Rezension über:

Klaus Conermann (Hg.): Briefe der Fruchtbringenden Gesellschaft und Beilagen. Die Zeit Fürst Ludwigs von Anhalt-Köthen 1617-1650. Vierter Band 1637-1638. Unter Mitarbeit von Gabriele Ball und Andreas Herz (= Die deutsche Akademie des 17. Jahrhunderts. Fruchtbringende Gesellschaft. Reihe I. Abteilung A: Köthen; Bd. 4), Tübingen: Niemeyer 2006, 813 S., ISBN 978-3-484-17608-9, EUR 146,00
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Klaus Conermann (Hg.): Briefe der Fruchtbringenden Gesellschaft und Beilagen. Die Zeit Fürst Ludwigs von Anhalt-Köthen 1617-1650. Fünfter Band 1639-1640. Unter Mitarbeit von Gabriele Ball und Andreas Herz (= Die deutsche Akademie des 17. Jahrhunderts. Fruchtbringende Gesellschaft. Reihe I. Abteilung A: Köthen; Bd. 5), Berlin: De Gruyter 2010, 712 S., ISBN 978-3-11-023280-6, EUR 129,95
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Rezension von:
Maria-Elisabeth Brunert
Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte e.V., Bonn
Redaktionelle Betreuung:
Michael Kaiser
Empfohlene Zitierweise:
Maria-Elisabeth Brunert: Briefe der Fruchtbringenden Gesellschaft und Beilagen (Rezension), in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 2 [15.02.2011], URL: https://www.sehepunkte.de
/2011/02/11788.html


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Briefe der Fruchtbringenden Gesellschaft und Beilagen

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Mit zunehmender Dauer des Dreißigjährigen Krieges bekamen immer mehr Territorien die desaströsen Auswirkungen zu spüren. Zwar wurde das Reich nicht flächendeckend zerstört. Es gab vielmehr Gegenden, die wenig oder gar nicht unter den Verheerungen zu leiden hatten. Es gab sogar Reichsstände und Fürsten, die sich gleichbleibenden oder gar steigenden Wohlstands erfreuten. Doch die meisten hatten mit großen wirtschaftlichen, militärischen und politischen Problemen zu kämpfen. Dennoch fand ein Teil der Fürsten, Kanzler und Räte Muße, um sich mit Sprache und Literatur zu beschäftigen, und dies geschah nicht einmal nur auf rezeptive Weise.

Aus Sicht der Historiker gerät leicht in Vergessenheit, dass fast gleichzeitig mit Kriegsbeginn ambitionierte kulturelle Bestrebungen ihren Anfang nahmen. Im August 1617 gründeten mehrere Herzöge von Sachsen und Fürsten von Anhalt sowie deren Hofleute die "Fruchtbringende Gesellschaft". Ihr Ziel war neben der Pflege und Regulierung der deutschen Sprache die Entwicklung der volkssprachigen Literatur und Fachprosa. Ungeachtet des jahrzehntelangen Kriegs erlebte die Gesellschaft bis 1650 unter ihrem Oberhaupt Fürst Ludwig von Anhalt-Köthen (1570-1650) ihre produktivste Zeit. Im Lauf ihrer über sechzigjährigen Geschichte konnte diese bedeutendste kulturelle Vereinigung im Deutschland des 17. Jahrhunderts insgesamt 890 Mitglieder gewinnen. Unter ihnen waren viele, die aufgrund ihrer herrscherlichen, militärischen, administrativen oder diplomatischen Funktionen in die kriegerischen und politischen Auseinandersetzungen ihrer Zeit verwickelt waren. Der Niederschlag ihrer sprachreformerischen und literarischen Aktivitäten der Jahre 1637 bis 1640 ist nunmehr in zwei umfangreichen Bänden dokumentiert. Sie sind Teil einer auf neun Bände angelegten Reihe, welche die Briefe der Fruchtbringenden Gesellschaft nebst Beilagen und Akademiearbeiten aus der Zeit Fürst Ludwigs von Anhalt-Köthen mit großer Sorgfalt präsentiert.

Beide Bände beginnen mit einem einleitenden Vorwort des Herausgebers Conermann. Im vierten Band informiert dieser sinnvollerweise gleich im ersten Satz, dass 124 Briefe und 52 Beilagen veröffentlicht werden. Leider hat diese wichtige Angabe keine Entsprechung im fünften Band. Dort beginnt der Herausgeber vielmehr mit einem Überblick über die vielen Themen, die durch die edierten Texte angesprochen werden. Es folgt in beiden Bänden eine Vorbemerkung zur Präsentation der edierten Texte mit Angaben zu Textgestalt, Textwiedergabe, kritischem Apparat und Sachkommentar. Es schließen sich die üblichen Verzeichnisse (Abkürzungen, edierte Quellen, Literatur) an. Die "Übersicht der Briefe und Beilagen" (mit 124 Nummern in Band 4 und 113 in Band 5) ist chronologisch aufgebaut. Die Liste der Briefschreiber und Verfasser von Beilagen nennt im vierten Band 25 Absender bzw. Autoren, im fünften 28. Die Listen der Briefempfänger und Adressaten der Beilagen sind unwesentlich kürzer (21 Namen in Band 4, 25 in Band 5). Dankenswerterweise sind die in beiden Bänden mehrseitigen Vermerke zu den Abbildungen umfassend und informativ. Wörterverzeichnis, Sach- und Personenregister erschließen die Bände. Ein kumuliertes Personenregister sowie Wörterverzeichnis und Sachregister können barrierefrei online eingesehen werden. [1]

Die Mitglieder der Fruchtbringenden Gesellschaft kommunizierten untereinander oft in der Form des Gesellschaftsbriefs. Solche Schreiben verzichteten auf Titulaturen und Kurialien und benutzten Gesellschaftsnamen zur Bezeichnung von Personen, die der Gesellschaft angehörten. So führte Fürst Ludwig den Namen "Der Nährende" und sein häufigster Korrespondenzpartner dieser Jahre, Diederich von dem Werder, den Namen "Der Vielgekörnte". Nicht selten verweisen diese Namen auf Pflanzen. Bei Diederich von dem Werder deutet der Name auf einen reifen Granatapfel, der aufgeplatzt ist, sodass die vielen Samen (Körner) sichtbar werden.

Der Gebrauch dieser Gesellschaftsnamen sollte die Standesunterschiede vergessen machen und den Mitgliedern einen ungezwungenen Umgang miteinander ermöglichen. Die Edition enthält neben derartigen Gesellschaftsbriefen aber auch Schreiben, die Alltagsgeschäfte thematisieren und nur in zweiter Hinsicht Nachrichten übermitteln, die die Fruchtbringende Gesellschaft betreffen. So unterrichtete etwa Christian Ernst Knoch Fürst Ludwig im August 1640 über den hindernisreichen Transport eines Fasses nach Braunschweig und teilte zugleich mit, dass er einen Brief und ein Buch an Herzog August von Braunschweig-Wolfenbüttel übergeben habe. Ferner berichtete er von einem Treffen des schwedischen Feldmarschalls Banér mit Herzog Georg von Braunschweig-Calenberg. Am Schluss stehen ganz knappe Nachrichten, die die deutsche Grammatik von Christian Gueintz und das Gesellschaftsbuch der Fruchtbringenden Gesellschaft betreffen. Dieser "in hochster Eil" verfasste Brief verwendet die üblichen ehrerbietigen Titulaturen, obwohl Knoch ("Der Weichende"), Herzog August ("Der Befreiende"), Banér ("Der Haltende"), Herzog Georg ("Der Fangende") und natürlich der Empfänger Fürst Ludwig Mitglieder der Gesellschaft waren (Band 5, 548-554).

Das wirft die Frage auf, ob die irenischen und patriotischen Ziele der Gesellschaft [2] überhaupt Auswirkungen auf das Alltagsleben oder auch das politische Dasein hatten. War es tatsächlich so, dass die 1639 gehaltene und gedruckte "Friedensrede" des Diederich von dem Werder Feldmarschall Banér so beeindruckte, dass er Anhalt verschonte? (Band 5, 7) Da ein Nachweis fehlt, scheint es sich eher um eine Vermutung denn um eine belegbare Tatsache zu handeln. Als im Juli 1648 der schwedische Kriegspräsident Erskein in Osnabrück mit Vertretern der Reichsstände über die Verpflegungssätze für die schwedische Armee verhandelte, scheiterten diese Verhandlungen jedenfalls [3], obwohl Erskein (als "Der Fürsichtige") Mitglied der Fruchtbringenden Gesellschaft war und zu den deputierten Reichsständen Kurbrandenburg gehörte. Dessen Kurfürst Friedrich Wilhelm war ebenso Mitglied (als "Der Untadeliche") wie Wesenbeck, einer seiner Gesandten ("Der Fähige").

Doch auch wenn die hehren Friedensideale der Gesellschaft anscheinend keine Auswirkungen auf die rauhe Verhandlungsrealität in Osnabrück hatten, ist es in vielfacher Hinsicht aufschlussreich, die Dokumente dieser idealen Bestrebungen zu analysieren, und das wird durch die vorliegende Edition ermöglicht.

Nehmen wir die erwähnte "Friedensrede" als Beispiel. Sie ist Beilage eines kurzen Schreibens des Verfassers Diederich von dem Werder an Fürst Ludwig mit dem Präsentatsvermerk 4. September 1639 (Band 5, 240-275). Druckvorlage ist das einzig erhaltene Exemplar aus der fürstlichen Druckerei in Köthen; drei weitere zeitgenössische Drucke wurden minutiös verglichen, auf einen Nachdruck aus dem Jahr 1918 wird hingewiesen. Der Variantenapparat ist von beeindruckendem Umfang. Der Sachkommentar kontextualisiert den Begleitbrief. Die Bemerkungen zur Rezitation der Rede benennen den erst fünfzehnjährigen Paris von dem Werder als Vortragenden, datieren die verschiedenen Aufführungen, heben zu Recht die ungewöhnlichen Angaben zur redebegleitenden Gestik hervor und geben Literaturhinweise zur forschungsgeschichtlichen Einordnung der Rede als einer Imitatio der erasmischen "Querela pacis". Damit ist sie umfassend erschlossen und bietet sich unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen als Forschungsobjekt an. Philologen werden hier ebenso fündig wie Historiker, die sich mit Publizistik, Rhetorik, Bildungsgeschichte, Friedensforschung, Erasmus-Rezeption oder auch sächsischer und anhaltischer Landesgeschichte befassen.

Zeichnet eine stupende Gelehrsamkeit die Edition positiv aus, so trübt eine in mancher Hinsicht fehlende Benutzerfreundlichkeit das vorteilhafte Bild ein wenig. Die Ordnungsnummern der einzelnen Stücke bestehen beispielsweise aus sechsstelligen Zahlen, in denen sich Angaben zur Datierung verbergen. Die Einleitungen der Bände folgten besser einer einheitlichen Gliederung. Es stört den Lesefluss, wenn die Verweise auf die einzelnen Briefe einfach in den Text gesetzt sind, statt sie in einer Fußnote anzumerken. Auch stellt sich bisweilen die Frage, ob die Erläuterungen zu eigentlich sachfremden Themen (wie Militaria) nicht zu detailliert geraten sind. Dagegen sind die Erläuterungen zu Absendern und Adressaten zu kurz. Anscheinend wird vorausgesetzt, dass die Benutzer intime Kenner der Fruchtbringenden Gesellschaft sind und ihnen nicht erklärt werden muss, wer zum Beispiel Diederich von dem Werder war oder wo sie ein Biogramm dieses gebildeten, militärisch erprobten anhaltischen Adeligen finden können. [4] Hingegen ist der mit Sachverstand und Akribie erarbeiteten Edition zu wünschen, dass ein breites Spektrum von Wissenschaftsdisziplinen diese Quellen für ihre Forschungen nutzt.


Anmerkungen:

[1] Adresse: http://diglib.hab.de/?link=004 (4.2.2011).

[2] Klaus Conermann: Die Fruchtbringende Gesellschaft und ihr Köthener Gesellschaftsbuch. Eine Einleitung, in: Fruchtbringende Gesellschaft. Der Fruchtbringenden Gesellschaft geöffneter Erzschrein. Das Köthener Gesellschaftsbuch Fürst Ludwigs I. von Anhalt-Köthen 1617-1650. Herausgegeben von Klaus Conermann, Band 2, Leipzig / Weinheim 1985, 21-127, hier 29.

[3] Acta Pacis Westphalicae Serie III Abteilung A Protokolle. Band 3: Die Beratungen des Fürstenrates in Osnabrück. 6: Juni-Juli 1648. Bearbeitet von Maria-Elisabeth Brunert, Münster 2009, XLVIII, 271 Anm. 69, 287 Anm. 31. In den Akten wird, soweit bislang bekannt, die Mitgliedschaft von Fürsten oder Diplomaten in der Fruchtbringenden Gesellschaft nirgends erwähnt.

[4] Biographische Angaben zu den Mitgliedern, geordnet nach ihrem Eintrittsjahr, finden sich in: Klaus Conermann: Die Mitglieder der Fruchtbringenden Gesellschaft 1617-1650. 527 Biographien. Transkription aller handschriftlichen Eintragungen und Kommentare zu den Abbildungen und Texten im Köthener Gesellschaftsbuch (Fruchtbringende Gesellschaft. Der Fruchtbringenden Gesellschaft geöffneter Erzschrein. Das Köthener Gesellschaftsbuch Fürst Ludwigs I. von Anhalt-Köthen 1617-1650. Herausgegeben von Klaus Conermann. Band 3), Leipzig / Weinheim 1985. Diederich von dem Werder hat die Nr. 31 (34-36).

Maria-Elisabeth Brunert