Rezension über:

Frederic Spotts: The Shameful Peace. How French Artists and Intellectuals Survived the Nazi Occupation, New Haven / London: Yale University Press 2008, 292 S., ISBN 978-0-300-16399-5, GBP 12,99
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Barbara Lambauer
IRICE, Paris
Redaktionelle Betreuung:
Andreas Fahrmeir
Empfohlene Zitierweise:
Barbara Lambauer: Rezension von: Frederic Spotts: The Shameful Peace. How French Artists and Intellectuals Survived the Nazi Occupation, New Haven / London: Yale University Press 2008, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 3 [15.03.2011], URL: https://www.sehepunkte.de
/2011/03/17534.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Frederic Spotts: The Shameful Peace

Textgröße: A A A

Das Phänomen der französischen Kollaboration während der deutschen Besatzungszeit 1940-1944 hat trotz zahlreicher bereits bestehender Arbeiten noch lange nichts an Faszinationskraft verloren. Das Neben- und Miteinander von politischem Pragmatismus, persönlicher Kompromittierung und manchmal auch heroischem Verhalten französischer Kulturschaffender in Frankreich hat auch Frederic Spotts inspiriert: Sein Buch über den "schändlichen Frieden", in sehr lässigem Stil und mit (zehn) zugkräftigen Kapitelüberschriften verfasst, offenbart allerdings einen etwas naiven Blick auf die Geschehnisse dieser Jahre: "A history of the Occupation ist the story of how forty million French along with a million or so [sic!] Germans lived together as prisoners in a nightmare world created by one man - an evil genius headquartered in Berlin." (254).

Im einleitenden Kapitel ("The Judgement of Paris") wird die Bedeutung der französischen Niederlage von Juni 1940 unterstrichen, "a decisive moment in cultural history" (1), der den Niedergang von Paris als internationaler Kulturmetropole besiegelte und der französischen Kulturherrschaft ein Ende bereitete. Kultur war nichtsdestoweniger die einzige Waffe, die Spotts zufolge den Franzosen blieb, um den Krieg fortzusetzen und die Achtung vor der eigenen Nation zu wahren. Angesichts dessen beschäftige sich die Historiographie zu wenig mit dem französischen Kulturleben in der Besatzungszeit, denn, so Spotts, "culture makes academic historians nervous" (2). Dabei mag es sich aber wohl hauptsächlich um mangelnde bibliographische Kenntnisse des Autors handeln.

In seiner Darstellung widmet er sich zunächst unter dem Titel "Goodbye to all that" den Fluchtwegen und politischen Optionen ausgewählter Persönlichkeiten im Sommer 1940. Dabei zeigt sich rasch die Faszination, welche die Verflechtung von politischem Engagement und Sexualleben auf den Autor ausübt. Immer wieder trifft man auf doch überflüssig anmutende Kommentare, etwa in folgender Art: "It was not exactly subtle of the popular writer Marcel Jouhandeau to claim that, in the interests of Franco-German understanding, 'I wished to make of my body a fraternal bridge between Germany and us.' Since the writer was at the time enamoured of a (male) German poet, the remark was all too picturesque" (27), oder bezüglich der Amerikanerinnen Florence Gould, die einen Literatursalon in Paris betrieb ("Florence enjoyed the pleasures of the bed, a bed that Jünger and other German officers came to know well", 51), und Peggy Guggenheim ("bored, rich and sexually voracious", 86).

Die unter dem Titel Oh, What a Lovely War! dargestellten Besatzer erscheinen äußerst klischeehaft, so etwa Ernst Jünger, hier als "typical for the fun-loving Germans in Paris, untypical only in the relative sophistication of his artistic and gastronomic tastes" (32). Otto Abetz, dem mehr Prestige als tatsächliche Macht zugeschrieben wird ("Abetz held merely a title", 39), habe einem Piraten gleich nach französischen Kunstschätzen gesucht, und "the best of the loot he earmarked for the pirate-in-chief back in Berlin, with whom he was always seeking to ingratiate himself" (ebd.). Auch Helmut Knochen, dem Leiter der Pariser Dienststelle des SiPo-SD, entkommt im Zusammenhang mit Goulds Literatursalon einem pauschalen Urteil nicht: "It's hard to think of a more abominable character to have as a guest" (50). Es schleichen sich immer wieder gravierende Fehler und Fehleinschätzungen ein, sei es bei der Datierung des Waffenstillstandsabkommens (22. und nicht wie hier 23. Juni 1940), der Person des Organisators der Pariser Anti-Freimaurer-Ausstellung (nicht Bernard Faÿ sondern Jacques de Lesdain), den Umständen der Ablösung General von Stülpnagels (sie geht nicht auf dessen Proteste gegen Knochens Aktivitäten zurück), oder wenn die Gründung der Propaganda-Abteilung Frankreich, Spotts zufolge "unashamedly, if appropriately" so genannt, auf das "pacification programme" der Wehrmacht zurückgeführt wird.

Unter den Kulturschaffenden in Paris sieht Spotts nur eine Trennlinie, nämlich zwischen den regelmäßigen Besuchern des Café de Flore am linken Seine-Ufer (allen voran Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre) und jenen Kulturschaffenden, die sich gerne vom deutschen Besatzer umwerben liessen: "many [...] could resist everything except temptation" (65). Zu den in ganz Frankreich zur Verbreitung des Kollaborationsgedankens organisierten Vorträgen, die vor gefüllten Sälen stattfanden, meint Spotts lapidar: "Even so, people came, listened and went away - basta!" (66). Spotts weicht der Frage nach den tatsächlichen Zielen und Erfolgen der deutschen Kulturpolitik gelassen aus, so als ginge es ausschließlich um die (missglückte) kulturelle Durchdringung Frankreichs, und nicht darum, die Sicherheit der Besatzungsmacht und die wirtschaftliche Ausplünderung des Landes mit geringstem (militärischen) Aufwand, durch Stimulierung des Kollaborationsgedankens im weitesten Sinne, zu erreichen. Es ist diesbezüglich bezeichnend, wie wenig Spotts zwischen Anhängern des Vichy-Regimes und Kollaborateuren der besetzten Zone, zwischen Vichy-Gegnern und Gegnern der Besatzungsmacht unterscheidet. Ebenso vermisst man jegliche historische Kontextualisierung, denn die vier Okkupationsjahre sind eben keine einheitliche Geschichtsmasse.

Die zweite Hälfte des Buches geht auf das Leben bestimmter Protagonisten anhand der von ihnen veröffentlichten Tagebücher etwas ausführlicher ein. Dabei beginnt Spotts im Kapitel "Songs without Words" mit Autoren, die während der Besatzungszeit auf Veröffentlichungen verzichteten oder Untergrundpublikationen lancierten: Jean Bruller, Gründer der Editions de Minuit und Autor des Untergrundromans Le Silence de la Mer, André Gide, Jean Galtier-Boissière, Henri Jeanson und Jean Guéhenno. Auf der Seite der Kompromittierten lässt Spotts im selben Kapitel die Tagebücher und Selbstdarstellungen von Alfred Fabre-Luce, Drieu La Rochelle (dieser übrigens "less interesting to literary history than to clinical psychiatry", 128), und Louis-Ferdinand Céline zu Wort kommen. Neben Vertretern der Bildenden Kunst und der Musik wird auch Vertretern der darstellenden Künste ein Kapitel ("Faiblesse Oblige") gewidmet, darunter das enfant terrible Jean Cocteau, der dem Buch mit seinem Trinkspruch "Long live the shameful peace!" den Namen gab (224).

Das Buch ist ganz offensichtlich auf der Basis eines wohl reduzierten Quellenstudiums zustande gekommen, in der Hauptsache veröffentlichte Tagebücher und Memoiren, deren Inhalt meist kritiklos übernommen wurde. Spotts benutzt einen verächtlichen Unterton, wenn er die Selbstdarstellung von Kollaborateuren wiedergibt, zeigt hingegen offene Sympathie gegenüber den Protagonisten, die für ihn auf der richtigen Seite standen. Immer aber überrascht sein blindes Vertrauen gegenüber den Quellen. Sein Buch zeigt immerhin die Vielfalt an persönlichen Reaktionen und Schicksalen, vor allem aber die innere Zerrissenheit der französischen (intellektuellen) Gesellschaft unter deutscher Besatzung. Es nähert sich der Problemstellung aber mit fraglichen Methoden und allzu lockeren Kommentaren, welche der Komplexität der meisten hier aufgezeigten Fälle nicht gerecht werden.

Barbara Lambauer