Rezension über:

Allen E. Jones: Social Mobility in Late Antique Gaul. Strategies and Opportunities for the Non-Elite, Cambridge: Cambridge University Press 2009, XI + 379 S., ISBN 978-0-521-76239-7, USD 90,00
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Rezension von:
Conrad Walter
Eberhard Karls Universität, Tübingen
Redaktionelle Betreuung:
Mischa Meier
Empfohlene Zitierweise:
Conrad Walter: Rezension von: Allen E. Jones: Social Mobility in Late Antique Gaul. Strategies and Opportunities for the Non-Elite, Cambridge: Cambridge University Press 2009, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 10 [15.10.2010], URL: https://www.sehepunkte.de
/2010/10/17459.html


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Allen E. Jones: Social Mobility in Late Antique Gaul

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Die Erforschung von Überlebens- und Erfolgs-Strategien der senatorischen Aristokratie in Gallien wurde in den letzten Dekaden maßgeblich vorangetrieben, wozu unter anderem Ralph Mathisen einen großen Beitrag geleistet hat. [1] Allen Jones widmet sich nun in seiner Monographie, unter enger Bezugnahme auf Mathisen, den Gesellschaftsschichten unterhalb der senatorischen 'Upper-Class'. Gerade auch im Hinblick auf die in der Forschung unterschiedlich diskutierte Vorstellung eines "two-tiered model" (15), eines, hier auf religiöse Strategien bezogenen, zweigeteilten Gesellschaftsmodells [2], will Jones der Frage nachgehen, ob sich die 'breite Masse' nicht vielleicht ganz genauso verhalten hat wie die Oberschicht, wenn es um Aufstiegsstrategien ging. Jones stellt dabei von vornherein die Vorstellung eines zweigeteilten Modells in Frage. In seinen Untersuchungen geht er schließlich weit über den kultischen Bereich hinaus und stellt vielmehr ganz generell Wege des gesellschaftlichen Aufstiegs in den Fokus. Den räumlichen und zeitlichen Rahmen für Jones' Untersuchung bilden die Kernbereiche Galliens im 6. Jahrhundert (8), wobei er sich, was wenig überraschen dürfte, im Wesentlichen auf die Zeugnisse Gregors von Tours, des Avitus von Vienne, Venantius Fortunatus und Caesarius von Arles stützt (35ff.). Dass hierbei der Schwerpunkt auf die Werke Gregors gesetzt wird, ist naheliegend.

Zentrales Gliederungsschema des Buches ist eine der Terminologie Gregors nachempfundene vertikale Unterteilung der Gesellschaft in vier Hauptgruppen: Aristokraten, gut- bis mittelständisch situierte Freie (ingenui), mittellose Freie (pauperes) und Sklaven (76). Bevor er sich den Nicht-Eliten zuwendet, diskutiert Jones in Kapitel 3 ausführlich die Methoden der Aristokratie, ihren Status zu erhalten und, wenn möglich, zu verbessern. Hierbei betont er immer wieder, dass Aristokratie nicht als undurchlässige, unumstößlich festgeschriebene Kaste existierte (90), wenngleich die Quellenautoren sich häufig abfällig über Parvenüs äußerten (88). Es sind vor allem drei Hauptstrategien, die Jones für die Aristokratie hervorhebt: die Vergrößerung des eigenen Landbesitzes, allen voran durch vorteilhafte Heirat, Königsnähe, die an Stelle einer imperialen Laufbahn getreten ist, und die kirchliche Karriere. Jones stellt heraus, dass es die Akzeptanz durch die Aristokraten war, die einen Emporkömmling integrierte, nicht etwa ein formeller Akt. Um dies darlegen zu können, präsentiert er bereits hier etliche 'Erfolgsgeschichten' von Aufsteigern. Die Vermischung von Beispielen aus der galloromanisch-senatorischen Aristokratie und aus nicht-romanischen Eliten hätte, auch wenn sich möglicherweise gar kein Unterschied feststellen lässt, einer Erläuterung bedurft. Dafür weicht Jones jedoch in höchst differenzierter Weise von gängigen Deutungsschemata über aristokratisch reservierte Bischofsdynastien und die angebliche Ablehnung gegenüber Nicht-Aristokraten im Episkopat ab (114ff.). Vielmehr stellt er heraus, dass familiäre Traditionen in einzelnen Bistümern endlich waren und eine exponierte Herkunft kein hohes Kirchenamt garantierte. Desgleichen zeigt er zu Recht, dass auch Nicht-Aristokraten eine hohe Wertschätzung erlangen konnten, wenn sie sich in den Augen der Quellenautoren als fähig erwiesen (116ff.).

In seinen Ausführungen über die ingenui, also einer gutsituierten Mittelschicht, kommt Jones zu dem Schluss, dass sie letzten Endes dieselben Erfolgsstrategien verfolgten wie auch die Aristokratie. Im kirchlichen Bereich schafften sie es zwar seltener ins Bischofsamt, machten aber Karriere als Priester oder Äbte. Es bleibt zu fragen, ob diejenigen Äbte, die doch ins Bischofsamt kamen, nicht genau jener Schicht zuzurechnen sind. Jones geht dem jedoch leider nicht nach. Fraglich ist auch, ob bei den häufig wohlhabenden ingenui Asketentum mit anderen, bewusst gewählten Strategien sozialen Aufstiegs genannt werden kann (142ff.).

Auch der sehr inhomogenen Gruppe der (freien) pauperes, deren Tätigkeiten sich vom Kleinbauerntum bis hin zu Bettelei erstreckten, konnte vor allem über den kirchlichen Weg ein Aufstieg gelingen, häufig im monastisch asketischen Bereich (157ff.). Wichtig ist die Bemerkung, dass sie dabei normalerweise auf einflussreiche Förderer angewiesen waren (171). Sklaven fanden ihre Aufstiegsmöglichkeiten im höfischen Umfeld, hier gelangen in Einzelfällen Karrieren bis in die höchsten Positionen, prominent sind die Beispiele des comes Leudast oder der Königin Fredegunde. Auch Statusverbesserungen im Rahmen der Kirche kamen vor (175ff.), leider geht Jones hier jedoch nicht auf eventuelle Dissonanzen mit dem Kirchenrecht ein. Zentral für die gesamte Monographie ist Jones' abschließende Bemerkung, dass die Diskrepanz zwischen Aristokratie und den ingenui viel geringer war als jene zwischen ingenui und pauperes oder gar den servi (179).

Kapitel 5, welches sich mit der Gruppe der Gefangenen in Gallien befasst, bietet erstmals auch einen Einblick in die absteigende soziale Mobilität. Zugleich betont Jones jedoch die Anstrengungen von kirchlicher Seite, Gefangene zu befreien und gesellschaftlich zu rehabilitieren. Es bleibt zu fragen, ob diese Rehabilitation nicht nur als Konstrukt der Quellen besteht. Überzeugend ist seine Beobachtung, dass Kleriker solche Prozesse nutzten, um Abhängigkeitsverhältnisse und damit eine feste Anhängerschaft im 'Prekariat' zu sichern. (210). Dasselbe System lässt sich für die Matrikelarmen beobachten, die niedere kirchliche Aufgaben, aber auch die Verteidigung ihrer Kirche übernahmen (226ff.). Jones geht noch einen Schritt weiter und konstatiert, dass am Ende des 6. Jahrhunderts nahezu jeder Bischof ein schlagkräftiges Unterschichten-Corps zur Hand hatte (241). Ob es sich dabei um eine systematische Milizaufstellung, oder nicht eher um spontane 'support your team'- Aktionen der matricularii handelte, wird nicht ausreichend diskutiert.

Wenngleich die letzten beiden Kapitel der Monographie detaillierten Einblick in die medizinisch-magischen Praktiken und Berufe des spätantiken Galliens bieten, scheinen sie sich nicht ganz stringent ins Gesamtkonzept einzufügen (250ff.). Gerade die Aufstiegschancen der so genannten incantatores erscheinen unbedeutend im Vergleich zu dem übergroßen Raum, der dem Thema Wunder und Magie eingeräumt wird.

Ungeachtet einiger Längen in den letzten beiden Kapiteln bietet Jones einen vielfältigen Einblick in die Gesellschaftsschichten des merowingischen Gallien. Allenfalls wären ein paar statistische Angaben wünschenswert gewesen in Ergänzung zu den vornehmlich einzelfallbezogenen Argumentationsbeispielen. Bemerkenswert sind vor allem seine Beobachtungen zur Durchlässigkeit der gallischen Gesellschaft und der Existenz einer wohlhabenden und selbstbewussten Klasse von Freien, die mehr mit der Aristokratie, denn mit den freien Unterschichten gemein hatte.


Anmerkungen:

[1] Vgl. etwa Ralph Mathisen: The Ecclesiastical Aristocracy of The Fifth Century Gaul: A Regional Analysis of Family Structure. PhD diss. University of Wisconsin, 1979. Ders.: Roman Aristocrats in Barbarian Gaul: Strategies of Survival in the Age of Transition, Austin (Texas) 1993.

[2] Peter Brown: The Cults of the Saints. Its Rise and Function in Latin Christianity, Chicago 1981.

Conrad Walter