Daniel Gossel: Medien und Politik in Deutschland und den USA. Kontrolle, Konflikt und Kooperation vom 18. bis zum frühen 20. Jahrhundert (= Transatlantische Historische Studien; Bd. 35), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2010, 449 S., ISBN 978-3-515-09293-7, 56,00
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Daniel Gossel verfolgt in seiner Studie über Medien und Politik in Deutschland und den USA eine doppelte Fragestellung. Zum einen will er die "historischen Entwicklungspfade sowie die strukturellen und kulturellen Rahmenbedingungen klären, die das Spannungsverhältnis von Medien und Politik in beiden Gesellschaften auf der Makroebene auszeichnet" (14). Zum anderen verdeutlicht er diese Entwicklungspfade und Rahmenbedingungen anhand zweier zentraler Akteure dieses Feldes, namentlich Alfred Hugenberg und William Randolph Hearst, die im Untersuchungszeitraum nicht nur die größten Medienkonzerne ihres Landes kontrollierten, sondern diese Medienimperien auch gezielt für ihre politische Interessen instrumentalisierten. Der Autor sieht dabei Medien und Politik in einem ebenso beständigen wie unauflösbaren Spannungsverhältnis verstrickt, da "politische Entscheidungsmacht" und "massenmedialer Thematisierungsmacht" (15) im Laufe des 'langen 19. Jahrhunderts' zunehmend einander bedurften und potenzierten. Nicht nur Kontrolle und Lenkung, sondern Konflikt und Kooperation charakterisieren laut Gossel das Verhältnis von Politik und Medien in der Moderne.
Allerdings bezieht sich der Autor hierbei nahezu ausschließlich auf Druckmedien und insbesondere auf Zeitungen und legt seiner Untersuchung damit eine konventionelle Mediendefinition zu Grunde. Der Aufbau der Arbeit ist in den ersten beiden Kapiteln chronologisch, wobei auch in dieser Erzählung der Erste Weltkrieg als Wasserscheide fungiert. Anschließend nehmen die beiden erwähnten und klar separierten Fallstudien das letzte Drittel des Textes ein.
Die auffallend unterschiedliche Entwicklung der thematisierten Medienlandschaften auf beiden Seiten des Atlantiks erklärt Gossel mit unterschiedlichen Ausgangspositionen. Während im deutschen Raum die Publizistik ebenso wenig wie die Politik ohne die alles beherrschende Frage nach einem Nationalstaat gedacht werden kann, hatte sich an der amerikanischen Ostküste bereits lange vor der nationalstaatlichen Unabhängigkeit eine florierende Presse etabliert. Mehr als das: Ohne diese Presse kann die Unabhängigkeitsrevolution nicht erklärt werden. Während der anschließenden, langsamen Ausbildung institutionalisierter, politischer Parteien entwickelte sich ein "partisan journalism" (27), dessen Überwindung letzten Endes den Durchbruch eines modernen Pressewesens in den USA kennzeichnet. Die Gründung des United States Government Printing Office im Jahre 1861 wird von Gossel als eine mögliche Zäsur innerhalb dieser Entwicklung angeführt.
In Deutschland bzw. Preußen gestalteten sich die Dinge ganz anders. Vor allem die rigiden Zensurbestimmungen standen hier einem pluralistischen, kritischen und unabhängigen Pressewesen lange im Wege. Während in den USA die Pressefreiheit mit dem First Amendment bereits seit 1791 als Verfassungsrecht verankert war, brachte in Deutschland erst das Reichspressegesetz von 1874 Besserung. Freilich wurde damit die Zensur keineswegs aufgehoben. Der Übergang von einer restriktiven Vorzensur zu einem Justizsystem, das sich erst nach der Veröffentlichung in Gang setzen konnte, änderte jedoch die Arbeitsgrundlagen für den sich ausbildenden Journalistenberuf. Gossel kommt in diesem Zusammenhang auch immer wieder auf die Rolle der sich ebenfalls in diesem Zeitraum etablierenden Nachrichtenagenturen zu sprechen, die ein wichtiges Element für die Analyse der strukturellen Rahmenbedingungen konstituieren, um die es ihm hier zu tun ist. Auch Admiral Alfred von Tirpitz erkannte, dass politische Großvorhaben spätestens gegen Ende des 19. Jahrhunderts nicht mehr ohne publizistische Unterstützung zu verwirklichen waren und gründete kurz nach seinem Amtsantritt ein eigenes Nachrichtenbüro als Unterabteilung im Reichsmarineamt.
In beiden Ländern spiegelte sich das politische System in der Presse wieder. Den Zusammenhang zwischen institutionalisierten und klar voneinander abgrenzbaren politischen Parteien einerseits und einer modernen Presselandschaft einerseits hat bereits Jörg Requate zum argumentativen Zentrum seiner Studie "Journalismus als Beruf" von 1995 gemacht. [1] Gossel stößt, völlig zu Recht, ins selbe Horn, bietet damit aber kaum neue Erkenntnisse. Das die so genannten Penny Papers, deren erstes die 1833 gegründete New York Sun war, die Presselandschaft durch Einzelverkauf auf der Straße und neue Darstellungsformen wie Interview und Reportage mit bis heute zu beobachtenden Folgen revolutionierten, darf in keiner Darstellung zur Presse des 19. Jahrhunderts fehlen. Trotzdem muss es inzwischen als ebenso bekanntes Faktum gelten, wie die Tatsache, dass die Kommerzialisierung der Presse in Deutschland erst sehr viel später einsetzte. Zwar entstand bereits 1855 die erste Anzeigenagentur, volksnahe Massenblätter erschienen allerdings erst ab den 1870er Jahren, wobei vor allem der Berliner Lokal-Anzeiger von 1883 Beachtung verdient.
In Deutschland setzt sich erst langsam die Erkenntnis durch, "dass man mit einem an Fakten orientierten, objektiveren und daher tendenziell überparteilichem Journalismus eine breitere Leserschaft erreichen" (123) konnte. Dabei spielte auch die relativ schwache wirtschaftliche Basis der deutschen Presse eine wichtige Rolle. Insgesamt führte die späte Meinungsfreiheit in Deutschland zu einer "nachverlagerte[n] Politisierung der Presse" (124), als in USA bereits die Reduzierung politischer Inhalts anstand. Wie Gossel überzeugend ausführt, waren die Zeitungen in Bezug auf ihre Nachrichtenauswahl allerdings alles andere als ungebunden. Ohne den Rückgriff auf Nachrichtenagenturen und Materndienste war auch im 19. Jahrhundert keine überregionale Berichterstattung mehr möglich. Im 20. Jahrhundert potenzierte sich diese Entwicklung weiter, wie Gossel im 3. Kapitel darstellt. In der Weimarer Republik war "mindestens die Hälfte der Zeitungen [...] in der einen oder anderen Form stark abhängig und konnte über die zu veröffentlichenden Zeitungsinhalte nicht mehr autonom entscheiden" (199). So schließt Gossel den chronologisch angelegten Teil der Untersuchung mit dem Befund, dass sich sowohl in Deutschland als auch in den USA "einige Merkmale des politischen Systems im Mediensystem widerspiegelten" (242), in Deutschland jedoch weit engere Beziehung zwischen Medien und Parteien oder konkret zwischen Journalisten und Politikern bestanden.
Diese Grundtendenz dient den Ausführungen zu Hugenberg und Hearst als Grundlage. Hugenberg, einer der großen Totengräber der ersten deutschen Republik, überzeugte als Mediengestalter laut Gossel wesentlich "mehr durch Organisationssinn und Sachkenntnis als durch kommunikative Fähigkeiten" (249). Der Autor sieht den tatsächlichen Einfluss Hugenbergs auf die öffentliche Meinung jedoch weit weniger in dessen Publikationsorganen selbst verankert, als in den diversen Nachrichtendiensten, die ebenfalls zu seinem gigantischen Konzern zählten. Trotzdem relativiert Gossel die Rolle Hugenbergs auffallend. Zwar gesteht er ihm durchaus einen indirekten Einfluss auf Eliten und Journalisten zu; das Bild des die Diskussionen aus dem Hintergrund steuernden Intriganten wird hier aber gerade nicht gezeichnet. Ganz im Gegenteil: "Die These von Hugenbergs beherrschendem Einfluss auf die öffentliche Meinung lässt sich nicht länger aufrechterhalten." (291)
Das Kapitel zu Randolph William Hearst, der "den amerikanischen Journalismus [revolutionierte] und den bis dahin größten Medienkonzern der USA auf[baute]" (296), bietet weniger Überraschungen. Inwieweit dieser, wie so oft zu lesen steht, durch sein unersättliches Interesse an exklusiven Nachrichten sogar den spanisch-amerikanischen Krieg von 1898 mit auslöste, kann auch Gossel nicht klären. Stattdessen resümiert er gut nachvollziehbar, wie Hearsts journalistisches Selbstverständnis dazu führte, dass peu à peu die Zeitung selbst zur Nachricht werden konnte.
Gossels Studie ist eigentlich ein Überblickswerk, auch wenn es sich, unverständlicherweise, nie als solches zu erkennen gibt. Die Entwicklung in Deutschland und den USA ist gut dargestellt und thematisiert die nach bisherigem Verständnis wichtigsten Tendenzen. Alles in allem bleibt sie relativ konventionell; vieles dürfte auch Laien bereits bekannt sein. So ist die Stärke der hier anzuzeigenden Publikation kaum in neuen Beiträgen zur Forschung zu sehen, als vielmehr in einem soliden Handbuchcharakter, das durch die äußerst sorgfältige Fußnoten und einem Personen und Medieninstitutionen anführenden Register zur weiterer Lektüre einlädt.
Anmerkung:
[1] Jörg Requate: Journalismus als Beruf. Entstehung und Entwicklung des Journalistenberufs im 19. Jahrhundert. Deutschland im internationalen Vergleich, Göttingen 1995.
Volker Barth