Dirk Baehr: Kontinuität und Wandel in der Ideologie des Jihadi-Salafismus. Eine ideentheoretische Analyse der Schriften von Abu Mus´áb al-Suri, Abu Mohammad al-Maqdisi und Abu Bakr Naji, Bonn: Bouvier 2009, 220 S., ISBN 978-3-416-03276-6, EUR 21,90
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Die vorliegende Qualifikationsschrift von Dirk Baehr ist eines der vielen Werke zum internationalen islamistischen Terrorismus, die der deutsche Büchermarkt seit dem 11.9.2001 bereithält. Es ist die Veröffentlichung einer politikwissenschaftlichen Magisterarbeit, die sich mit der ideologischen Komponente genannten Phänomens beschäftigt und in der Hauptsache die Ideen moderner islamistischer Ideologien zu analysieren sucht. Dieser Aspekt der Auseinandersetzung mit dem Thema wird im allgemeinen Forschungskontext eher vernachlässigt, was zumindest den Titel des Buches auch für ein Fachpublikum interessant macht.
Vorliegendes Werk "resultiert aus der Frage, wie eine gute Strategie zur Bekämpfung des dschihadistischen [sic.] Terrorismus gefunden werden kann" (8). Um nun fündig zu werden und diese effizient zu organisieren, bedürfe es einer "umfassenden Analyse der jihadi[sic.]-salafistischen Ideologie" (8). Weiter konstatiert Baehr: "Im Wesentlichen lassen sich Kontinuität und Wandel in den salafistischen und dschihadistischen [sic.] Schriften von Ibn Taymiyya über Sayyid Qutb bis zu den heute aktuellen Ideologen nur mit einer Textanalyse aufarbeiten" (10). Soweit ist Dirk Baehr ohne Einschränkung zuzustimmen, jedoch offenbaren sich schon in der Einleitung grobe handwerkliche Fehler, die zugleich die größten Schwächen des Werkes sind und es damit unbrauchbar machen. Denn wie die uneinheitliche und zuweilen völlig falsche Schreibweise aus dem Arabischen stammender Begriffe [zum Beispiel iftihad (19), sawha (26), jahiliyya ABER hakimiya (47)], ihre falsche Übersetzung, falsche Genusbildung und so fort bereits hier deutlich macht, beherrscht der Autor die Sprache nicht. Dies ist insofern ein gravierendes Manko, da er somit keinen Zugang zu den Originalquellen hat, die er einer "ideentheoretischen Analyse" unterziehen möchte. Der Verfasser verfehlt also den Anspruch seines Werkes, da er sich auf deutsche und englische Übersetzungen stützt, die er nicht überprüfen kann. Weiterhin kann Baehr nicht deutlich machen, welche Methode er für seine Analyse anzuwenden gedenkt.
Dieses Versäumnis ist die zweite große Schwäche des Buches, das sich in fünf größere Abschnitte sowie ein Literaturverzeichnis gliedert, das keine einzige arabische Quelle enthält und sich zu einem erheblichen Teil aus Publikationen verschiedener Sicherheitsbehörden oder ihnen nahestehender Personen speist.
Im ersten Abschnitt erläutert Baehr das Phänomen Salafismus und nimmt eine Typologie der salafistischen Strömungen vor, die sich an Quintan Wiktorowicz anlehnt. Im Vorgriff dazu schreibt er in der Einleitung, dass diese "der islamischen Zivilisation entsprungene" (10) Fiktion auch durch westliche Ideen beeinflusst worden sein könnte, übersieht aber, dass die Re-Islamisierung der arabischen Welt seit Ende des 19. und besonders seit Mitte des 20. Jahrhunderts im Wesentlichen eine Reaktion auf die als Bedrohung empfundene Kolonialisierung der arabischen Welt durch den Westen geschah und auch nur in diesem Kontext entsprechende Wirkung in der islamischen Welt entfalten konnte. Zumal die vom Verfasser vorgestellten aktuellen Ideologen geistesgeschichtlich ja nicht nur in einer Kontinuität innerhalb ihres eigenen Kulturkreises stehen, sondern sehr deutliche westliche Ideen und Konzepte rezipierten, um diesen genuin islamische Gesellschaftsmodelle entgegenzusetzen. Und damit geht es im arabischen Islamismusdiskurs eben nicht primär um eine Beseitigung der westlichen Hegemonie, sondern um eine authentische Moderne mit islamischem Antlitz.
Der zweite Abschnitt widmet sich der "Transformation vom politischen Salafismus zum Jihadi-Salafismus" (46), in dem der Autor schon fast "klassisch" eine ideologische Kontinuität darstellt, die von dem ägyptischen Muslimbruder Sayyid Quṭb über den palästinensischen Lehrer und Aktivisten 'Abdallāh 'Azzām bis hin zu dem Mann reicht, der gemeinhin als Gesicht des islamistischen Terrorismus dient, dem Saudi Usāma bin Lādin. Was Baehr hier darlegt, ist nicht originell, aber sachlich auch nicht grob falsch. Ungeachtet der Fehler beim Umgang mit dem Arabischen kommt der Rezensent ohne Suche nach dem Haar in der Suppe nicht umhin, auf Fehler hinzuweisen, die schlichtweg auf ungenaues Arbeiten schließen lassen. So lässt der Verfasser zwei zentrale Begriffe bei der Auseinandersetzung mit diesem Thema - "Dschihad" und "Gottesstaat" - nahezu unkommentiert. Diese beiden in der islamischen Welt kontrovers diskutierten Konzepte wenigstens ansatzweise rezeptionsgeschichtlich einzuordnen wäre hier hilfreich gewesen und unter Hinzuziehung allein europäischsprachiger Sekundärliteratur ohne Umstände zu leisten.
Die folgenden drei Abschnitte widmen sich nun dem Kern des Buches. Hier werden die Positionen Abū Muṣ'ab as-Sūrīs, Abū Muḥammad al-Maqdisīs und Abū Bakr an-Nā ǧīs vorgestellt. Wie in vorangegangenen Abschnitten ist dem Autor der Vorwurf der Wiedergabe falscher Tatsachen nicht zu machen. Vieles ist durchaus korrekt dargestellt und eingeordnet. Wo aber die eigenständige wissenschaftliche Leistung dieser Qualifikationsschrift liegt, ist nicht zu erkennen. Weder zeichnet der Autor - wenigstens teilweise - für die Übersetzung maßgeblicher Texte verantwortlich, was durchaus ein erster Schritt für eine grundlegende ideentheoretische Analyse wäre. Das Verdienst gebührt in diesem Fall Brynjar Lia und William McCants sowie verschiedener Übersetzer aus dem ǧihādistischen Spektrum, auf deren Translation sich der Autor ungeprüft verlässt. Noch ist eine originelle Einordnung der ideologischen Schriften zu erkennen, die von den - zumindest einem Fachpublikum - bekannten Erkenntnissen anglo-amerikanischer Terrorismusforschung abweicht. Dies ist aber, und das ist für die Beschäftigung mit diesem Thema durchaus fundamental, ohne Kenntnis des Arabischen nicht zu leisten. Was also auf den nächsten 100 Seiten folgt, ist im Wesentlichen deskriptiv und vor allem eine Auflistung von Zitaten. Weiterhin hat der Autor fleißige Internetrecherche auch zu ǧihādistischen Webseiten betrieben, allerdings beschert auch das der Leserschaft keinen wesentlichen Erkenntnisgewinn, da die letzten Abrufdaten der betreffenden Internetseiten fehlen.
Um jedoch etwas Positives an diesem Werk hervorzuheben, muss man sich das Fazit ansehen, in dem Dirk Baehr zu seiner Ausgangsfrage nach einer guten Strategie gegen den islamistischen Terrorismus zurückkehrt und - auch dies nicht originell aber richtig und wichtig - feststellt: "Der Kampf gegen den Terror kann nicht nur militärisch gewonnen werden. Wichtiger ist der Kampf um die Köpfe" (175). So bleibt also festzustellen, dass in der Tat hier ein hoch informatives Buch vorläge, wenn ein Autor mit Sprachkenntnis wesentliche Schriften moderner islamistischer Ideologen mit wissenschaftlichem Anspruch analysiert hätte, um diese in den Kontext der Ideengeschichte des extremen Islamismus einzuordnen.
Christoph Günther