Berthold Petzinna / Renatus Schenkel (Hgg.): Vietnam - ein Krieg in Bildern. Horst Fass und andere Sachbuch (= Magdeburger Reihe; Bd. 31), Halle/Saale: mdv Mitteldeutscher Verlag 2021, 239 S., ISBN 978-3-9631-1212-6, EUR 18,00
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"The Real War Will Never Get in the Books". Mit diesem Satz überschrieb Paul Fussel, amerikanischer Literaturwissenschaftler und Veteran des Zweiten Weltkriegs, ein Kapitel seines Buches Wartime, das der Authentizität von Texten über die zutiefst verstörenden Schrecken des Krieges gewidmet ist. Mit Skepsis sah Fussel die in populären Bildbänden verbreiteten Kriegsfotos, die statt zertrümmerter Körper klinisch reine Impressionen von Entschlossenheit und Heldentum verbreiteten. [1] In dem hier angezeigten Band geht es um die Fotos von Bildberichterstattern, die den Krieg in Vietnam von 1965 bis 1975 dokumentierten. Ausgangspunkt ist der Nachlass des Journalisten Horst Faas, der sich heute in der Obhut der Hochschule Magdeburg-Stendal befindet. Berthold Petzinna und Renatus Schenkel haben an dessen Sicherung und Erschließung mitgewirkt. Mit dem von ihnen herausgegebenen Buch verfolgen sie die "Zielsetzung [...], das Umfeld des Vorlasses und dann Nachlasses zu vermessen". Leitmotiv der Beiträge ist "die indirekt gestellte Frage, ob es eine besondere, heute weiterhin nachwirkende 'Bildwelt' jenes Krieges gegeben hat" (8). Bei den Aufsätzen des Bandes handelt es sich also um Texte über Kriegsfotos. Im Sinne Fussels kann man fragen, wieviel Wahrheit über den Krieg in diesen Fotos steckt? Und wie nahe die Texte des Bandes diesem echten Krieg kommen?
In ihrem Beitrag über "Desiderate und Perspektiven der Kriegsbilderforschung im Zeitalter der Digitalisierung" nehmen Petzinna und Schenkel die von ihnen sogleich verworfene Einschätzung des US-Präsidenten Nixon als Ausgangspunkt, die "Kriegsbildberichterstattung" sei ein entscheidender Faktor für die Niederlage der USA in Vietnam gewesen. Zugleich konstatieren sie, dass "wesentliche Fragen zur tatsächlichen Wirkung dieser Kriegsbilder auf die US-Gesellschaft und die übrige Welt nach wie vor offen" seien (10). Der Kontrast zwischen den Fotografien des Zweiten Weltkriegs und den Fernseh- und Fotobildern aus Vietnam, den Fussel angesprochen hat, spielt bei Petzinna und Schenkel keine Rolle. Vielmehr kommen sie bei der Untersuchung der Frage, ob "im Kontext des Vietnam-Krieges spezifische 'Bilderwelten' ausgeprägt" worden seien, ohne Vergleichsebene aus (19). Stattdessen sehen sie sich einem komplexen "Wirkungsgefüge von individuellen, sozialen, politischen, kulturellen und allgemeingesellschaftlichen Faktoren" gegenüber, dessen angemessener Einbezug Voraussetzung für "das Verständnis der Wirkungsweise von Kriegsbildern" sei (11). Die Komplexität des Vietnamkriegs selbst bleibt bei Petzinna, Schenkel und den anderen Autorinnen und Autoren des Bandes jedoch eher unterbelichtet; dass es sich nicht um einen Krieg der USA gegen "die Vietnamesen", sondern auch um einen vietnamesischen Bürgerkrieg handelte, bleibt ebenso unverstanden wie die treibende Kraft der nordvietnamesischen Kriegsmaschinerie, die zur Zermürbung der USA jedes Jahr einen neuen Jahrgang Wehrpflichtiger zum massenweisen Sterben in den Süden schickte.
Als Besonderheit des Vietnam-Krieges benennen Petzinna und Schenkel, dass "keine systematische Presse- und Bildzensur" stattfand und Journalisten die amerikanischen und südvietnamesischen Truppen nahezu uneingeschränkt bei ihren Einsätzen begleiten konnten (18). Faas gehörte zu jenen, die das unmittelbare Kriegsgeschehen als teilnehmende Beobachter fotografierten. Er wirkte später als Leiter des AP-Büros in Saigon und trug so zur Veröffentlichung einiger der bekanntesten Bilder des Krieges bei. Petzinna skizziert in seinem Beitrag Leben und Werk des 1933 in Berlin geborenen Faas. Nähere Angaben zu den Kriegserlebnissen, die Faas Kindheit prägten, macht er leider nicht. Mehr erfährt man zu den Arbeitsbedingungen des Journalisten in Vietnam und seinem symbiotischen Verhältnis zu den US-Streitkräften, die als Institution offenbar so von naivem Sendungsbewusstsein erfüllt waren, dass sie sich ohne Scheu bei ihren Search-and-Destroy-Einsätzen ablichten ließen. Zur Illustration des Beitrags verwendet Petzinna eine Aufnahme von 1966, die einen US-Soldaten zeigt, der mit versteinertem Gesicht auf der Böschung eines kleinen Kanals hockt, in dem vietnamesische Frauen mit ihren verängstigt zu dem Soldaten aufblickenden Kindern Deckung genommen haben (32). Petzinna schreibt: "Dass sich dieser Krieg inmitten der Zivilbevölkerung abspielte, gab den Motiven nicht nur der Bilder von Horst Faas ihre besondere Eindringlichkeit" (31).
Petzinna betont, dass sich durch die Offenheit des US-Militärs ein Ungleichgewicht der Bildberichterstattung ergab: Während es zu den zahlreichen Kriegsverbrechen der kommunistischen Seite (Vietkong und nordvietnamesische Streitkräfte) kaum Bildzeugnisse gibt, sind Misshandlung und Folter von gefangenen Vietcong-Kämpfern und -Verdächtigen durch südvietnamesische und US-Truppen breit dokumentiert. Die Fotos verweisen zum einen auf die Stressreaktionen von Soldaten, die durch Minen und Hinterhalte Verluste erlitten hatten, zum anderen auf die insbesondere bei der südvietnamesischen Armee (ARVN) verbreitete Folter. Das bekannteste Foto dieses Bildgenres stammt von Eddie Adams und zeigt, wie der südvietnamesische Polizeigeneral Nguyen Ngoc Loan einem Angehörigen eines Terrorkommandos des Vietcong in den Kopf schießt, der 1968 während der Tet-Offensive an der Ermordung eines ARVN-Offiziers und dessen achtköpfiger Familie beteiligt war.
In seinem Aufsatz "Medienikonen - das Beispiel 'Hinrichtung in Saigon' von Eddie Adams" liefert Manuel Pape eine "ikonologische" Analyse des Fotos, die zu den Tiefpunkten des Bandes zählt. Sachliche Fehler und gefühlige Spekulation verdichten sich zu Kitsch: "Die Kugel ist im Moment der Aufnahme gerade im Begriff, den Lauf zu verlassen. Nüchtern betrachtet, heißt das, dass Lem [das Opfer] in diesem ewig konservierten Augenblick noch lebt. [...] Der Tod wird ihm durch die Schläfe ins Gehirn dringen. Es ist unumgänglich." Pape ordnet die Tat als Mord ein (101f.), was juristisch betrachtet zutreffend ist, aber auch die verstörenden Ambivalenzen der durch jahrelangen Krieg und extreme Gewalterfahrungen zutiefst traumatisierten und verrohten vietnamesischen Gesellschaft eilfertig verdrängt.
Michael Linde setzt sich mit der Fotografin Catherine Leroy - von der wir etwas zu oft erfahren, dass es sich bei ihr um eine "junge Blondine" (50), eine "zierliche Blondine" (51) beziehungsweise eine "blonde [...] Französin" (59) handelte - und der Frage auseinander, ob sich bei ihren Fotos "ein weiblicher Blick" feststellen lasse. Nach der Analyse von fünf Aufnahmen kommt er zu dem Ergebnis, dass dies nicht der Fall sei. Insgesamt verdeutlicht sein Beitrag, wie absurd diese Fragestellung ist. Zum einen war Leroy eine ganz außerordentliche Persönlichkeit, deren Wunsch, zu sehen, "wie der Krieg wirklich ist" (50f.), sie nach Vietnam noch in eine ganze Reihe anderer Kriege ziehen ließ. Zum anderen ist der "weibliche Blick" eher ein Klischee als eine Kategorie, die sich irgendwie wissenschaftlich bestimmen ließe. Hinzu kommt, dass Kriegsgeschehen einen extremen emotionalen Überwältigungscharakter hat und Kriegsfotos, so sie nicht gestellt sind, zumeist aus der konkreten Situation heraus entstehen. Die Gegenüberstellung von zwei von Linde ausgewählten Fotos verdeutlicht dies. Das eine zeigt, wie ein US-Soldat in einem sumpfigen Gewässer auf einen knienden Gefangenen einprügelt, dessen Kopf unter der Wucht des Schlages zur Seite fliegt. Auf dem anderen Bild sehen wir nordvietnamesische Soldaten, die auf einem Abhang verteilt stehen (71). Die Aufnahme entstand während der Tet-Offensive, als Leroy nach der Einnahme Hues für kurze Zeit in Gefangenschaft geriet. Linde sieht in dem Bild zu Recht die propagandistische Absicht der posierenden Nordvietnamesen reflektiert. Leroy brachte es mit ihren Aufnahmen aus Hue zu einer Titelstory im Life-Magazin. In Leroys Fotos ungezeigt und in Lindes Beitrag unerwähnt bleibt, dass die Kommunisten während der Besetzung Hues mehrere tausend sogenannte Volksfeinde verhafteten und, häufig auch familienweise, ermordeten. Faas dokumentierte die Trauer der Angehörigen bei der Identifizierung der aus Massengräbern exhumierten Toten.
Den besten Beitrag des Bandes liefert Henriette Tanner, die die Dokumentarfilme von Hans-Dieter Grabe über das bundesdeutsche Lazarettschiff "Helgoland" nicht nur einer dichten Lektüre unterzieht, sondern auch gekonnt in die Geschichte des westdeutschen Fernsehdokumentarfilms einordnet. Grabe, der als achtjähriges Kind die alliierten Bombenangriffe auf Dresden erlebt hatte, zeigte in schwer erträglicher Deutlichkeit die extrem schmerzhaften und langwierigen Behandlungen napalmverbrannter und minenversehrter Kinder.
Insgesamt hinterlässt der Band von Petzinna und Schenkel einen eher zwiespältigen Eindruck. Sein Hauptverdienst liegt darin, auf Horst Faas' Nachlass aufmerksam zu machen. Es bleibt zu hoffen, dass die Hochschule Magdeburg-Stendal nun den nötigen wissenschaftlichen Apparat schafft, um sich auch vor Ort angemessen an der weiteren Erschließung dieses Schatzes beteiligen zu können.
Anmerkung:
[1] Paul Fussell: Wartime. Understanding and Behavior in the Second World War, New York 1989, 267-297.
Michael Ploetz