Christina Antenhofer / Lisa Regazzoni / Astrid von Schlachta (Hgg.): Werkstatt Politische Kommunikation. Netzwerke, Orte und Sprachen des Politischen (= Schriften zur politischen Kommunikation; Bd. 6), Göttingen: V&R unipress 2010, 337 S., ISBN 978-3-89971-777-8, EUR 46,90
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Lisa Regazzoni: Geschichtsdinge. Gallische Vergangenheit und französische Geschichtsforschung im 18. und frühen 19. Jahrhundert, Berlin: De Gruyter 2020
Der Sammelband basiert auf einer Tagung eines Internationalen Graduiertenkollegs über "Rhetorik von Konflikten - Rhetorik von Krieg und Frieden" aus dem Jahr 2006 in Innsbruck. Promovierende aus Deutschland, Italien und Österreich sollten mit etablierten Wissenschaftlern in Diskussion treten, um sich über Formen der Sprache des Politischen auszutauschen. Eine Gesamteinführung fehlt, stattdessen weist ein Vorwort der Patronin des Kollegs, Brigitte Marzohl, auf einer knappen Seite auf die Umstände der Entstehung hin.
Der Sammelband ist dreiteilig strukturiert, für jeden übernahm eine der Herausgeberinnen die Federführung und die Einleitung. Lisa Regazzoni versteht unter "Sprachen als Ort politischen Handelns" die Abschleifung des Unterschieds zwischen politischen Aktionen und politischem Sprechen dergestalt, dass alle Formen von Kommunikation - schriftliche, mündliche, nonverbale - einem performativen Akt entsprechen, dem Absicht auf Wirkung zuzumessen ist. Mit Skepsis gegenüber der Sprechakttheorie betont Regazzoni die politische, institutionelle, gesellschaftliche und sprachliche Kontextgebundenheit von Kommunikation. Die Motivation des Sprechenden verblasst gegenüber den Bedingungen des Sprechens. In den Beiträgen dieses Hauptteils untersucht Merio Scattola die "Diskurs- und Diskussionsgemeinschaft" im Heiligen Römischen Reich, wie sie sich an den Universitäten des 17. Jahrhunderts materialisierte. Erst aus diesen Gemeinschaften konnten sich dann die neuen akademischen Disziplinen heraus entwickeln, zum Beispiel "Politik", "Naturrecht", "Staatsrecht", "Policey- und Cameralwissenschaften". Simon Gruber stellt eine andere "Diskurs- und Diskussionsgemeinschaft" vor, die 1993 bis 2004 über den Beitritt der Slowakei in den Europarat und die Europäische Union verhandelte. Im Zuge des Streits um den Minderheitenschutz wurden Argumente, Vergangenheitsbilder und Sprachkodizes verwendet, um die nationale Betonung der Slowakei als "westliches" Gemeinwesen zu synchronisieren mit den Anforderungen der aufnehmenden Staatenbünde aus den Grundwerte- und Menschenrechtskatalogen. Federica Dalla Pria analysiert die Selbstdarstellungen von Benito Mussolini und Adolf Hitler in Wochenschauen der frühen 1930er Jahre im Vergleich. Beide Diktatoren vollzogen den Wandel von zivil zu uniformiert gewandeten Staatsführern und beschworen Assoziationen aus der jeweiligen nationalen Vergangenheit herauf (zum Beispiel Mussolini hoch zu Ross im Stile der Reiterstandbilder der Caesaren). Christian Bechtold knüpft an den vorigen Beitrag an, indem er den Prozess des Herrscherkatasterismos auf seine Aussagekraft hin befragt: Die vergöttlichende Versetzung der jeweiligen Vorfahren unter die Sterne diente der Selbsterhebung des jeweiligen Caesaren und seiner Familie. Vera Margerie-Seeboth untersucht die Titulatur "Divi Filius" des römischen Kaisers Septimius Severus und postuliert, dass Begriffe wie "Propaganda" oder "Religionspolitik" heuristisch unnütz oder sogar schädlich sind. Eher sieht sie in der Kaisertitulatur das Bemühen um Absicherung der eigenen Dynastie.
Astrid von Schlachta führt in "Politische Kultur in der Begegnung mit den Anderen" ein. Dabei betont sie unter Rückgriff auf Gerhard Hauck, dass sich politische Identität in der Regel erst durch den Dialog mit dem signifikant Anderen konstituiert (133). Die Beiträge dieses Hauptteils zeigen zum einen die Wahrnehmung des Anderen über Sprache, zum anderen den politischen Prozess als einen Austausch von kulturellen Elementen anstatt als Einbahnstraße von oben nach unten. Barbara Lubich zeigt Prozesse der Politisierung von außen an einem Beispiel aus der späten DDR, an der Wahrnehmung der Performance-Gruppe FINE, die von der Staatssicherheit beargwöhnt wurde, weil ihre Auftritte in den westdeutschen Medien politisch gedeutet worden waren. Astrid von Schlachta zeichnet die Indienstnahme des Münsteraner Täuferreichs und seiner Propaganda durch spätere inner- und außerkirchliche Denker, wobei neben der Toleranzfrage auch die autonome Gemeindegestaltung sowie die Ablehnung des Wehr- und Waffendienstes eine Rolle spielten. Walter Pohl untersucht die Völkerwanderungen als Prozess der Begegnung mit den Anderen und der Angleichung von politischen Kulturen. Er grenzt sich damit von Interpretationen ab, die den Prozess aus der Perspektive der triumphierenden Kaiser über die Barbaren gedeutet haben. Christoph Michels stellt die kulturellen Transfers in der Politik der kleinasiatischen Könige von Bithynien, Pontos und Kappadokien in hellenistischer Zeit in den Vordergrund, insbesondere die Methodologie des Euergetismus, bei dem der Herrscher "Wohltaten", die begünstigten Städte dafür Dank und Hilfe zu leisten gewohnt waren. Luigi Ghezzi blickt auf Trentino und Südtirol in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts: In der nationalen und sprachlichen Mischregion vermittelte sich Identität über "die nostalgisch-wehmütige Vergegenwärtigung der jeweiligen nationalen Vergangenheit in der Abgrenzung zur anderen sprachlichen Gruppe" (138).
Christina Antenhofer konzentriert sich auf die "Akteurinnen und Akteure, Netzwerke, Institutionen der politischen Kommunikation". Nach einem Exkurs über die Offenheit des Begriffs der politischen Sprache stellt Antenhofer fest, dass auch die Leitbegriffe ihres Hauptteils semantisch vielschichtig sind (230). Als brauchbar für die folgenden Überlegungen erachten die Sektionsteilnehmer den Kommunikationsbegriff von Jürgen Habermas und den Begriff des Politischen von Bruno Latour unter Einschluss der Metapher vom "aufblasbaren Parlament" (Peter Sloterdijk). Im Beitrag von Klaus Brandstätter geht es um einen spätmittelalterlichen Konflikt zwischen den Herrschaftsansprüchen zweier Territorialherren in Südwestdeutschland, aus einem gescheiterten Heiratsprojekt hervorgegangen. Aus dem Sachdissens entwickelte sich schließlich ein Ehrenkonflikt, der auf unterschiedlichen medialen, symbolischen und rhetorischen Ebenen stattfand. Auch Mario Müller analysiert mittelalterliche familiäre Konflikte bei den brandenburgischen Markgrafen, die durch Erbeinungen vorab entschärft werden sollten. Müller legt dabei besonderes Augenmerk auf die Formulierung der Begriffe, durch die Bündnisse und Verträge verstetigt wurden. In beiden Fällen spielten Netzwerke im Hintergrund eine wichtige Rolle, um die Konflikte schließlich einzuhegen. Cecilia Gelatti zeigt akademisch-juristische Debatten an der Universität Halle am Beispiel des Staatskirchenrechts von Christian Thomasius, die sie als Zeichen für zunehmende akademische Einflussnahme auf politische Prozesse deutet. Eva Werner stellt die Gruppe der "Märzminister" der Revolution von 1848 vor, zusammen 133 Personen, die unterschiedlichen "Gesinnungsnetzwerken" entstammten. Ihnen wuchsen plötzlich rhetorische und politische Chancen zu, an die sie sich erst tastend gewöhnen mussten. Nur circa die Hälfte war an etablierte Herrschaftssysteme gebunden, jedoch unbelastet, die übrigen waren engagierte Einzelpersönlichkeiten. Peter Becker nimmt die politischen Kommunikationsprozesse innerhalb von Behörden ins Visier, wobei er die Neigung der Partizipanten betont, die bestehenden politischen Konflikte in der Mehrparteiendemokratie kleinzuschleifen. Die Schaffung von künstlichen Problemgruppen und Problemfeldern im Zuge dieser Diskurse wird dabei keineswegs als solche empfunden, sondern als "Verfahren der Rationalisierung" (237).
Die Beiträge enthalten eine Vielzahl von Beobachtungen, die Anstöße zu fruchtbaren Überlegungen geben werden. Ein gewisses Unbehagen bleibt aber hinsichtlich der Gesamtkonstruktion des Projektes: Durchgängig herrscht im Band, insbesondere in den drei Einleitungen zu den Hauptteilen, ein sprachlicher Duktus vor, der suggeriert, nun käme eine neue Sichtweise in die Welt, durch die herkömmliche Interpretationsmodelle völlig obsolet würden, zum Beispiel formuliert: "Wie wenig Aussagekraft dichotomische Modelle oder einfache Erklärungen zum Untergang von Reichen oder Kulturen haben, zeigt der Beitrag von ..." (137). Dass wissenschaftlicher Erkenntnisfortschritt auf früheren Erkenntnissen und Paradigmata aufbaut, steht den jungen Herausgeberinnen nicht vor Augen, sie verfechten kein evolutionäres, sondern ein revolutionäres Wissenschaftsverständnis.
Im Zuge der starken Betonung der Prozesse des Austauschs und des Aushandelns zwischen herrschenden und beherrschten Gruppen, herrschenden und nicht herrschenden Anschauungen, hegemonialen und kolonisierten Gemeinwesen verblasst etwas die spürbare Differenz zwischen Machtausübung und Machterleiden. Die harmonisierende Sichtweise, die diesem Ansatz innewohnt, wird zweifellos den jeweils herrschenden Gruppierungen sehr viel eher gefallen als der anderen Seite. Zu einer Gesamteinleitung und einem Register haben den Veranstalterinnen offenbar am Ende die Kräfte gefehlt.
Johannes Arndt