Rezension über:

Ursula Kern (Hg.): Blickwechsel. Frankfurter Frauenzimmer um 1800, Frankfurt/Main: Waldemar Kramer 2007, 332 S., ISBN 978-3-7829-0573-2, EUR 26,00
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Rezension von:
Ulrike Ludwig
Institut für Geschichte, Technische Universität, Dresden
Redaktionelle Betreuung:
Andreas Fahrmeir
Empfohlene Zitierweise:
Ulrike Ludwig: Rezension von: Ursula Kern (Hg.): Blickwechsel. Frankfurter Frauenzimmer um 1800, Frankfurt/Main: Waldemar Kramer 2007, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 9 [15.09.2010], URL: https://www.sehepunkte.de
/2010/09/14734.html


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Ursula Kern (Hg.): Blickwechsel

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Ausstellungskataloge besitzen ebenso wie Ausstellungen selbst eine wichtige Mittlerfunktion zwischen historischer Forschung und einem historisch interessierten Publikum. Ganz in diesem Sinne ist der von Ursula Kern bearbeitete und betreute Begleitband "Blickwechsel. Frankfurter Frauenzimmer um 1800" nicht nur Katalog einer inzwischen längst wieder abgebauten Ausstellung im Historischen Museum Frankfurt am Main, sondern auch als eigenständige Publikation gedacht. Die Idee zur Ausstellung war Ergebnis einer 2002 durchgeführten Tagung (Frauen in der Stadt - Frankfurt im 18. Jahrhundert) und der dort geführten Diskussionen, wobei Ausstellung und Katalog einerseits den Charakter einer ersten thematischen Bestandsaufnahme besitzen und andererseits auch versuchen - und dies ist sicherlich nicht selbstverständlich - bestehende Forschungsdesiderate schließen zu helfen. Dies zeigt sich am eindrücklichsten an der Einrichtung einer am Museum angesiedelten Projektgruppe zur Erforschung der Bedeutung von Frauen im Frankfurter Handwerk.

Thematisch sollten Ausstellung und Begleitband eine zweifache Perspektive aufnehmen: Zum einen galt es, Frankfurter Frauen in den Fokus zu rücken - zum anderen war daran zugleich der methodische Anspruch geknüpft, die präsentierten Objekte in einem geschlechtergeschichtlichen Kontext zu deuten und vielleicht Vertrautes unter neuen Vorzeichen zu präsentieren. (16 f.) Mit den einzelnen Objekten sollten gesellschaftliche Räume markiert werden, die die Vielfalt der Aspekte weiblichen Lebens in Frankfurt aufzeigen. Eines weiblichen Lebens freilich, das sich überlieferungsbedingt vor allem als das von Frauen der Mittel- und Oberschicht herausstellt, denn aus ihren Hinterlassenschaften speisen sich in der Masse die Objekte im Fundus des Museums. An den Bedingungen der Überlieferung ausgerichtet ist auch der zeitlichen Rahmen, der in etwa die Phase zwischen 1750 und 1820 umfasst.

Der Katalog ist dreigeteilt: Nach einer knappen thematischen Einführung der Herausgeberin sind in einem ersten Teil acht Essays versammelt. Daran schließt der wiederum in acht Themenbereiche gegliederte Katalogteil an. Am Ende finden sich - sicherlich nicht selbstverständlich - in einem dritten Teil Glossar, Literaturverzeichnis und Konkordanz der erwähnten Personen.

Ziel der acht Essays ist es thematisch einzuführen und verschiedene Panoramen der Frankfurter Stadtgeschichte zu entfalten. Zugleich werden hier punktuell auch Diskussionsstränge der aktuellen Forschung aufgenommen. Den Auftakt macht ein Beitrag von Heide Wunder, der in gewisser Weise zugleich Einführungscharakter für die folgenden Texte besitzt. Ausgehend von Fragen des Bürgerrechts werden grundsätzliche soziale Strukturen des Bürgertums in Frankfurt am Main vorgestellt und die mit dem sozialen Status der Familien verknüpften ganz unterschiedlichen Partizipationschancen von Frauen um 1800 aufgezeigt.

Die weiteren Beiträge konzentrieren sich dann auf einzelne Aspekte, die exemplarisch für übergreifende Themenfelder stehen: So werden im Text von Claudia Alexandra Schwaighofer am Beispiel der Grafikerin Maria Katharina Prestel Ausbildungsmöglichkeiten und -wege für Künstlerinnen skizziert. Barbara Dölemeyer untersucht privatrechtliche Handlungsräume von Frauen und betont dabei, dass entsprechende rechtliche Regelungen in erster Linie dem Schutz der Familie als Vermögens- und Erwerbsgemeinschaft dienten. Inge Kaltwasser betont hingegen am Beispiel der rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten von Eheverträgen die Rechtsgleichheit zwischen den Eheleuten, die in gleicher Weise geschäfts- und erbfähig wie auch erbberechtigt waren. Allerdings stützt sich dieser Befund auf ein schmales Sample von nur sechs Eheverträgen. Inwieweit die vorgestellten Ergebnisse verallgemeinerbar sind, wird daher erst die weitere Forschung zeigen können.

Jutta Taege-Bizer gibt anschließend einen systematisierenden Aufriss religiöser Frauenräume in Frankfurt, wobei die Frauenräume hier weniger auf einen Raumbegriff im Sinne des spatial turn abheben, sondern ein stark an einzelne Personen geknüpfter Überblick über Vertreterinnen katholischen, lutherischen und reformierten Glaubens geboten wird. Henrik Halbleib und Ursula Kern präsentieren in ihrem Werkstattbericht erste Ergebnisse des erwähnten Projektes über die Rolle von Frauen im Frankfurter Zunfthandwerk. Sie stellen heraus, dass Ehefrauen, Witwen und Töchter in viel größerer Zahl als bisher vermutet auch noch im 18. Jahrhundert einer eigenständigen Erwerbsarbeit im Handwerk nachgingen, wenngleich sie dies nur konnten, weil sie jeweils an der Handwerksgerechtigkeit ihrer Ehemänner, Väter, Brüder etc. partizipieren konnten.

Joachim Eibach beschäftigt sich mit der Rolle von 'Unterschichtenfrauen' in Subsistenzprotesten am Frankfurter Beispiel des Aufruhrs gegen die Sachsenhäuser Bäcker von 1801. Er arbeitet hierbei prägnant die 'geschlechtsspezifischen' Komponenten des Protestes und Formen der Selbstinszenierung der Frauen vor Gericht heraus und betont, dass vor allem der Topos der Mutter, die um das Brot ihrer Kinder kämpft, erfolgsversprechend war. Auch Antje Freyh greift in ihrem Beitrag auf Gerichtsakten zurück und beleuchtet aus einer klassisch frauengeschichtlichen Perspektive die Situation von Mägden in der Frankfurter Judengasse, die des Kindsmordes verdächtigt wurden. Dabei betont sie, dass für die 'Ohnmachtserfahrung' vor Gericht weniger die Frage bedeutsam war, ob die Beklagte Jüdin oder Christin war. Vielmehr müsse von einer in erster Linie frauenspezifischen Erfahrung gesprochen werden.

Insgesamt ist zu betonen, dass die Essays durchweg dem Anspruch gerecht werden, sowohl auf dem Fundament wissenschaftlichen Arbeitens aufzuruhen als auch informativ, allgemein verständlich und gut lesbar zu sein. Dies trifft mindestens in gleicher Weise auf den eigentlichen Katalogteil zu: Er besticht durch seine ausgesprochen gelungene Aufbereitung und Präsentation von konzise formulierten und prägnant zusammenfassenden Einführungen, die der Präsentation von einzelnen Objektgruppen vorangestellt sind, und lädt auf reichlich 200 Seiten zu einer eingehenden Betrachtung und vor allem zu einer informativen Lektüre ein, die manche Überraschung bereit hält. So werden etwa - um nur ein Beispiel unter vielen herauszugreifen - anhand des Gontardischen Puppenhauses Praktiken der Mädchenerziehung aufgezeigt und zugleich eindrucksvoll belegt, wie entsprechendes 'Lehrmaterial' innerhalb des Familienverbandes weitergegeben wurde. (262 f.)

Insgesamt liefern Essay- und Katalogteil einen soliden und mit Blick auf die präsentierten Objekte ausgesprochen vielgestaltigen und imposanten Überblick zu verschiedenen Themenfeldern städtischen Frauenlebens in Frankfurt. Der Fokus liegt allerdings deutlich auf der Präsentation einzelner Frauen. Der eingangs formulierte Anspruch einer Neu- und Umdeutung von scheinbar Vertrautem unter geschlechtergeschichtlicher Perspektive kommt hingegen nur bedingt zur Geltung. Von diesem Einwand abgesehen ist aber als Gesamtbilanz herauszustellen, dass der Band ohne Frage interessante und anregende Einblicke in die Lebenswelten der Frankfurter Frauen um 1800 eröffnet.

Ulrike Ludwig