Beatrice de Graaf: Über die Mauer. Die DDR, die niederländischen Kirchen und die Friedensbewegung (= Deutsch-niederländische Beziehungen; Bd. 4), Münster: agenda 2007, 445 S., ISBN 978-3-89688-312-4, EUR 34,00
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Rodric Braithwaite: Afgantsy. The Russians in Afghanistan 1979-1989, London: Profile Books 2012
Die westeuropäischen Friedensbewegungen der 1970/80er Jahre gehören zu den größten emotionalen Aufwallungen des 20. Jahrhunderts; für viele Teilnehmer stellen sie eine prägende Erfahrung dar. Der Umstand, dass diese Bewegungen von der KPdSU und ihren Gefolgschaftsparteien als ein politisches Instrument betrachtet wurden, mit dem den NATO-Staaten in einer militärstrategischen Konfrontation der Wille aufgezwungen werden sollte, kränkt viele Akteure noch heute, da sie ihr aufrichtig empfundenes Engagement abgewertet sehen. Dies hat unlängst zu einem heftigen Angriff auf Gerhard Wettig geführt, dem vorgeworfen wurde, er habe simplifizierend von einer "aus Moskau 'ferngesteuerten'" Friedensbewegung gesprochen.[1] Tatsächlich hatte Wettig aber nur aufgrund sowjetischer Dokumente herausgearbeitet, welche Rolle die Friedensbewegung im Kalkül der KPdSU spielte. Er hatte keinerlei Überlegungen zu den Motiven ihrer einzelnen Protagonisten angestellt und auch keine Gewichtung über den jeweiligen Einfluss ihrer unterschiedlichen Trägermilieus vorgenommen.[2]
Der Versuch, den Einfluss der UdSSR auf die Friedensbewegungen der 1970/80er Jahre zu bagatellisieren, stößt indes auf solide empirische Barrieren. Gerade für die Bundesrepublik ist gut belegt, dass die Bewegung mit beträchtlichen Mitteln und großem Vorlauf vor allem durch die SED und ihre Einflussapparate gefördert wurde. Sie völlig zu beherrschen, waren die Kommunisten dann aber wiederum auch nicht in der Lage.[3] Dass diese Konstellation keineswegs nur eine deutsch-deutsche war, zeigt nun der vorliegende Band der Historikerin Beatrice de Graaf, in dem diese sich mit dem Trachten der SED befasst, die christlichen Kirchen und die Friedensbewegungen in den Niederlanden zu instrumentalisieren.
In ihrer flott geschriebenen und gründlich recherchierten Arbeit - neben den einschlägigen DDR-Archivbeständen wurden u.a. auch Akten des niederländischen Geheimdiensts ausgewertet - gelingt es de Graaf, sowohl die Handlungen der niederländischen Akteure als auch die Winkelzüge von SED, MfS und DDR-Friedensrat nachzuzeichnen. Dabei nehmen die Auseinandersetzungen um die niederländische Friedensbewegung zwar den größten Raum ein. Ausgangspunkt ihrer Untersuchung sind aber die in den siebziger Jahren einsetzenden Bemühungen niederländischer Christen, Kontakte zu DDR-Partnergemeinden aufzubauen.
Die westlichen Individualisten gerieten dabei an einen totalitären Geheimpolizeistaat, der internationale Kirchenkontakte zuließ, weil er diese politisch zu nutzen hoffte: Während es den niederländischen "DDR-Gängern" sehr wohl gelang, authentische Kontakte zu DDR-Christen aufzubauen, wurden die Gegenbesuche von handverlesenen SED-Propagandisten aus dem Bund der Evangelischen Kirchen der DDR bestritten. Auf niederländischer Seite war die Haltung zum SED-Regime aber keineswegs einheitlich: Während christlich-sozialistische Gruppen in der DDR ein Vorbild sahen und der SED politisch zuarbeiteten, gab es andere, die Kontakte als Mittel zur Entfaltung widerständigen Verhaltens suchten. Zu letzteren gehörten die Bibelschmuggler, deren für die UdSSR bestimmte Lieferungen jedoch vom MfS mit Hilfe eines DDR-Pfarrers abgefangen wurden.
Die Fähigkeit der KPdSU, auch im internationalen kirchlichen Raum Themen zu setzen bzw. zu tabuisieren, wurde den niederländischen Kirchen bei der Vollversammlung des Weltkirchenrats Ende 1975 in Nairobi demonstriert. Die gleichgeschalteten Kirchenvertreter des Ostblocks und die antiimperialistisch aufgeheizten Kirchen der Dritten Welt setzten die Wahl des russischen Erzbischofs Nikodim zu einem der Präsidenten des Weltkirchenrats durch. De Graaf zufolge handelte es sich bei Nikodim um einen KGB-Agenten. Die von den Niederländern aufgeworfene Frage der Menschenrechte und der Religionsfreiheit im Osten wurde in Nairobi aus dem öffentlichen Diskurs der Weltkirche verbannt, ein Abrüstungsaufruf im Sinne des sowjetischen Friedenskampfs verabschiedet.
Ein Höhepunkt der kommunistischen Friedenskampagne - gerade auch in den Niederlanden - war 1977/1978 der globale Protest gegen die "Neutronenbombe". De Graaf zeigt anhand der DDR-Überlieferung, dass die von der Kommunistischen Partei der Niederlande initiierte Stop de Neutronbom-Bewegung ihre Schlagkraft auch den beträchtlichen Geld- und Sachmittel verdankte, die sie über den DDR-Friedensrat geliefert bekam. So förderte der Ostblock im März 1978 einen internationalen Kongress mit anschließender Massendemonstration durch die Zahlung von 140.000 Gulden, von denen je 50.000 auf die DDR und UdSSR entfielen.
Die kommunistischen Kampagnestrukturen, die mit dem Nato-Doppelbeschluss vom 12.12.1979 ihr nächstes Ziel erhielten, waren paneuropäisch und stets auf wechselseitige Stützung ihrer oft relativ kleinen Organisationskerne angelegt. So spielte der westdeutsche Stasi-IM Gerhard Kade auch international eine bedeutende Rolle, weil er mit den "Generalen für den Frieden" ein in alle NATO-Staaten hineinwirkendes Gremium führte, dessen profilierteste Mitglieder der deutsche General Gert Bastian und sein niederländischer Kollege Michiel von Meijenfeldt waren. De Graaf zeigt, wie sich der christliche Nuklearpazifist Meijenfeldt durch vom DDR-Friedensrat bezahlte Urlaubsreisen korrumpieren ließ und zu einer Art SED-Sprecher in der niederländischen Friedensbewegung wurde.
De Graafs Untersuchung wäre indes nicht der spannende Lesestoff, der sie ist, wenn es darin mit den Leuten vom Interkonfessionellen Friedensrat (IKV) der Niederlande, insbesondere dessen Generalsekretär Mient Jan Faber, nicht auch positive Figuren gäbe, die sich nicht vereinnahmen ließen, weil ihnen der Zusammenhang zwischen Frieden und Menschenrechten bewusst blieb. Ihre Versuche, mit den Dissidenten und unabhängigen Friedensgruppen im Osten eine paneuropäische Entspannung von unten zu initiieren, rückten sie ins Visier der Staatssicherheitsorgane. De Graaf schildert das Wirken jener Differenzierungsstrategie, mit der Faber und seine Mitstreiter kaltgestellt werden sollten. Dabei gelang es den kommunistischen Strippenziehern, die sogenannten "Spalterkräfte in der Friedensbewegung" soweit zu marginalisieren, dass diese 1985 die von ihnen mitinitiierte Konventsbewegung der "European Campaign for Nuclear Disarmament" verließen. De Graaf verdeutlicht, wie schwierig es selbst in den Niederlanden war, sich mit sowjetkritischen Positionen in der Friedensbewegung zu behaupten.
Andererseits trug der IKV durch seine Aktivitäten jenseits der Mauer auch zur Erosion des SED-Staats bei. Dafür wurde er ausgerechnet von der SPD kritisiert: So griff Horst Ehmke 1985 im Bundestag das Entspannungskonzept des IKV scharf an. Vier Jahre später gaben die DDR-Bürger aber Faber recht, der sich im Zuge seines pazifistischen Engagements gegen die deutsche Teilung ausgesprochen hatte.
De Graafs empfehlenswerte Arbeit zeigt, was Geschichtswissenschaft sein sollte: eine dichtgefügte und chronologisch sauber gearbeitete Analyse von Quellen, auf deren Grundlage die Frage einigermaßen zutreffend beantwortet werden kann, wie es denn gewesen ist. Die Einführung von literaturwissenschaftlichen Theorien und Begrifflichkeiten in die Geschichtswissenschaft führt dagegen eher in die Irre einer beliebigen Behauptbarkeit.
Anmerkungen:
[1] Holger Nehring / Benjamin Ziemann: Führen alle Wege nach Moskau? Der NATO-Doppelbeschluss und die Friedensbewegung - eine Kritik. In: VfZ 59 (2011), 81-100.
[2] Gerhard Wettig: Die Sowjetunion in der Auseinandersetzung um den Nato-Doppelbeschluss 1979-1983. In: VfZ 57 (2009), 217-259.
[3] Vgl. Udo Baron: Kalter Krieg und heißer Frieden. Der Einfluß der SED und ihrer westdeutschen Verbündeten auf die Partei "Die Grünen". Münster u.a. 2003; Michael Ploetz / Hans-Peter Müller: Ferngelenkte Friedensbewegung? DDR und UdSSR im Kampf gegen den NATO-Doppelbeschluss. Münster u.a. 2004.
Michael Ploetz