Rezension über:

Stefan Gasser / Katharina Simon-Muscheid (Hgg.): Die spätgotische Skulptur Freiburgs i. Ue. im europäischen Kontext. Akten des Kolloquiums im Museum für Kunst und Geschichte Freiburg (15. - 17. Mai 2008), Fribourg: Société d'histoire du canton de Fribourg 2009, 499 S., ISBN 978-2-9700548-4-9, CHF 55,00
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Rezension von:
Michael Grandmontagne
Birkenfeld
Redaktionelle Betreuung:
Gerhard Lutz
Empfohlene Zitierweise:
Michael Grandmontagne: Rezension von: Stefan Gasser / Katharina Simon-Muscheid (Hgg.): Die spätgotische Skulptur Freiburgs i. Ue. im europäischen Kontext. Akten des Kolloquiums im Museum für Kunst und Geschichte Freiburg (15. - 17. Mai 2008), Fribourg: Société d'histoire du canton de Fribourg 2009, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 12 [15.12.2010], URL: https://www.sehepunkte.de
/2010/12/18423.html


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Stefan Gasser / Katharina Simon-Muscheid (Hgg.): Die spätgotische Skulptur Freiburgs i. Ue. im europäischen Kontext

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Ein Schweizer Nationalfond-Projekt hat es sich zur Aufgabe gemacht, die wenig bekannte, aber doch sehr umfangreiche Produktion "spätgotischer Skulptur Freiburgs im Uechtland im europäischen Kontext" zu untersuchen. Etwa 450 Objekte sind zwischen 1500-1560 in den Werkstätten unter anderem des Hans Roditzer, des Hans Geiler und des Meisters der Großen Nasen (sic!) entstanden. Am bekanntesten dürften aber die Freiburger und Berner Brunnenfiguren sein, die vor allem aus der Werkstatt des Hans Gieng stammen.

Die Ausgangslage des vom Museum für Kunst und Geschichte Freiburg und vom Kunsthistorischen Institut der Universität der Saanestadt angestoßenen Projektes ist entgegen der bekannten Namen allerdings nicht einfach. Denn obgleich der zu untersuchende Bestand der Figuren sich stilistisch als Freiburger Produktion klar zu erkennen gibt, sind die bislang vorliegenden Zuschreibungen und damit auch die kunst-historische Einordnung der Stücke nur bedingt belastbar. Um dieser Situation Herr zu werden, wurde eine Projektgruppe gebildet, für die neben einem Kunsthistoriker und einer Historikerin sinnvollerweise auch ein Restaurator und eine Fotografin gewonnen wurden. Die Bündelung interdisziplinärer Kompetenzen sollte Erträge bringen, zumal die Objekte des Corpus in der Regel gemeinsam begutachtet werden.

Erste Ergebnisse, auch dies ist nachahmenswert, wurden auf einem Kolloquium präsentiert, das, zeitlich die Mitte des Projektes markierend, die Aufgabe hatte, den Stand der Dinge mit den Kenntnissen, die andernorts bereits zusammengetragen wurden, abzugleichen und die eigenen Forschungen unter Umständen neu zu justieren. Die Berichte liegen in dem anzuzeigenden Band vor, dessen Qualität des Druckes, das kleine Format, vor allem aber die bescheidene Abbildungsqualität wohl der raschen Drucklegung zu schulden sind. Der Band stellt also 'nur' eine erste Bestandsaufnahme dar, der sich in drei Abschnitten den Werkstätten, den Werktechniken und den Auftraggebern widmet. [1]

Bislang dienten, so das Fazit des Herausgebers, formale Übereinstimmungen einer bisweilen beliebig wirkenden Konstituierung von Werkgruppen zur Klärung eines persönlichen Œuvres oder der einer Werkstatt. Diese sind jedoch nur von beschränktem Nutzen, zeigen doch beispielsweise die etwa ein Dutzend über Quellen belegten Werke des Hans Gieng kein einheitliches stilistisches Erscheinungsbild, auch nicht, wenn man eine annähernd 40 Jahre dauernde Schaffenszeit (erw. 1525-1562/3) und damit begründbare stilistische Enwicklung in Rechnung stellt. Gleiches gilt für das angeblich 120 Stücke umfassende Œuvre, das der etwas jüngere Hans Geiler (erw. 1513-1534) allein zwischen 1514 und 1527 geschaffen haben soll. Die Lösung hierfür liegt, wie andernorts auch, im Bestehen größerer Werkstätten, in denen Lehrjungen und Gesellen die Aufträge ausführten, während der kunsthistorisch bekannte Name gewissermaßen als Generalunternehmer dafür einstand, dass die Ware fristgerecht und entsprechend der Vereinbarungen geliefert wurde. Noch komplexer wird die Situation, wenn man das bei Hans Roditzer (erw. 1504-1521) 'in Auftrag' gegebene, besser bestellte Retabel aus Hauterive hinzuzieht, das offensichtlich von zwei stilistisch unterscheidbaren Werkstätten gefertigt wurde.

Bei allen Schwierigkeiten der Zuschreibung gilt indes, dass es offenbar ein aus oberrheinischen und schwäbischen Einflüssen (Stefan Roller / Harald Theiss) gebildetes Freiburger Stilidiom gab, das nicht nur bei den heutigen Betrachtern einen hohen Wiedererkennungswert besitzt, sondern auch eine lange Laufzeit besaß. Hier darf man gespannt sein, ob das Projekt für die auch andernorts anzutreffende Corporate Identity (Kunstlandschaft) noch wirtschaftliche, funktions- und mentalitätsgeschichtliche oder gar ästhetische Gründe für dieses im Einzelnen inkohärente, im Gesamten aber homogene Erscheinungsbild benennen kann, zumal erkennbar wird, dass die Bildhauer und Tonbildner (Martin Hirsch), ganz im Gegensatz zu den "kommenden und gehenden Malern" (Verena Villiger), eine rege Werkstättentätigkeit in der Stadt etablieren konnten.

Eine Möglichkeit, die überlieferten Werke zu Gruppen zu bündeln, besteht darin, sich die "Kehrseiten" (Alain Fretz) der Skulpturen näher anzuschauen. Sie können wichtige Informationen zu Materialwahl, Arbeitstechnik und Zeitpunkt der Holzbearbeitung liefern. In spektakulären Fällen lassen sich gar bei zuvor unterschiedlich lokalisierten und datierten Skulpturen Spuren eines einzelnen Hohleisens nachweisen, die belegen, dass die Gruppe aus einer Werkstatt stammen muss (Michael Rief). Letzteres Fallbeispiel betrifft allerdings eine Gruppe von Werken, die dem Ulmer Bildschnitzer Hans Stein um 1470 zugeschrieben wird. Ob sich auch für Fribourg eindeutige werktechnische Spuren finden lassen, wird sich weisen. Der vergleichende Blick auf die Œuvres von Niclaus Weckmann und Tilmann Riemenschneider zeigt jedoch, dass man hier die Erwartungen nicht zu hoch schrauben sollte, lassen sich doch ganz im Gegensatz zur Ulmer Werkstatt bei den Werken aus Würzburg keine technischen Gesetzmäßigkeiten ausmachen. In technischer Hinsicht, so das Fazit, war dort alles möglich (Claudia Lichte und Roland Hahn).

Vielleicht gelänge es über die Fassungen noch Einblick in die Werkstätten zu erhalten. Jedoch belehren uns die aus den Jahren 1416/17 und 1453 überlieferten Visitationsprotokolle der Diözese von Lausanne, dass in vielen Fällen eine Neufassung der Figuren angemahnt wurde, da diese nicht nur schmutzig, sondern auch reparaturbedürftig waren (Hermann Schöpfer). Ob dies an den auch für die einzeln aufgestellten Skulpturen wohl häufiger zu denkenden Akte des Ver- und Enthüllens liegt, ist durchaus denkbar (Johannes Tripps). In einem Falle allerdings trifft dies sicher nicht zu, beanstandeten doch die ersten Visitatoren ein Bildwerk, da es keinerlei Fassung besaß!

Bei einem der Schlüsselwerke des Projektes, dem so genannten Furno-Retabel der Freiburger Franziskanerkirche, lohnte sich hingegen eine eingehende kunsttechnologische Untersuchung, da die Erstfassung noch erhalten ist. Während die Herkunft des Malers der Flügel im süddeutschen Raum vermutet wird, gelten die Skulpturen des Schreins als wichtigste Datierungsanker für das Werk des Hans Geiler. Allerdings schwankt die Datierung zwischen 1509 und 1520. Die Herausgeberin vermag nun aber gute Gründe für eine Datierung zwischen 1515 bis 1518 zu nennen. Damit wäre das Retabel zwar für die Grabkapelle der Familie Furno gestiftet, aber eben nicht zu Lebzeiten des berühmt berüchtigten Jean de Furno (†12.11.1513) entstanden. [2]

Der letzte hier erwähnte Beitrag führt den interdisziplinären Ertrag des Projektes unmittelbar vor Augen, zumal in ihm Funktionen und Motivationen der Stiftungen greifbarer werden. Hier ließen sich weitere Fragestellungen anknüpfen, die im Kolloquiumsband zwar nicht verhandelt wurden, sich aber beim vorhandenen Skulpturenbestand aufdrängen: So darf man, um nur zwei Aspekte zu nennen, weitere Erkenntnisse zu den die städtischen Räume prägenden Brunnenskulpturen erwarten, die wie der Samaritanerin- und der so genannte Kindlifresserbrunnen höchst originelle Bilderfindungen aufweisen. Die Motivation profane Skulpturen in Auftrag zu geben, spiegelt zumindest für Bern die veränderten konfessionellen Vorzeichen. Demnach müsste das Spannungsverhältnis zum katholisch gebliebenen Freiburg und die damit verbundenen Implikationen auf die Skulpturenproduktion wohl auch Gegenstand der endgültigen Publikation werden. Auf diese darf man nun doppelt gespannt sein, da sie als Begleitpublikation einer für Winter 2011/12 avisierten Ausstellung im kantonalen Museum angekündigt ist, die sich der 'Spätgotischen Skulptur Freiburgs im Uechtland' widmen wird.


Anmerkungen:

[1] Im Folgenden werden nicht alle Beiträge erwähnt. Aufsätze finden sich noch von folgenden Autoren: Agnès Cascio / Sophie Guillot de Suduiraut, Dione Flühler-Kreis, Vittorio Natale, Bodo Buczynski, Wolfang Schmid, Kathrin Utz Tremp, Silvia Zehnder-Jörg und Rainer Kahsnitz.

[2] Nach Auskunft des Herausgebers hat eine zwischenzeitlich durchgeführte Dendro-Datierung der Predella ein Fälldatum um 1515 geliefert.

Michael Grandmontagne