Andreas Bihrer / Mathias Kälble / Heinz Krieg (Hgg.): Adel und Königtum im mittelalterlichen Schwaben. Festschrift für Thomas Zotz zum 65. Geburtstag (= Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg. Reihe B: Forschungen; Bd. 175), Stuttgart: W. Kohlhammer 2009, 24 + 438 S., ISBN 978-3-17-020863-6, EUR 37,00
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Der Sammelband Adel und Königtum im mittelalterlichen Schwaben umfasst insgesamt 24 Aufsätze, die sich - den Forschungsfeldern des Jubilars, dem der Band gewidmet ist, entsprechend - insbesondere mit dem Verhältnis von königlicher Zentralgewalt und regionalen Herrschaftsträgern vom Früh- bis ins Spätmittelalter befassen. Geographisch konzentrieren sich die Beiträge auf den deutschsprachigen Südwesten, der in einem diachronen Längsschnitt aus unterschiedlichen Perspektiven in den Blick genommen wird. Vier Gesichtspunkte strukturieren dabei den Inhalt: 1. Grundlagen und Voraussetzungen: Die Alemannia im Frühmittelalter 2. Schwaben und das Reich: Karolinger, Ottonen und frühe Salier 3. Politische und geistige Kräfte im hochmittelalterlichen Schwaben sowie 4. Stadt - Adel - Königtum: Schwaben im späten Mittelalter. Die große Materialfülle und der inhaltliche Reichtum des Bandes können hier jedoch allenfalls in Ansätzen gewürdigt werden.
Den alemannischen Raum im Frühmittelalter nehmen unter anderen Sebastian Brather, Dieter Geuenich und Wolfgang Haubrichs in den Blick. Sebastian Brather geht dabei bis in die Frühgeschichte vor Einsetzen der schriftlichen Überlieferung zurück und untersucht die Merowingerzeit aus archäologischem Blickwinkel. Im Mittelpunkt seines Beitrags steht die Analyse von Bestattungen, die mit Hilfe der Grabbeigaben und der gleichzeitigen Bestimmung des Lebens- und Sterbealters präzise Aussagen über den Status der Bestatteten und insofern über frühmittelalterliche Gesellschaftsstrukturen ermöglichen. Dieter Geuenich nimmt dagegen die schriftliche Überlieferung in den Blick und lotet mit ihrer Hilfe die Frühzeit der alemannischen Geschichte aus. Dabei gelangt er zu dem Ergebnis, dass die als Alamanni bezeichneten Personengruppen erst mit ihrer Unterwerfung unter die Franken und die Eingliederung in die merowingische Reichsorganisation zu Beginn des 6. Jahrhunderts zu einer Einheit und Identität gefunden haben. Wolfgang Haubrichs wendet sich demgegenüber der "germanischen" Aufsiedlung des Landes zwischen Rhein und Vogesen zu und fragt nach den Anteilen, die dabei alemannischen und fränkischen Gruppen zukamen. Indem er die frühmittelalterlichen Orts- und Personennamen des Elsasses analysiert stellt Haubrichs fest, dass die "Integration der Romanenreste der Alsastia" während des 6. und 7. Jahrhunderts nicht erst allmählich begann, sondern bereits weit fortgeschritten war. Eine Reihe von Namen lassen dabei zum einen das fränkische Königtum als Integrationsfaktor erkennen, zugleich ist aber auch ein erheblicher Teil von Personen auszumachen, die anscheinend aus der Francia oder auch aus Burgund stammten.
Schwaben und das Reich im 9. und 10. Jahrhundert untersuchen sodann Alfons Zettler, Felix Heinzer und Hans Werner Goetz. Der Beitrag von Alfons Zettler macht dabei deutlich, dass zur Zeit der Karolinger eine stärkere Bindung der alemannischen Führungsschicht, die insbesondere für die Italienpolitik Karls des Großen und seiner Nachfolger von großer Bedeutung war, an das Königtum auszumachen ist. Der Beitrag von Felix Heinzer behandelt das frühe 10. Jahrhundert. Er stellt dabei den um 940 entstandenen Tropar Cod. 381 der Sankt Galler Stiftsbibliohtek mit dem unter dem Namen Waldrams aufgezeichneten Versus Rex benedicite veni in den Mittelpunkt seiner Ausführungen. Dabei gelingt es ihm in überzeugender Weise, die Entstehung des Gedichts in Zusammenhang zu bringen mit dem von Ekkehard IV. geschilderten Weihnachtsbesuch Konrads I. im Kloster an der Steinach. Die Begegnung zwischen dem König und der Mönchsgemeinschaft, interpretiert er dabei als "eine kontraktartige, auf realer gegenseitiger Leistung beruhende Übereinkunft der Akteure, die in der Situation des Jahres 911 von hoher politischer Bedeutung war." Zeitlich knüpft daran Hans-Werner Goetz an, der die ottonische und salische Historiografie daraufhin untersucht, wie die Zeitgenossen das alemannische Herzogtum wahrgenommen haben. Ausgehend von dem Befund, dass das Herzogtum oft nur am Rande erwähnt wird, gelangt er dabei zu dem Schluss, dass das Amt für die Zeitgenossen bereits selbstverständlich war und insofern nicht weiter reflektiert wurde.
Mit den politischen und geistigen Kräften im hochmittelalterlichen Schwaben befassen sich sodann Joachim Wollasch, Helmut Maurer, Sönke Lorenz, Matthias Becher und Werner Rösener. Die Diskussion um die schon von den Zeitgenossen vielbeachtete Konversion des Markgrafen Hermann von Verona, der sein Grafenamt im Breisgau aufgab, um sich ins Kloster nach Cluny zurückzuziehen, greift Joachim Wollasch auf. Ausgehend von der Chronik Bernolds von Konstanz, der Chronik Bertholds von Reichenau, den Annales Palidenses sowie den cluniazensischen Necrologzeugnissen hebt er hervor, dass Hermann als vere monachus in Cluny aufgenommen worden sei, und deutet den Entschluß zur Konversion vor dem Hintergrund der persönlichen Beziehungen Hermanns zu Abt Hugo von Cluny und Ulrich, dem Prior des Schwarzwaldklosters Zell. Helmut Maurer gelingt es, die bisherige Kenntnis über die Anhänger Heinrichs IV. im schwäbischen Adel zu erweitern, indem er das Zeugnis der um 1100 entstandenen Abschrift der St. Galler Annalen heranzieht und auf die beiden dort im Zusammenhang mit der Eroberung der Leostadt (1083) genannten Namen Ulrichs von Gammertingen und Ulrichs von Kyburg hinweist. Sönke Lorenz unterzieht die Pfalzgrafen von Schwaben in vorstaufischer Zeit einer eingehenden Untersuchung. In diesem Zusammenhang macht er die Ablösung der Pfalzgrafen karolingischen Typs von "Provinzialpfalzgrafen" im späteren 9. Jahrhundert wahrscheinlich, die ihrerseits durch das Herzogtum im 10. Jahrhundert verdrängt wurden. Erst als das salische Königtum wieder unmittelbar auf Schwaben zugreifen konnte, wurde das Pfalzgrafenamt im Auftrag des Königs erneut eingeführt, um die Kontrolle wichtiger Verkehrswege sowie die Aufsicht über Reichsgut und Reichskirchengut in der nördlichen Randzone des Herzogtums Schwaben zu gewährleisten.
Matthias Becher wendet sich schließlich dem auf Herkunft und Geblüt beruhenden adligen Selbstverständnis der Welfen zu. Die Selbstwahrnehmung der Welfen untersucht er vor allem mit Blick auf den Tod Welfs III. und die damit verbundene Zäsur in der welfischen Familiengeschichte - den Übergang des welfischen Erbes auf Welf IV., den Sohn des Markgrafen Azzo aus dem Haus der Otbertiner. Neben der Namengebung nimmt er dabei auch die welfische Hausüberlieferung in den Blick und zeigt, wie Kontinuitäten absichtsvoll konstruiert und mit dem bewußten Verzicht auf die Erinnerung an bestimmte Namen und Personen der Familiengeschichte Besitz und Herrschaftsrechte des eigenen Hauses gesichert werden sollten. Als im 12. Jahrhundert das schwäbische Herzogtum direkt mit dem Königtum der Staufer verbunden war, gewann der staufische Hof für Adel und Ministerialen zunehmende Bedeutung - insbesondere mit Blick auf ihre politischen Handlungsspielräume und sozialen Aufstiegsmöglichkeiten. An diesem Punkt setzt Werner Rösener an und macht deutlich, dass der Hofdienst an weltlichen Fürstenhöfen, wie nicht zuletzt auch am Königshof, "eine wichtige Rolle bei der Entwicklung und Konsolidierung der Ministerialität spielte". Die Stauferzeit markiert einen Höhepunkt in der Geschichte für Reichsministerialität, wobei man in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts bei den königlichen Hofämtern einer Reihe von Reichsministerialen wie den Münzenberg, Bolanden und Pappenheim begegnet, "die für die Hofverwaltung und die Reichspolitik der Staufer eine eminente Bedeutung erlangten." Zugleich unterstreicht Rösener die enge Verbindung zwischen der Ministerialität, dem Hofdienst und der Entfaltung der höfisch-ritterlichen Lebensweise, die eine wichtige Triebkraft des sozialen Aufstiegs darstellten, parallel dazu aber auch der Selbstdarstellung des Fürsten dienten und zudem die gesellschaftliche wie auch die kulturelle Identität eines Fürstenhofes stärkten.
Die zunehmende Dichte von Städten und Stadtgemeinden veränderte den Raum im deutschsprachigen Südwesten nachhaltig. Die Ansprüche im "neuen urbanistisch-politischen Programm" Rudolfs von Habsburg, so Gerhard Fouquet, machten einen neuen Ausgleich zwischen dem König und den Städten in Schwaben notwendig. Am königlichen Privileg für Heilbronn von 1281 zeigt er, wie über das Recht eine Interessenangleichung "zwischen dem normativen Vorbild Speyers, dem priviglegierenden König und der begünstigten civitas Heilbronn" erreicht wurde. Peter Kurmann nimmt dagegen die in der neueren kunsthistorischen Literatur wenig beachteten vier hochgotischen Sitzfiguren der Freiburger Grafen in den Blick, die das Untergeschoss am Westturm des Freiburger Münsters schmücken. Dabei deutet er die um 1270 geschaffenen Figuren nicht unter dynastischen Gesichtspunkten, sondern bringt sie in Verbindung mit dem heilsgeschichtlich aufgeladenen Bildprogramm des Tympanons am Portal in der Turmvorhalle. Auf diese Weise "gelesen" versinnbildlichen die Figuren die "enge Einbindung der weltlichen Machthaber in das Heilssystem der Kirche", die insofern als "Garanten der Heilsordnung" verstanden werden konnten. Die Festschrift, die mit ihren fundierten Beiträgen ebenso tiefe wie facettenreiche Einblicke in die mittelalterliche Geschichte des deutschsprachigen Südwestens vermittelt und in vielen Fällen Impulsgeber für weitere Untersuchungen sein dürfte, wird in willkommener Weise durch ein Schriftenverzeichnis von Thomas Zotz aus den Jahren 2003 bis 2008 sowie durch ein ausführliches Orts- und Personennamenregister ergänzt.
Jens Lieven