Matthias Meinhardt: Dresden im Wandel. Raum und Bevölkerung der Stadt im Residenzbildungsprozess des 15. und 16. Jahrhunderts (= Hallische Beiträge zur Geschichte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit; Bd. 4), Berlin: Akademie Verlag 2009, 699 S., ISBN 978-3-05-004068-4, EUR 79,80
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Meinhardts voluminöses Werk ist als Dissertation in Halle entstanden, wobei zahlreiche Publikationen des Autors zum Themenfeld "Dresden als Residenz" seit 1997 erkennen lassen, dass das Werk auf einen relativ langen Erarbeitungszeitraum zurückblicken kann. Dies ist sicher nicht zuletzt dem Umstand geschuldet, dass der Verfasser intensiv mit und aus den Quellen gearbeitet hat. Das Quellenverzeichnis der Arbeit weist dies eher mit Understatement aus, wenn hier nur die Bestandsgruppen genannt werden. Jeder, der sich selbst schon mit Stadt- und Handwerksgeschichte beschäftigt hat, wird jedoch die Arbeit zu würdigen wissen, die hinter Meinhardts ausführlichen Darlegungen und Diagrammen zu Einwohnerzahlen und Neubürgeraufnahmen, zu Innungsbeständen und zur Auswertung von Steuerlisten steht.
Im Fokus der umfangreichen Studie stehen dabei drei Begriffe, die der oben genannte Titel bereits anführt: Residenz, Raum und Bevölkerung (dazu 19-24). Sie umreißen zwei inhaltliche Ziele der Arbeit (12): Zum einen geht es dem Verfasser darum, den Wandel des Stadtbildes sowie von sozialen, wirtschaftlichen und politischen Strukturen Dresdens im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit darzustellen; zum anderen soll innerhalb dieses Gesamtprozesses den Auswirkungen der Residenzbildung auf die Stadt besonderes Augenmerk gewidmet werden.
Der Text beginnt mit einer knappen Einleitung (11-29), die Begriffe, Quellen und Methoden umreißt und auch auf Teile der Forschungslage eingeht, indem der Kenntnisstand für Dresden selbst sowie teilweise auch für die Forschung zu Residenzen im deutschsprachigen Raum dargestellt wird. Die stadtgeschichtliche Literatur findet man dagegen eher in den folgenden beiden Teilen eingearbeitet. Denn die Studie ist in zwei große Abschnitte gegliedert:
Der kürzere Teil (30-114) ist dem Raum gewidmet und geht der Entwicklung der Stadtanlage Dresdens bis in die Zeit um 1600 nach. Behandelt werden hier die Befestigungen, die Viertelgliederung, die Entwicklung des Straßennetzes, die Sakraltopographie und ihre Veränderungen im Gefolge der Reformation, aber auch die Lage und Entwicklung der zentralen städtischen Einrichtungen und Gebäude (etwa des Rathauses, der Kaufhäuser etc.), das Schulwesen, die Vorstädte und der städtische Grundbesitz außerhalb der Stadt. Anhand der vom Kurfürsten dekretierten Eingemeindung der rechts der Elbe gelegenen Stadt Altendresden (der heutigen Neustadt) im Jahr 1549 sowie der sukzessiven Ausweitung der Zahl fürstlich-höfischer Bauten ab 1550 wird die räumliche Dimension der Residenzbildung besonders plastisch.
Im Hauptteil seiner Studie (115-578) widmet sich Meinhardt den Veränderungen wirtschaftlicher und sozialer Strukturen Dresdens in den angesprochenen beiden Jahrhunderten. Er beginnt mit der Ermittlung der Bevölkerungsgröße, wobei hier (115-124) ebenso wie am Beginn des Abschnitts zur Vermögensverteilung (188-192) ausführlich methodische und Quellenprobleme diskutiert werden und so auch Position zur stadtgeschichtlichen Forschung bezogen wird. Nach der Bevölkerungsgröße widmet sich der Verfasser zunächst dem Bürgerrecht, den Bedingungen seines Erwerbs und der dabei in Dresden üblichen Praxis, bevor er die Nachweise über Neubürgeraufnahmen hinsichtlich der Migrationsräume und der Berufsstruktur der Bürger auswertet. Diese beiden Bereiche werden auch durch zahlreiche Karten im Anhang illustriert.
Im Anschluss folgt der bereits angesprochene Abschnitt zur Vermögensverteilung, die anhand von fünf verschiedenen Steuerverzeichnissen behandelt wird. Allerdings beschränkt sich der Autor hier allein auf eine Darstellung nach der Dezilenmethode. Diese bietet sicher viele Vorteile (dazu 190f.), nicht zuletzt den der Vergleichbarkeit mit anderen Städten. Aber ohne eine ergänzende Darstellung der sozialen Zusammensetzung der einzelnen Dezilen bleibt die Analyse eher blass und als - vorerst - einzige Erkenntnis, dass sich die Konzentration des Vermögens in Dresden im Untersuchungszeitraum leicht abschwächte (209). Zwar wird im folgenden Kapitel zu den verschiedenen Berufsgruppen immer wieder auf die Dezilen zurückgegriffen, aber für den Leser ist beispielsweise erst mit Meinhardts Feststellung am Ende des zweiten Teiles (545) und in der Zusammenfassung (575) erkennbar, dass der Adel in Dresden immer mehr Spitzenpositionen in Bezug auf die Vermögenshierarchie einnahm.
Es schließt sich der längste Abschnitt des zweiten Teiles an, in dem der Verfasser detailliert auf das Dresdner Innungswesen und zahlreiche Wirtschaftssektoren eingeht, die sowohl zünftische Handwerke wie freie Gewerbe und Berufe umfassten. Für die etwa 40 Innungen, die um 1600 in Dresden nachweisbar waren, und etliche weitere Berufsgruppen wertet Meinhardt dabei seine Erhebungen zum Erwerb des Bürgerrechts und zur Vermögensstruktur noch einmal spezifisch aus und geht ausführlich auf Regelungen der Innungsordnungen zwischen Lehrlingsaufnahme und Kampf gegen Störerei ein. Behandelt werden bei Meinhardt aber eben auch die Vermögens- und Berufsstruktur von Bürgermeistern und Räten, die soziale Position der Geistlichkeit, die Situation von Tagelöhnern und Gesinde etc.
Ein Exkurs zum Zusammenhang von Karriere und Residenzbildung, in dem drei Dresdner Beispiele für bürgerliche Karrieren bei Hof behandelt werden, schließt diesen Hauptteil der Studie ab. Es folgen eine knappe Zusammenfassung und ein umfangreicher Anhang, der neben Quellen- und Literaturverzeichnis auch Orts- und Personenregister, eine Systematik der Berufe und Erwerbstätigkeiten sowie die angesprochenen Karten und etliche Abbildungen enthält, die die räumliche Entwicklung des Dresdner Stadtgebietes auch in zeitgenössischen Darstellungen und Modellen dokumentieren.
Der Verfasser hat hier, darauf wurde schon eingangs abgehoben, eine außerordentlich quellengesättigte Studie vorgelegt, die in vielen Details das Wissen über Dresden und seine Entwicklung im angesprochenen Zeitraum bereichert. Trotzdem überzeugt das Buch hinsichtlich seines methodischen Vorgehens und seiner Schlussfolgerungen in Bezug auf den Zusammenhang von Stadtentwicklung und Residenzbildung nicht völlig. An mehreren Punkten nimmt der Autor meines Erachtens die Theorie der Residenzstadt zu einfach für die Realität, zieht er die Residenzbildung vorschnell als einzige Erklärung für Veränderungen heran. Dies geschieht etwa hinsichtlich der Diversifizierung von Handwerk und Gewerbe im 16. Jahrhundert. Meinhardt formuliert hier, dass sich die Berufsstruktur "im wesentlichen aus dem Prozess der Residenzbildung" erkläre (176, ähnlich 233f.). Ein Nachweis der Beeinflussung der Berufsstruktur durch die Residenzstadtfunktion gelingt dem Autor mit seinen Quellen und seinem methodischen Vorgehen jedoch nur an wenigen Punkten (479f., 487, 504). Die Tatsache, dass eine Diversifizierung von Berufen in vielen frühneuzeitlichen Städten ein genereller, über lange Zeit beobachtbarer Prozess ist, wird dagegen nicht erwähnt.
Dies führt auf ein weiteres Manko der Studie: Die Wertigkeit vieler Einzelbeobachtungen, ihre Relevanz innerhalb der beschriebenen Prozesse bleibt oft deshalb im Dunkeln, weil es fast nirgendwo im vorliegenden Band den Versuch eines Vergleichs, einer Einordnung der Dresdner Situation gibt (siehe aber 209). Dass der Autor die stadtgeschichtliche Forschung für Sachsen nur selektiv wahrgenommen hat, kommt der Studie insgesamt nicht zugute, auch manchen wichtigen Text der stadtgeschichtlichen Forschung zu Residenzen wird man im zweifellos beeindruckenden Literaturverzeichnis vermissen. Hier schlägt sich ein eigentlich überholtes Verständnis von Stadtgeschichte nieder, nach dem die dargestellte Stadt als weitgehend abgeschlossenes Universum behandelt wurde. Eine Darstellungsweise, von der die jüngere Stadtgeschichtsforschung unter dem Einfluss vergleichender Ansätze, der Theorie der zentralen Orte und später der Urbanisierungsforschung doch mehr und mehr abgerückt ist. Es ist klar, dass gerade eine so quellenorientierte Studie nicht zu viele Bezugsebenen ansprechen kann und dass die Ermittlung vieler Befunde für eine Stadt damit nicht gering geschätzt werden soll. Aber wenn der Autor Dresden noch nicht einmal in Bezug zu anderen sächsischen Städten oder anderen deutschen Residenzen stellt, weil er den Vergleich als "nachrangig" (116) betrachtet, dann bleiben eben viele seiner Befunde oberflächlich und geben Gemeinplätze wieder.
So konstatiert er etwa einen Verlust bürgerlicher Autonomie im Zuge der Residenzbildung auch für Dresden (114, 577), bedenkt aber nicht, dass viele der Eingriffe des Landesherrn von der Ratsbestätigung bis zur Finanzkontrolle, die er für seinen Fall konstatiert, so oder ganz ähnlich auch in anderen größeren sächsischen Städten im 15. und 16. Jahrhundert stattfanden. Hier hätte erst ein Vergleich Abstufungen erkennen lassen und damit ermöglicht festzuhalten, ob das Ausmaß der fürstlichen Zugriffe nun im Falle Dresdens wirklich größer war und damit ein Spezifikum der Residenzstadt wiedergibt. Eine Berücksichtigung von wirtschaftsgeschichtlichen Studien hätte zur Einordnung des Niedergangs von Teilen des Dresdner Handwerks beigetragen usw. Zu diesem methodischen Zugang hätte man sich einen ähnlich reflektierten Umgang gewünscht wie zu anderen konzeptionellen Aspekten der Studie.
Katrin Keller