Michael Broers: Napoleon's Other War. Bandits, Rebels and their Pursuers in the Age of Revolutions (= The Past in the Presence), Bruxelles [u.a.]: Peter Lang 2010, XXIII + 232 S., ISBN 978-1-906165-11-6, EUR 29,70
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Dieses Buch sollte man lesen. Es ist originell, spannend und unterrichtend. Darüber hinaus bietet es eine Reihe von paradigmatischen Erkenntnissen über das Wesen des Guerillakrieges. Es handelt nicht von der neuen Ordnung, sondern von der Unordnung, welche Napoleon in Europa, in Lateinamerika, auf dem Balkan und im Nahen Osten hinterließ. Dieser andere Krieg hinter den Fronten war ebenso prägend wie der konventionelle Krieg. Es geht um die vielen kleinen schmutzigen Kriege, welche durch Eroberung, ungewollte Reformen in traditionellen Gesellschaften, Handelssperren, Steuerdruck und Konskription ausgelöst wurden. Die Unterstützer der Revolution waren in der Regel städtische Schichten.
In acht Kapiteln beschreibt Broers zunächst die Welt wie sie war, das Banditentum vor der Französischen Revolution. Europa war ein Land der rechtlosen Straßen, aber diese Straßen führten durch sehr verschiedene Landschaften, Gesellschaften und lokale Wirtschaftsräume. Zudem fehlten in weiten Teilen Europas überhaupt Straßen, doch auch dort gab es Banditen. Bestimmend war die Mangelwirtschaft. Zu bestimmten Zeiten des Jahres waren die Straßen voll mit Armen, Wanderarbeitern, Hausierern, Hirten. Unter ihnen konnten Banditen sein. Diese konnten allerdings auch an den Rändern der Straßen auf sie warten. In der Typologie der Gesetzeslosen waren Schmuggler, abgesehen von der Regierung, überall sehr beliebt. Sie kamen dem Robin Hood-Image am nächsten. Straßenräuber waren Abschaum.
Das zweite Kapitel behandelt den Ursprung der Unordnung. "Die große Furcht" bestand einerseits aus irrationalen kollektiven Ängsten, andererseits wurden viele Ängste, insbesondere die vor Banditen, durch das Verschwinden des Staates in der Revolution Realität. Der Krieg führte 1792 zur Invasion, Massenkonskriptionen und neuen Steuern. Erneut stand Stadt gegen Land, denn die Mitglieder der städtischen Nationalgarden waren vom Wehrdienst ausgenommen. Statt in die Armee, liefen viele junge Männer zu den Banditen. Die Revolutionäre, angetreten die Menschheit zu befreien, ergriffen die gewaltsamsten Formen der Unterdrückung. In der Vendée wurden 35 % der Bevölkerung vernichtet. Die Erhebung war eine wirkliche Graswurzeldemokratie, weit mehr als jedes revolutionäre Regime.
In Regionen mit differenzierten bäuerlichen Besitzverhältnissen wie der Bretagne verliefen die Risse auch innerhalb der Dörfer. Auch Einheimische konnten zu Invasoren werden, wenn sie zum Beispiel Nationalgüter erwarben. "Das große politische Schisma von 1789" verband sich oft mit älteren Konflikten, so kam es in Nimes zu einem Massaker an Protestanten. Der Unterschied zwischen den Deserteuren und den Verweigerern war, dass die letzten zu Hause blieben und Unterstützung hatten. Sie wurden zu sozial eingebetteten Banditen. Deserteure hingegen wurden in der Fremde oft zu brutalen Kriminellen. Tausende von Kilometern hinter der Front waren unzählige junge Männer im Krieg. Dies war im vorrevolutionären Frankreich unbekannt.
Der Ausdehnung des neuen Systems auf Europa ist das dritte Kapitel gewidmet. Um den Schmuggel und die Wehrdienstverweigerung durch Grenzübertritt zu unterbinden, wurden die Grenzen verschoben. Um Frankreich zu befrieden, durfte es nicht übermäßig mit den Kosten für die Armee beladen werden. Die Ausplünderung der eroberten Länder machte Napoleon zum System. 1809 mit der Annexion von Kroatien und Slowenien dehnte sich Frankreich in eine Welt aus, in der die Grenzen zwischen Banditen und Polizei fließend waren. Die österreichisch-russische Gegenoffensive von 1799 wurde zum "schwarzen Jahr der italienischen Jakobiner". Es brachen Aufstände von d`Aosta bis Kalabrien aus. Im Stadt-Land-Konflikt nahm die Landbevölkerung Rache an Franzosenfreunden. Kardinal Ruffo schmiedete aus Banden die Armee des heiligen Glaubens, "Santafede".
Den Banditenjägern Napoleons ist das vierte Kapitel gewidmet. Die Gendarmerie wurde zur Hauptwaffe gegen ländliche Unordnung. Sechs-Mann-Brigaden für jedes Kanton, die Verwaltungseinheit oberhalb der Gemeinden. Die Gendarme waren Exsoldaten mit fünf Jahren Kampferfahrung. Sie mussten lesen können und unverheiratet sein. Nie zuvor war der Staat so machtvoll und permanent auf dem Land vertreten. Unterstützt wurden diese lokalen Einheiten von den Nationalgarden. Es war ein titanischer Kampf, aber atomisiert in Hinterhalte, nächtliche Überfälle. All zu oft ist er vergessen, untergegangen im Getöse der großen Schlachten und Feldzüge.
Wo die Etablierung der Gendarmerie unterblieb, hatte man größere Probleme als normale Banditen. Süditalien und Spanien waren zu gefährlich für regelmäßige Patrouillen. Die Sicherstellung der Konskription war die wichtigste Aufgabe. In ganz Europa brachte sie Unruhe in die ländliche Bevölkerung. Wo immer die napoleonischen Armeen erschienen, verursachte der Widerstand gegen ihre Anforderungen Chaos. Die Armee musste dann ihre besten Veteranen für die Gendarmerie hergeben, um die Situation zu bereinigen. So kämpften immer mehr französische Soldaten gegen Banditen und widerspenstige Bauern, statt gegen Österreicher. Darüber hinaus setzten sie neue Standards für die nachfolgenden Regierungen der Restauration. Die Franzosen führten vor, wie man neue Gesetze implementierte, neue Gebiete integrierte und Konskriptionen relativ erfolgreich durchführte. Der Weg für den modernen Staat wurde erprobt.
Der fünfte Teil des Buches zeigt, wie in Spanien die Bekämpfung der Banditen den Guerillakrieg gebar. Im Häuserkampf gingen die Aufständischen dazu über, Häuser zu verminen. Irreguläre Kämpfer machten Spanien unregierbar. Abschnitt sechs behandelt die Auswirkungen der Ereignisse in Spanien auf Spanisch-Amerika. Einige der Führer der dortigen Aufstände hatten einst in Spanien für die Wiedereinsetzung Ferdinands VII. gekämpft, sie waren später vor seinem restaurativen Regime nach Amerika geflohen. Auch hier zeigte sich der Konflikt zwischen Stadt und Land.
Der siebte Teil schildert die Situation auf dem Balkan, dem "Paradies der Banditen". Die Osmanen kontrollierten nur die Städte. Überall zeigten sich archaische Muster, das moderne Konzept des griechischen Nationalismus ist noch nicht erkennbar. Das Griechenlandbild der westlichen Philhellenen hatte wenig mit den wirklichen Griechen zu tun. Als fatal erwies sich die Entscheidung des Sultans, die Janitscharen auf den Balkan einzusetzen, um sie von der Hauptstadt zu entfernen. Als das napoleonische Abenteuer seinem Ende entgegenging, waren es in vielen Teilen der Welt nicht die die Armeen, die triumphierten, sondern Banditen, Hirten, Schmuggler, die Männer der Berge. Das letzte Kapitel ist dem Nachleben der Rebellen und Banditenführer gewidmet. Napoleon zielte mit seiner Selbstinszenierung auf St. Helena auf die gebildete Jugend des neuen Jahrhunderts, nicht auf die Massen. Seine Gegner in dem "anderen Krieg" waren die Helden der ländlichen Welt, die Welt der Blutsteuer.
Etwas gewagt erscheinen zuweilen die Kontinuitätslinien, die Broers von der Antike bis zur Zeit Napoleons und von dort in die Gegenwart zieht. Mitunter stimmen Details nicht. Der Jäger des Schinderhannes heißt nicht Carl Becker, sondern Johann Nikolaus Becker (100). Er war der Verfasser der "Kritik der deutschen Reichsverfassung", ihn als Jakobiner zu bezeichnen, wird ihm nicht gerecht. Aber das sind unwichtige Anmerkungen, angesichts eines fantastischen Buches.
Italiener sprechen vom Campanilismus, Loyalität, die so weit reicht wie der Schatten des Kirchturms. Diese Welt der Kirchtürme wurde durch die Umwälzungen der Revolution traumatisiert, aufgewühlt und politisiert. Die Menschen sehnten sich zurück, in ein Zeitalter mit weniger Freiheit, aber mehr Unabhängigkeit. Diesen Vorgang beschreibt Broers in einer äußerst lesenswerten Weise.
Wolfgang Burgdorf