Rezension über:

Hubert Fehr: Germanen und Romanen im Merowingerreich. Frühgeschichtliche Archäologie zwischen Wissenschaft und Zeitgeschehen (= Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde; Bd. 68), Berlin: De Gruyter 2010, XVI + 806 S., ISBN 978-3-11-021460-4, EUR 129,95
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Rezension von:
Conrad Walter
Abteilung für Mittelalterliche Geschichte, Eberhard Karls Universität, Tübingen
Redaktionelle Betreuung:
Mischa Meier
Empfohlene Zitierweise:
Conrad Walter: Rezension von: Hubert Fehr: Germanen und Romanen im Merowingerreich. Frühgeschichtliche Archäologie zwischen Wissenschaft und Zeitgeschehen, Berlin: De Gruyter 2010, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 5 [15.05.2011], URL: https://www.sehepunkte.de
/2011/05/17322.html


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Hubert Fehr: Germanen und Romanen im Merowingerreich

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Die Frage nach einer ethnischen Zuordnung sowie der Abgrenzung germanischer und romanischer Identität(en), nach Kontinuität und Katastrophe zwischen spätrömischer und merowingischer Zeit beschäftigt die Forschung bereits seit dem frühen 19. Jahrhundert und hat bis in jüngste Zeit ihre Dynamik nicht eingebüßt. Dabei war gerade die "Germanenforschung" in dem sich formierenden deutschen Nationalstaat des 19. Jahrhunderts, aber auch im Zuge der beiden Weltkriege nicht nur Gegenstand der Wissenschaft, sondern auch Politikum. Den höchsten Grad an politischer Instrumentalisierung dürfte dabei zweifellos das Dritte Reich hervorgebracht haben. [1] In den letzten Jahrzehnten hat die historische Frühmittelalterforschung, nicht nur in Deutschland, einen grundlegenden Reinigungsprozess von tradierten ethnischen Deutungsmustern durchlaufen. Damit einher ging ein Bemühen um differenziertere Sichtweisen, so dass scheinbar feststehende Phänomene wie "Völkerwanderung", "germanische Landnahme" oder "Zivilisationseinbruch" kritischen Analysen und Neubewertungen unterzogen wurden (21ff.). Dass dieser Prozess keineswegs am Ende und möglicherweise seinerseits auch nicht immer frei von politischen Anachronismen ist, hat die Neukonjunktur der 'Katastrophentheorie' in Teilen der angelsächsischen Forschung unlängst aufgezeigt. [2]

In seiner knapp 800 Seiten umfassenden Dissertation thematisiert Hubert Fehr die Problematik, die sich aus der weitgehenden Unterlassung eines solchen Selbstreinigungs- und Reflexionsprozesses in der Frühmittelalterarchäologie, genauer gesagt, der ethnischen Interpretation der Reihengräberforschung in "germanisch" und "romanisch" bis heute ergibt. Den ersten Teil seiner Arbeit widmet Fehr einer Übersicht über den Themenkomplex der Dichotomie zwischen "Germanen" und "Romanen". Er bietet einen breitgefächerten Einblick in die Entstehung jener ethnischen Zuordnungen hinsichtlich antiker Ethnographie (21ff.), moderner Geschichtswissenschaft (42ff.), Linguistik (70ff.) und Anthropologie (97ff.). Der einführende Charakter des ersten Teils legitimiert die überblickshafte Darstellung der Forschungslage, die jedoch stellenweise Fragen zurücklässt und auch eine eigene Stellungnahme des Verfassers mithin vermissen lässt. Eine Überleitung zur eigentlichen Problemstellung der Arbeit erfolgt schließlich aber doch in der Feststellung, dass andere Disziplinen die Vorstellung einer stabilen germanischen, bzw. romanischen Identität überwunden haben, eine solche in der archäologischen Reihengräberforschung aber ungeachtet dessen noch immer vielfach als Grundprämisse gilt (173).

Der zweite, wissenschaftsgeschichtliche Teil nimmt den weitaus größten Raum innerhalb des Werkes ein und bildet seinen eigentlichen Schwerpunkt: Äußerst detailliert schildert Fehr die Geschichte der Reihengräber-Forschung und ihrer ethnischen Interpretation in der Frühmittelarchäologie von ihren Anfängen bis in die jüngste Vergangenheit. Auf der Suche nach nationalen Identifikationsträgern wurden Germanen, Kelten und Romanen von deutscher, aber auch französischer Seite als Gründervölker vereinnahmt. In diesem Sinne wurde auch die ethnische Interpretation von Fundmaterial zum Politikum (177ff.). Trotz einiger mahnender Stimmen (234ff.) setzte diese Praxis sich durch, um im Zuge des 1. Weltkriegs auf deutscher wie französischer Seite einen ersten Höhepunkt propagandistischer Polemisierung zu erreichen (256ff.). Im Zuge eines "explosionsartig" gesteigerten Interesses (301) an germanen-, bzw. volkskundlichen Themen erfuhr die deutsche Reihengräberarchäologie nach dem Krieg trotz nationaler Isolierung einen enormen Aufschwung (299ff.).

Besondere Beachtung verdienen die Kapitel 12 bis 14, in denen Fehr akribisch das Wirken und die ideologische Dienstbarmachung von Archäologen wie Hans Zeiss, Franz Petri, Franz Steinbach und Joachim Werner im Dritten Reich, die Bildung von Forschungsnetzwerken und ihr Engagement für Westforschung und Kunstschutz in den besetzten Gebieten während des 2. Weltkriegs aufarbeitet (352ff.). Anhand zahlreicher Beispiele gelingt es Fehr aufzuzeigen, dass eben jene Netzwerke die Nachkriegszeit unbeschadet überstanden und ihre Protagonisten an lediglich terminologisch bereinigten ethnischen Interpretationsmustern von Grabfunden festhielten (515ff.). Eine kritische Selbstreflexion des Faches erfolgte in dieser Hinsicht trotz Kritik aus dem benachbarten Ausland nicht (528ff.).

Äußerst kritisch betrachtet Fehr die Neuformierung alter Seilschaften und die Übernahme volkstumskundlicher Deutungsmuster in neugegründete Institutionen wie etwa den Konstanzer Arbeitskreis (587ff.). Dass diese auch mit einem Generationswechsel in den 70er Jahren nicht verschwanden, sondern wiederum häufig ohne selbstkritisches Hinterfragen durch die Schüler eben jener Forscherpersönlichkeiten bis in die jüngste Vergangenheit tradiert wurden, zeigt Fehr an vielen Beispielen in den Kapiteln 15 und 16 (601ff.). Dessen Titulierung als "Kontinuität wider besseres Wissen" (658) nimmt ein Fazit bereits vorweg. Allerdings betont Fehr, keine Kontinuität völkisch-nationalsozialistischer Deutungsmuster unterstellen zu wollen. Vielmehr thematisiert er das zähe Beharren auf einem vielfach kritisierten und methodisch fragwürdigen Paradigma (673).

Im dritten und letzten Teil des Buches behandelt Fehr letztlich die Reihengräberfelder selbst und hinterfragt nunmehr thematisch und nicht mehr wissenschaftsgeschichtlich die ethnische Aussagekraft von Indizien wie: Körperbestattung, Orientierung, Waffen- und Fibelbeigaben (725ff.). Dabei zeigt er auf, dass keines dieser Merkmale als Indikator für eine ethnische Zuordnung als "germanisch" tauglich ist, da sie sich gar nicht aus der Germania herleiten lassen (787). Fehr kommt zu dem Fazit, dass es sich bei den Reihengräbern um kulturelle Neuentwicklungen einer sich neu formierenden, militarisierten Gesellschaft an der Peripherie des römischen Reiches und im gallischen Hinterland handelt (788).

Die große Leistung dieses Buches liegt sicherlich in dem sich durch seine Akribie und Beispielfülle auszeichnenden zweiten Teil zur Forschungsgeschichte, der mit langem Atem die Entwicklung der germanisch / romanischen Grabinterpretation, ihre politische Instrumentalisierung und das beharrliche Ignorieren ihrer Kritiker verfolgt. Allerdings bringt jene Akribie auch eine über weite Teile nur sehr zähe Lesbarkeit mit sich, so dass eine konzisere Darstellung im Mittelteil mitunter wünschenswert erschienen wäre. Legt man die wissenschaftsgeschichtliche Aufarbeitung als Hauptanliegen des Autors zu Grunde, fallen auch der recht knappe Überblick und die ebenso knappe Eigenbewertung zum archäologischen Phänomen der Reihengräberfelder nicht stark ins Gewicht. Zu bemängeln ist hingegen, dass bis dahin auf eine Definition derselben verzichtet wird. Nichtsdestotrotz ist Fehrs Werk ein sorgsam recherchierter Forschungsbeitrag und in mancherlei Hinsicht auch eine mutig pointierte Abrechnung mit einem lang etablierten Forschungszweig sowie ganz generell mit den interpretatorischen Möglichkeiten der frühmittelalterlichen Gräberarchäologie.


Anmerkungen:

[1] Vgl. z.B. Uwe Puschner / Heiko Steuer / Oliver Haid: Art. "Völkische Weltanschauung", in: RGA 32 (2006), Sp. 522-538.

[2] Brian Ward-Perkins: The Fall of Rome and the End of Civilization, Oxford 2006.

Conrad Walter