Christian Holtorf: Der erste Draht zur Neuen Welt. Die Verlegung des transatlantischen Telegrafenkabels, Göttingen: Wallstein 2013, 352 S., ISBN 978-3-8353-1242-5, EUR 39,90
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Die vielleicht eindrücklichste Information des hier anzuzeigenden Bandes erhält der Leser im Anschluss an die 280 Seiten des Hauptteils. Denn im Anhang seiner Geschichte des ersten Drahts zur neuen Welt, also des ersten transatlantischen Seekabels von 1858, listet Christian Holtorf alle 400 zwischen dem 10. August und dem 11. September gekabelten Nachrichten in chronologischer Reihenfolge auf. Dabei wird sehr deutlich, dass dieses ausgesprochen kurzlebige technische Wunderwerk nahezu ausschließlich mit sich selbst beschäftigt war. Die Telegraphisten in Irland bzw. der vorgelagerten Insel Valentia und Neufundland, wo die beiden Kabelenden aus dem Ozean herausragten, mussten fortdauernd nachfragen, ob die versendeten Telegramme tatsächlich ankamen, und forderten sich gegenseitig immer wieder auf, die Übertragungsgeschwindigkeiten zu verändern, um die Empfangs- und Verständnischancen zu vergrößern.
Die Selbstreferenzialität des ersten Atlantikkabels ist jedoch lediglich ein Nebenprodukt dieser 2009 an der Humboldt-Universität eingereichten und für die Publikation überarbeiteten Dissertation. Holtorf instrumentalisiert das Kabel als Symptom vielfältiger historischer Prozesse, die sich in ihm buchstäblich bündelten. Ihm geht es um eine Wissens-, Wissenschafts- und Kulturgeschichte der waghalsigen Verlegung, der letztendlich gescheiterten Kommunikation und der mit ihr verbundenen Hoffnungen. Das insbesondere in zeitgenössischen Beschreibungen immer wieder in den Vordergrund gerückte "Risiko" und die allgemeine "Heldenhaftigkeit" des Unterfangens werden jedoch weniger kritisch dekonstruiert als vielmehr zum Ausgangspunkt der Erzählung gemacht (9, 17).
Holtorf fragt "nach den kulturellen Hintergründen der Entwicklung der elektrischen Telegrafie und der Probleme, zu deren Lösung sie beitragen sollte" (17). Ihm geht es um die Metaphern und Vorstellungen, die sich um das Kabel rankten. Dieses finanzielle "Himmelfahrtskommando" (23), welches ein gewaltiges Investitionskapital gewinnlos ins Meer versenkte und damit selbst einen Cyrus Field an den Rande des Ruins trieb, beruhte auf eigenen Diskursen und generierte wiederum neue, die - so Holtorf - sowohl die Inangriffnahme als auch das Scheitern des Unternehmens erklären können. So habe erst der "epistemologische Übergang von der Strömungslehre zum Beschleunigungsdiskurs" (19) das Kabel überhaupt möglich gemacht.
Um dies zu zeigen, gliedert der Autor seine Darstellung in drei thematische Blöcke, die sich zeitlich sowohl vor als auch nach dem Verspleißen der beiden Kabelenden auf hoher See verorten. Der erste Abschnitt ist den "Konstruktionen des Raums" gewidmet und thematisiert in erster Linie bereits bestehende Vorstellungen von "imaginäre[n] und physische[n] Geografien" (34), die notwendig waren, um das Riesenprojekt überhaupt zu imaginieren. Das Meer musste sich von einer Barriere zu einer Verkehrsfläche verwandeln, bevor die "Telegraphie der Träume" den "Raum der Ströme" - so die Titel zweier Unterkapitel - für sich erobern konnte. Utopische Vorstellungen eines sich anbahnenden Weltfriedens und eines Zeitalters der globalen Völkerverständigung spielten dabei eine wichtige Rolle. Die technischen Probleme und praktischen Unwegsamkeiten, die im gleichen Jahr nur allzu deutlich wurden, als das Unterseekabel zu den Kanalinseln Guernsey und Jersey brach, wurden in der Öffentlichkeit demgegenüber weit weniger reflektiert. Holtorf weist überzeugend nach, dass das erste transatlantische Kabel keine Zäsur in der Geschichte der Kommunikationstechnik bezeichnet. Es handelte sich eher um eine "Verlängerung der an Land bereits bestehenden Kommunikationsverbindungen" (86) als um eine revolutionäre technische Erfindung.
Den zahlreichen Beispielen von "geografische[n] Fiktionen und symbolische[n] Zuschreibungen" (131) werden im zweiten Abschnitt "Aporien der Beschleunigung" gegenübergestellt. Hier interessiert sich der Autor für "Messung, Standardisierung, und Regulierung zeitliche Standards" (132). 1858 erwies sich die erhoffte Beschleunigung der interkontinentalen Kommunikation durch das Kabel als kurzfristige Illusion. Der Faktor Zeit wurde für das 4.000 Kilometer lange Kabel zum beständigen Problem, auf das nicht nur beim Senden und Empfangen, sondern bereits beim Abspulen und Auslegen durch die riesigen Schiffe HMS Agamemnon und U.S.S. Niagara Rücksicht zu nehmen war. Laut Holtorf avancierte die "Bremsmechanik zur wichtigsten Vorrausetzung für die erfolgreiche Beschleunigung der globalen Kommunikation" (165).
Im dritten Teil ("Ökonomien der Globalisierung") untersucht Holtorf, wie das "energetische Weltbild auf die Felder des Sozialen und Politischen übertragen" wurde (210). Die Ausführungen zu Eisenbahn, Handel, Militär und Nachrichtenwesen in der Mitte des 19. Jahrhunderts bringen jedoch wenig Neues. Zwar ist es durchaus interessant, wie viel größer die öffentliche Aufmerksamkeit für das Kabel in den USA als in England war, die anschließenden Beschreibungen des Deckengemäldes des Kapitols in Washington und dessen Allegorien der Telegrafie tragen jedoch kaum zum eigentlichen Erkenntnisinteresse bei. Dies nicht zuletzt deswegen, weil im anschließenden Unterkapitel ("Organisation der Körper") die Argumentationslinie ziemlich unvermittelt wieder abbricht.
"Die Veränderung physiologischer Metaphern in der Kommunikationstechnik ist sowohl in der Medizin- und Wissensgeschichte als auch in der Geschichte der Telekommunikation bisher unbeachtet geblieben." (210) Von dieser Überlegung ausgehend präsentiert Holtorf dem Leser lange Exkurse zu Nerven, Röhren, Wasserleitungen und Blutkreisläufen bis hin zu Rohrpost und Eisenbahn. So habe die Vorstellung von Strom als elektrischem Fluidum zu einer "falschen Anwendung" des Kabels geführt (195); allgemein kennzeichne sich das Unterfangen durch einen Übergang "von einer Hydrodynamik zirkulierender Flüssigkeiten zu einem neurophysikalischen Funktionalismus schneller Informationsvermittlung" (275). Im Laufe der Lektüre erweisen sich solche Argumente jedoch als wenig trennscharf. So wurde das Atlantikkabel sowohl mit dem Blutkreislauf als auch mit einem Nervensystem verglichen, obwohl beides doch auf durchaus unterschiedlichen physischen und physiognomischen Ansichten beruhte (260). Zuletzt muss Holtorf eingestehen, dass sich "kein scharfer Übergang von Metaphern" beobachten lässt (277).
So bleibt am Ende der Darstellung der anfangs geschilderte Eindruck einer selbstreferenziellen Kommunikation. Holtorf hat eine große Fülle an Informationen zusammengetragen, die hier durchaus anschaulich aufbereitet werden. Den Spezialisten der einzelnen Themen wird dabei allerdings kaum Neues begegnen. Vor allem aber verliert sich im Laufe der Lektüre der rote Faden der Erzählung. Zu unvermittelt wechseln die Themen innerhalb der einzelnen Abschnitte. Die interessant beschriebenen "Modelle des Rauschens" und "Organisation der Körper" fügen sich thematisch nicht in die größeren Abschnitte ein. Wie beim ersten Atlantikkabel kommen die erwarteten Informationen auch hier alles in allem zu sprunghaft und zerstückelt.
Volker Barth