Patrick Schollmeyer: Das antike Zypern. Aphrodites Insel zwischen Orient und Okzident (= Zaberns Bildbände zur Archäologie), Mainz: Philipp von Zabern 2009, 112 S., ISBN 978-3-8053-3831-8, EUR 24,90
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Die Erforschung der Insel Zypern und ihrer kulturellen Vergangenheit galt lange Zeit als ein Randgebiet in der griechischen Archäologie. Neueste Veröffentlichungen verdeutlichen jedoch immer mehr das sehr spezialisierte Forschungsfeld, das Zypern für Archäologen wie Historiker darstellt. Das hier anzuzeigende Buch führt in die wechselhafte Vergangenheit der Insel ein und präsentiert die vielfältigen Spuren, die die verschiedenen Kulturen dort hinterlassen haben. Auf der Basis neuester Forschungsergebnisse vermittelt der Autor ein umfassendes Bild der unterschiedlichen Fremdeinflüsse, die die multikulturelle Entwicklung auf Zypern begründeten, und zwar von der ägäischen Bronzezeit bis in das Zeitalter der Renaissance. Die wichtigsten archäologischen Zeugnisse aus den verschiedenen Epochen werden durch zahlreiche Farbaufnahmen illustriert: sie zeigen Skulpturen, Schmuck und Mosaiken, spüren den Überresten römischer Villen und byzantinischer Basiliken nach. Der Untertitel "zwischen Orient und Okzident" verdeutlicht einen wesentlichen Aspekt der Zypernforschung: Durch die Lage der Insel an einem Schnittpunkt wichtiger Handelswege im östlichen Mittelmeerraum profitierten ihre Bewohner von kulturellen Einflüssen aus dem griechischen, kleinasiatischen, syrischen und ägyptischen Raum, die sie aufgriffen und in vielen Aspekten des alltäglichen und religiösen Lebens umsetzten.
Zur Einführung in die archäologische Erforschung befasst sich das erste Kapitel mit der Entdeckungsgeschichte des antiken Erbes der Insel (8-15). Im Vergleich mit dem griechischen Mutterland ist Zypern erst spät ins Blickfeld der Archäologie gerückt. Schollmeyer zufolge erklärt sich dies zum Teil mit der "Zwitterstellung der kyprischen Kultur zwischen Orient und Okzident" (13). Zudem boten Griechenland und Italien dem aufkommenden Tourismus des 20. Jahrhunderts größere Attraktionen. Zu den schillernden Persönlichkeiten, die als Pioniere die Archäologie auf der Insel vorantrieben, gehörten Männer wie der amerikanische Konsul Luigi Palma di Cesnola und der Regierungsbeamte Max Ohnefalsch-Richter. [1] Entscheidende Bedeutung für die Feldforschung kam den schwedischen Grabungen zu, die 1929 begannen. [2] Seit der Unabhängigkeit der Insel im Jahre 1960 befasste sich neben anderen vor allem Vassos Karageorghis in zahlreichen Publikationen mit den antiken Funden der Insel. Die jüngsten Forschungen auf der Insel zeugen von internationalem Interesse: englische, französische, amerikanische und deutsche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind an Grabungen beteiligt.
Auf Zypern finden sich erste Siedlungsreste aus dem Chalkolithikum (3900-2500 v.Chr.) Die Herkunft dieser ersten Bewohner lässt sich nicht mehr bestimmen. Zu Recht warnt Schollmeyer vor allzu weitreichenden Hypothesen in diesem Zusammenhang. Bereits in prähistorischer Zeit war die Insel wegen ihrer günstigen Lage als Knotenpunkt im Seeverkehr des östlichen Mittelmeers begehrt, ferner aufgrund ihrer fruchtbaren Ebenen und der Kupfererzvorkommen, die seit dem 3. Jahrhundert v.Chr. bekannt waren. Diese führten dazu, dass Zypern in der Bronzezeit einen enormen wirtschaftlichen Aufschwung erlebte, da die ägyptischen, anatolischen, mesopotamischen und ägäischen Nachbarn an den Rohstoffen zur Bronzeherstellung interessiert waren. Schon im 2. Jahrhundert v.Chr. bildeten sich Stadtkönigtümer wie Enkomi oder Kition. Einwanderungswellen der Mykener (ca. 12. Jahrhundert v.Chr.) und der Phönizier (seit dem 9. Jahrhundert v.Chr.) prägten den Städtebau und das Kunsthandwerk.
In archaischer Zeit (ab etwa 750 v.Chr.) blühten die Stadtkönigtümer unter den drei Bevölkerungsgruppen der Eteokyprer, der Griechen und der Phönizier erneut auf. Die ausführlich vorgestellten Funde aus den Nekropolen von Salamis und Tamassos legen davon ein beredtes Zeugnis ab (28-34). Seit dem 6. Jahrhundert v.Chr. unterstanden die Stadtkönige dem persischen Großkönig, verfügten aber über eine relative Unabhängigkeit. Über die inneren Strukturen der Städte ist nichts bekannt, so dass die Frage nach syrisch-kanaanitischen oder hellenischen Traditionen letztlich offen bleiben muss. Zu Recht betont Schollmeyer, dass die Vielfältigkeit der kyprischen Kunst nicht mit den politischen Ereignissen (beispielsweise den wechselnden Oberherrschaften) erklärt werden darf: "Die Vermittlung fremder Formelemente erfolgte unabhängig von politischen Einflussnahmen und oft auch nicht in direkter Übernahme" (42). Besonders im Kult zeigt sich das Zusammenspiel der verschiedenen Kulturen: Inschriften aus dem Apollonheiligtum in Idalion zeigen, dass die dort beheimatete Gottheit sowohl mit dem phönizischen Reschef wie dem griechischen Apollon assoziiert wurde, somit von beiden Bevölkerungsgruppen verehrt werden konnte. Eine überregionale Bedeutung kam dem Aphroditeheiligtum von Alt-Paphos mit seinem heiligen Stein zu.
Mit dem Ionischen Aufstand (500-494 v.Chr.) erhoben sich auch die kyprischen Städte (mit Ausnahme von Amathous) gegen den Perserkönig. Die Ursachen dafür sind unbekannt; Schollmeyer wendet sich gegen die in der früheren Forschung beliebte Annahme eines Konflikts zwischen "freiheitsliebender" griechischer Welt und "despotischem" Osten (47). Die Niederschlagung des Aufstands lässt sich auch im archäologischen Befund, zum Beispiel in Paphos, fassen. In den Perserkriegen standen die kyprischen Könige wieder auf persischer Seite. Auch spätere athenische Versuche, in Zypern Fuß zu fassen, blieben längerfristig erfolglos.
In hellenistischer Zeit (59-67) geriet die Insel unter die Kontrolle der Ptolemäer. Der ptolemäische (wie auch später der römische) Statthalter residierte in Nea Paphos und war gleichzeitig Hohepriester der Aphrodite, für die ein gewaltiger Tempel nach alexandrinischem Vorbild errichtet wurde. Insgesamt lässt sich in der kyprischen Tempelarchitektur jedoch wenig hellenistischer Einfluss nachweisen.
In der römischen Kaiserzeit kam es nach dem Erdbeben 76/77 n.Chr. zu einem Urbanisierungsschub, dem viele Siedlungen, vor allem Salamis, das typische Aussehen römischer Städte mit Amphitheater, Theater, Stadion, Gymnasium, Bädern verdankten. Die architektonischen Reste aus Salamis, Kourion, Amathous und Soloi werden ausführlich vorgestellt (69-86). Auffällig sind in Salamis die Hinweise auf christliche Bilderstürmer: Den paganen Statuen im Gymnasium wurden die Köpfe entfernt, in den Thermen überstrich man mythologische Mosaikszenen mit Kalk oder mauerte sie zu. Im so genannten "Haus des Eustolios" in Kourion wiederum findet sich ein epigraphisches Zeugnis, das Christus erwähnt; das Gebäude könnte einem christlichen Kultverein gehört haben. In Nea Paphos, einst Sitz des Statthalters, ist von den öffentlichen Gebäuden nur wenig erhalten. Umso eindrucksvoller sind die Mosaikfunde in den Wohnbauten (86-94). Die so genannte "Villa des Theseus" wird aufgrund ihrer aufwändigen Anlage und ihres reichen Dekors als Sitz des Statthalters gedeutet. Dafür spricht nach den Ausgräbern auch, dass sich hier eine lateinische Inschrift befunden hat, was in Zypern selten der Fall ist. Insgesamt weist das Dekor auf Vorbilder aus dem östlichen Mittelmeerraum, so aus Alexandria und den Städten Kleinasiens sowie der syrischen Küste.
In der Spätantike prosperierte die Insel bis ins 7. Jahrhundert unter römisch-byzantinischer Herrschaft. Mit der tetrarchischen Verwaltungsorganisation wurde Zypern eine eigene Provinz unter einem Konsul. Nach einem Erdbeben verlegte man die Hauptstadt unter Constantius II. nach Salamis, das den Namen Constantia erhielt. Das Christentum hatte schon mit den Reisen des Paulus die Insel erreicht. In der Spätantike erlangten die Kirchenhäupter Zyperns die Autokephalie von Antiocheia, die das Konzil von Ephesos wie auch Kaiser Zenon im 5. Jahrhundert anerkannten.
Ab dem 7. Jahrhundert wurde die Insel immer häufiger Opfer arabischer Übergriffe. Die byzantinische Obrigkeit ließ den Kaisertempel in Nea Paphos zu einer Festung umbauen. Ein Aufschwung erfolgte nochmals im 10. und sollte bis ins 12. Jahrhundert andauern, nachdem Nikephoros II. (963-969) die völlige Kontrolle über Zypern wiedererlangt hatte. Diese Blüte schlug sich in zahlreichen Kirchen- und Klosterbauten nieder. Während der Kreuzzüge gewannen die fränkischen Lusignans 1192 die Herrschaft über die Insel, wodurch der Einfluss der katholischen Kirche neben die Orthodoxie trat. 1489 übernahmen die Venezianer die Insel, 1573 folgten die Osmanen.
Die Stellung Zyperns zwischen den verschiedenen Kulturen steht im Mittelpunkt von Schollmeyers Werk. Die Bewohner verstanden es, "diesen Standortvorteil [. . .] unter Vermeidung allzu engstirniger ethnischer, sprachlicher oder religiöser Abgrenzung zu ihrem eigenen Vorteil zu nutzen [...]" (107). Der heutigen politischen Situation wird, vielleicht etwas plakativ, die Antike gegenübergestellt, denn "die kyprischen Gesellschaften der Antike können mit Recht als gelungene Beispiele einer etablierten 'Interkulturalität' bei gleichzeitiger Ausprägung eigener Werte und Formen gelten" (ebd.). Ob dies wirklich der Fall war, müsste genauer anhand der zur Verfügung stehenden archäologischen, epigraphischen, ikonographischen und literarischen Quellen überprüft bzw. differenziert werden.
Während das Werk mit zahlreichen Illustrationen ein gutes Bild der zyprischen Kunst und Architektur vermittelt, bleibt die Darstellung der historischen Ereignisse und archäologischen Forschungsergebnisse eher oberflächlich. Dies ist sicher der Ausrichtung auf ein breites Publikum zuzuschreiben, dennoch kommen einige wichtige archäologische Befunde und historische Eckdaten zu kurz: z.B. die chalkolithischen Siedlungen wie Chirokitia und Lemba (16-17), die vorrömischen Heiligtümer und Siedlungen von Nea Paphos und Kourion, Euagoras I. von Salamis und dessen Rolle im Perserreich (47, 49), ebenso die Eroberung der Insel durch die Ptolemäer (57-59), die nur angedeutet wird. Die komplexen Vorgänge der Eingliederung in das römische Reich im 1. Jahrhundert v.Chr. erfahren ebenfalls keine tiefgehende Darstellung (68). Schließlich fehlt ein Hinweis auf den großen jüdischen Aufstand unter einem Artemion auf Zypern 116 n.Chr., der zu schweren Verwüstungen vor allem in Salamis führte. Durch das Fehlen von weiterführenden Fußnoten bei Zaberns Bildbänden ist es dem Autor zudem nicht möglich, dem Leser zusätzliche Informationen zu den archäologischen Grabungen zu geben und diese wissenschaftlich einzuordnen.
Die Zeittafel im Anhang vereinfacht jedoch das Verständnis der sehr komplexen Chronologie zyprischer Geschichte und das ausführliche Literaturverzeichnis (thematisch und topographisch angelegt) bietet dem interessierten Leser einen guten Einstieg in weiterführende Studien.
Insgesamt legt Schollmeyer einen schön bebilderten Band über Zyperns Kunst und Kultur vor. Der weit gespannte zeitliche Horizont zwingt zweifellos zu einer gewissen Oberflächlichkeit im Einzelnen. Eine leicht verständliche, aber dennoch umfassende Geschichte Zyperns aus altertumswissenschaftlicher Perspektive bleibt somit weiterhin ein Desiderat. Dafür bietet das Werk einen gut lesbaren Einstieg in die kulturellen Entwicklungen der Insel.
Anmerkungen:
[1] S. Rogge: Raubgräber oder Forscher? Archäologische Aktivitäten auf Zypern im 19. Jahrhundert, in: Dies. (Hrsg.): Begegnungen. Materielle Kulturen auf Zypern bis in die römische Zeit, Münster 2007.
[2] Veröffentlicht in: The Swedish Cyprus Expedition. 4 Bände, Stockholm/Lund 1934-1972.
Anna Kieburg