Peter N. Bell (Bearb.): Three Political Voices from the Age of Justinian. Agapetus, Advice to the Emperor. Dialogue on Political Science. Paul the Silentiary, Description of Hagia Sophia, Liverpool: Liverpool University Press 2009, X + 249 S., ISBN 978-1-84631-209-0, GBP 19,95
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Das Büchlein ist relativ unscheinbar und läuft damit leicht Gefahr, übersehen zu werden. Dies zu tun, wäre aber ein großer Fehler. Denn der Band präsentiert nicht nur drei für die politische Kommunikation im römischen Osten während des 6. Jahrhunderts n. Chr. eminent wichtige Texte in englischer Übersetzung (Agapets Ekthesis, das Dialogfragment Perí politikês epistêmes (De scientia politica) sowie Paulos' Ekphrasis der Hagia Sophia), sondern stellt diesen überdies eine vorzügliche Einleitung voran, die in scharfsinniger Präzision nicht nur die Entstehungshintergründe ausleuchtet, wichtige Informationen zu den Autoren gibt (soweit verfügbar) und Forschungskontroversen diskutiert, sondern insbesondere erklärt, warum auch ein auf den ersten Blick harmloser Fürstenspiegel wie Agapets Sentenzensammlung oder eine Ekphrasis wie die Beschreibung der Hagia Sophia des Paulos Silentiarios als hochpolitische Texte gelesen werden können - ja müssen (1-97).
Ein geraffter Überblick über die Herrschaftszeit Justinians leitet die Darstellung ein. Mit Recht betont Bell vor allem Spannungen und Konflikte als prägende Faktoren des sog. Zeitalters Justinians: Gesellschaftliche Verwerfungen, religiöse Auseinandersetzungen, Kriege, Katastrophen und eine allmähliche Verdrängung der klassischen Traditionen durch christliche Elemente (2-5). Vor diesem Hintergrund wird das Kaisertum Justinians - ganz folgerichtig - nicht als unerschütterliche Selbstverständlichkeit gedeutet, sondern als fragile Herrschaft, als "vulnerable regime" (6), das permanenter Legitimation bedurfte, die der Autor insbesondere im "'divinising' intent" manifestiert sieht (7).
Es folgt ein Abschnitt, in dem Bell die wichtigsten Informationen über die Verfasser der von ihm übersetzten Texte zusammenträgt. Kennzeichen dieser Erörterungen - wie überhaupt des gesamten Buches - ist die Behutsamkeit, mit der auf das fast nie eindeutige und selten unumstrittene Material zugegriffen wird. Mitunter muss es im Ergebnis bei einem non liquet bleiben: So lassen sich etwa über Agapet "no definite conclusions" gewinnen (9). In der Frage nach dem Autor des Dialogs Perí politikês epistêmes widerspricht Bell mit handfesten Argumenten älteren Vorschlägen, die auf Petros Patrikios zielten. Zentral für ihn ist dabei eine Justinian-kritische Grundtendenz des Werkes, die sich nicht mit der glanzvollen Karriere, die Petros unter diesem Kaiser absolviert hat, vereinbaren lasse (10). Kluges Abwägen auch in den Datierungsfragen: Lediglich Paulos' Ekphrasis bereitet keine Probleme (Jahreswechsel 562/63); für Agapet kommt man nicht über eine grobe Ansetzung in Justinians Frühphase hinaus, besonders knifflig erweist sich schließlich das Problem der Entstehungszeit von Perí politikês epistêmes. Der bisher zumeist in frühjustinianische Zeit gesetzte Dialog wird von Bell tendenziell und sehr vorsichtig eher in die späteren Jahre dieses Kaisers datiert (26).
Ausführlich widmet sich der Autor dem Inhalt und den Intentionen der drei Texte. Für Agapet, dem - im Gegensatz zu großen Teilen der Forschung - durchaus literarische Qualität zugesprochen wird (36), hebt Bell zu Recht die Justinian-freundliche Haltung hervor; viele seiner Maximen finden sich auch in den Zeugnissen der zeitgenössischen kaiserlichen Repräsentation, so dass man davon wird ausgehen müssen, dass dieser Autor Justinians umfassenden Herrschaftsanspruch nachhaltig unterstützt hat (vgl. 43). "Agapetus' emperor is absolute" - so das Fazit (44), doch sind eher die Auslassungen interessant: Dass Agapet nichts zu aktuellen kirchenpolitischen Streitfragen und dem umkämpften Verhältnis jener Sphären sagt, die wir heute (nicht ganz zutreffend) mit 'Kirche' und 'Staat' bezeichnen, deutet Bell als Indiz dafür, dass der Autor (als Kleriker) sich möglicherweise an der religiösen Rolle gestoßen haben könnte, die Justinian für sich beanspruchte; vielleicht - so eine weitere Möglichkeit, die ventiliert wird - wollte er aber auch schlicht jenen Punkten ausweichen, die kritische Nachfragen hervorgerufen hätten, denn grundsätzlich war seine Haltung dem Kaiser gegenüber - wie gesagt - loyal (42f.).
Ganz anders verhält es sich mit den Fragmenten des Dialogs Perí politikês epistêmes, deren Behandlung Bell zunächst eine Warnung voranstellt, die dem Leser vor Augen führt, wie wenig wir über diesen Text tatsächlich wissen und wie spekulativ jede Annäherung letztlich bleiben muss (49f.). Zentral für den unbekannten Verfasser war die von Eusebios im 4. Jahrhundert prominent im politischen Diskurs platzierte These, dass die zentrale Aufgabe des Kaisers in der imitatio Dei bestehe, da das irdische Kaiserreich eine Nachbildung des himmlischen Gottesreiches darstelle. Doch der Verfasser von Perí politikês epistêmes ließ es dabei nicht bewenden: Er kombinierte die Vorstellung von der göttlichen Erwähltheit des Kaisers mit den Einschränkungen, denen ein Monarch in den Strukturen einer Mischverfassung unterworfen ist; auf der Grundlage platonischer Theorien (Philosophenherrscher) und ihrer Anbindung an die politische Praxis durch Cicero entwickelte er das Postulat vom Herrscher, der gesetzestreu und gerecht herrscht und seine imitatio Dei nicht nur aufgrund seiner Einsetzung durch Gott vollzieht, sondern insbesondere auch als Akt mühsamen philosophisch-politischen Erkenntnisgewinns. Vor allem aber hat er die Aristokraten mit einzubeziehen, er herrscht also - ganz anders als bei Agapet - nicht als abgehobener Monarch jenseits des Volks und der Gesetze, sondern als integrativer Bestandteil einer umfassenden, von Volk und Gesetzen definierten Einheit (vgl. etwa 70). Dem Autor dieses faszinierenden Textes (von dem man gerne noch ein paar Seiten mehr überliefert hätte) schwebte also, so Bell, kein Idealstaat als theoretisches Konstrukt vor, sondern eine konkrete Monarchie, deren gottgegebene (und durchaus akzeptierte) Ansprüche ein begrenzendes Gegengewicht in der Mischverfassung finden sollten: "The ideal state is thus a 'Ciceronian' mixed constitution with a metaphysically enlightened political scientist as its ruler" (71). Daraus ergibt sich die Spannung, die von dem Text ausgeht, denn "the Dialogue is surprisingly critical of the Justinianic regime" (73). Am Beispiel des Konzepts der imitatio Dei, das Agapet noch uneingeschränkt positiv im Sinne der Ansprüche Justinians vertreten hatte, zeigt der anonyme Verfasser von Perí politikês epistêmes auf, wie die zeitgenössischen Eliten darum rangen, die Postulate ihres Herrschers wieder einzufangen.
Ganz anders wiederum Paulos, der seinem Publikum verdeutlichte, "how the emperor wished himself to be seen [...] in the dark final years of his reign" (79). Paulos' Ekphrasis stellt für Bell ein Beispiel für das tiefere Eindringen christlicher Ideen in den Bereich der klassizistischen Literatur dar. An dieser Stelle hätte man sich freilich ein verstärktes Eingehen auf dieses Phänomen gewünscht, das keineswegs unbekannt ist, nicht nur die Literatur jener Jahre betrifft und allgemein unter dem Stichwort 'Liturgisierung' verhandelt wird - ein wesentliches Signum der spätjustinianischen Zeit, die Bell auf Basis der chronikalischen Überlieferung zu Recht als "depressing" beschreibt (87). Paulos' Intention habe darin bestanden, inmitten von Katastrophen und Depression aufzuzeigen, dass Justinian weiterhin als vertrauensvoller Diener Gottes unter dessen Schutz stehe (89); aus diesem Grund habe der Dichter u.a. solch besonderen Wert auf die Betonung des (keineswegs selbstverständlichen) Einvernehmens zwischen Kaiser und Patriarch gelegt, und wohl deshalb habe er ebenso wie Agapet auch kritische Themen ausgespart, so etwa die Unruhen, die von den sog. Zirkusparteien ausgingen, oder auch die Vorgänge um das Konzil von Konstantinopel 553.
Die besondere Stärke der von Bell vorgelegten Interpretationen beruht darin, dass die von ihm übersetzten und kommentierten Texte unabhängig von ihrer Gattungszugehörigkeit (die jedoch keineswegs einfach als Problem übergangen wird) konsequent, ja mitunter sogar gnadenlos politisch gelesen werden. Dadurch treten Spannungsmomente hervor, die in der jüngeren Justinian-Literatur bislang noch nicht hinreichend beachtet worden sind. Dass dieser Interpretationsansatz für jeden Leser nachvollziehbar bleibt, ist u.a. auch Resultat der flüssigen Übersetzung und des hervorragenden Kommentars. Man darf schon jetzt mit Spannung der Publikation von Bells Justinian-Buch entgegensehen, das unter dem Titel "Social Conflict in the Age of Justinian" angekündigt ist.
Mischa Meier