdeckungsreisen" bietet Einblicke in Begegnungen von Europäern mit der Welt - als Reisende, als Leser von Reiseberichten, als Besucher von Dioramen, Ausstellungen und Museen. An der Erforschung von Reisezeugnissen und ihrer Rezeption arbeiten Vertreter von Disziplinen (Literaturwissenschaft, historisch orientierte Geografie und Ethnologie, Wissenschafts-, Sozial und Ideengeschichte) zusammen, die erst nach der Entstehung des Untersuchungsgegenstands voneinander abgegrenzt wurden. Leila Koivunens Dissertation fügt sich in dieses transdisziplinäre Forschungsfeld unter dem entscheidenden Aspekt der Visualisierung ein. Anhand von Berichten britischer Reisender untersucht sie, wie der afrikanische Kontinent und seine Bewohner im späteren 19. Jahrhundert dargestellt wurden - vor Ort (in Zeichnungen und Fotografien) ebenso wie in verschiedenen Bildveröffentlichungen 'zu Hause'.
Koivunen begründet ihre Beschränkung auf die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts mit zwei ineinandergreifenden Tendenzen: Zum einen hätten technologische Fortschritte erst zu diesem Zeitpunkt einschneidende Interventionen der Europäer in Afrika ermöglicht. Zum anderen hätte der industrialisierte Massenkonsum die Reiseergebnisse mit Hilfe neuer Drucktechnologien an eine breitere interessierte, aber zunehmend vorurteilsbehaftete Öffentlichkeit gebracht. Koivunen untersucht die konkreten Entstehungsprozesse von Illustrationen zu Reiseberichten, in denen sie die Basis für "the distorted and stereotyped imagery of Africa" (4) sieht.
Sie greift etablierte Forschungsansätze auf und verortet ihre Arbeit grundsätzlich in einer Tradition der Imagologie Afrikas. Mit der postkolonialen Wende der 1980er Jahre habe die Kunstgeschichte dieses - zuvor eher aus schriftlichen, 'offiziellen' Quellen konstruierte - Gebiet für sich entdeckt. Das Themen- und Methodenrepertoire der kulturgeschichtlichen Auseinandersetzung mit europäisch-außereuropäischen Begegnungen sei so um ein wichtiges Element erweitert worden: Der Abbildungscharakter visueller Darstellungen werde zunehmend kritisch hinterfragt, indem Autoren und Konstruktionsmacht in den Blick genommen werden. Aus der 'Geschichte des Buches' gewinnt Koivunen die Grundlagen für eine umfassende Betrachtung der technischen und sozialen Abläufe des Publikationsprozesses. Aus der postkolonial beeinflussten Geschichtswissenschaft übernimmt sie die beiden zentralen Kategorien für ihre Deutung des Umgangs mit 'dem Fremden': Familiarisierung (oder vertraut-machende Annäherung) und Distanzierung. Dabei kritisiert sie die Sprachzentrierung der postkolonialen Geschichts- und Literaturwissenschaft und weist auf kunsthistorische Verwendungen der Ideen von Familiarisierung und Distanzierung in Bildmaterial hin. Koivunen betont (in Auseinandersetzung mit einer Äußerung des Kulturhistorikers Peter Burke): "[...] language is no more neutral than pictures in conveying ideas and events." (9) Allerdings verfolgt sie die hier angedeutete Korrelation zwischen Darstellungsformen nicht weiter, sondern wendet sich allein dem Bildmaterial zu.
Koivunen untersucht 17 zwischen 1853 und 1890 publizierte Berichte von 13 britischen Reisenden. In zwei getrennten Abschnitten behandelt sie archivalische und publizierte Quellen zu den beschriebenen Reisen im Hinblick auf die Bildproduktion auf der Reise und auf den Illustrationsprozess zurück in Europa.
Im ersten Kapitel werden die epistemologischen Voraussetzungen des zeichnerischen und fotografischen "Blicks auf Afrika" thematisiert. Die Reisenden griffen, so Koivunen, auf ein soziokulturell vorgegebenes Deutungsrepertoire zurück: Afrika erschien als Ort wirtschaftlichen Potenzials, als Objekt einer Zivilisierungsmission, als wissenschaftliche Aufgabe oder als eine Art 'Abenteuerspielplatz'. Dann stellt sie dem Ideal visueller Dokumentation die realen Probleme der Bildherstellung auf Reisen entgegen. Materialmangel, persönliche Unzulänglichkeiten und Schwierigkeiten mit dem Klima oder den Darstellungsobjekten beschränkten die dokumentarische Praxis auf Reisen. Koivunen schließt diesen ersten Teil mit einer Reflexion über die Auswahl der Bildinhalte, die immer nur einen kleinen Ausschnitt der Erfahrung wiedergeben konnten. Sie betrachtet das stets auf europäische visuelle Konventionen zurückgreifende Bildmaterial als aktiv konstruierte Vereinfachung, die ebenso familiarisierende wie distanzierende Elemente enthalte.
Im zweiten Teil beleuchtet Koivunen die Produktion der veröffentlichten Illustrationen in Europa. Vor allem Abbildungen in Büchern erweckten beim europäischen Lesepublikum den Eindruck, an der 'Augenzeugenschaft' der Reisenden teilzuhaben. Doch bereits in der Auswahl der zu reproduzierenden Fotos und Zeichnungen begann ein Transformationsvorgang. Auch die technischen Bedingungen der Reproduktion führten zu erheblichen Veränderungen des Materials. Koivunen schreibt den so konstruierten Bildern die Funktion zu, das Unbekannte epistemisch erfassbar zu machen. Wiederum entdeckt sie sowohl Tendenzen zur Familiarisierung (indem Darstellungen z.B. vervollständigt oder 'korrigiert' wurden) als auch zur Distanzierung (z.B. von den als besonders 'naturnah' oder 'exotisch' präsentierten Afrikanern und Afrikanerinnen). Alle an der Buchherstellung Beteiligten produzierten ein Afrika als "wilderness controlled" (196).
Im Schlusskapitel fasst Koivunen ihre Erkenntnisse abstrahierend zusammen: Der Konstruktionscharakter der Illustrationen entstehe durch drei entscheidende Vorgänge: 1. die zunehmende Dekontextualisierung der Bilder, 2. eine Tendenz zur Vereinheitlichung und 3. inhaltliche Zensur. Alle veröffentlichten Illustrationen seien vorrangig aus dem Kontext der Herkunftskultur der Reisenden und Illustratoren zu erklären. Dabei würden Familiarisierung und Distanzierung keineswegs einheitlich oder gar geplant eingesetzt. Ihr ständiges Zusammenspiel ebenso wie ihre Widersprüche trügen aber bis heute zur Reduktion der Welt auf "the West and the Rest" (211) bei.
Koivunen löst ihr Titelversprechen eines Einblicks in die Visualisierungspraktiken britischer Afrikareiseberichte, wenn auch nur für die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts, ein. Überzeugend verbindet sie die Bildproduktion in Afrika mit den Illustrationsvorgängen in Europa zu einem fortgesetzten Konstruktionsprozess.
Der Leser gewinnt dabei allerdings den Eindruck, der Konstruktionscharakter der visuellen Darstellungen sei nur als Problem zu werten, das in der Verarbeitung hin zur stereotypisierenden Buchillustration zunehme. Geht Koivunen, trotz ihres eigenen Hinweises auf die Unmöglichkeit einer voraussetzungslosen Darstellung, davon aus, dass es eine voraussetzungslose Wahrnehmung in einer 'authentischen' Begegnung gibt? Aus einer konstruktivistischen Perspektive müssten kulturell geprägte Voraussetzungen eigentlich schon auf der Ebene der Wahrnehmung und keineswegs nur als Negativfaktor berücksichtigt werden. Kritisch anzumerken ist auch, dass Koivunen anzunehmen scheint, die Beziehung zwischen der Reisepraxis und ihrer sprachlichen Darstellung sei klar. Nur so ist z.B. zu erklären, dass sie zur Erläuterung politisch-praktischer Hintergründe der Reisen wiederholt auf Frank McLynn verweist. Der lehnt seine durchaus spannend zu lesende, aber eher populäre Erzählung von den 'Pionierleistungen' in der Erschließung Afrikas sprachlich eng an die Berichte der 'Entdecker' an und zeigt keinerlei Bewusstsein für konstruktivistische Brechungen.
Diese Bemerkungen sollen jedoch Koivunens Verdienst nicht schmälern. Sie hat einen überzeugenden und anregenden Beitrag zur aktuellen interdisziplinären Debatte über die Geschichte der europäischen Begegnung mit Afrika vorgelegt.
Anke Fischer-Kattner