Daniel Woolf: A Global History of History, Cambridge: Cambridge University Press 2011, XXVII + 568 S., 52 s/w-Abb., ISBN 978-0-521-69908-2, GBP 60,00
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Globalisierung vereinigt ein Bündel paradoxer Effekte in sich. Sie erzwingt Spezialisierung in den Geisteswissenschaften und 'globalisiert' sodann die Spezialisierungen. Das bedeutet zugleich: Je umfassender die Perspektive, desto deutlicher werden die Konstruktionszwänge. Noch vor dreißig Jahren war die Historiographiegeschichte ein eurozentrisches Steckenpferd für alle die Historiker, die sich nicht der Fron der reinen Methodologie unterwerfen wollten und es deshalb vorzogen, in einer bequemen Nische der Wissenschaftsgeschichte zu überwintern. Diese idyllische Phase ist inzwischen zu Ende gegangen. Die Historiographiegeschichte entwickelt sich zu einer Disziplin, die inzwischen fähig ist, gleichzeitig die historische Methodologie und die Fachgeschichte herauszufordern.
Daniel Woolf, der Verfasser dieser ersten umfassenden englischen 'History of History' war maßgeblich an diesem Wandel beteiligt. Man verdankt ihm drei Monographien zur frühmodernen britischen Geschichtskultur sowie eine "Global Encyclopedia of Historical Writing" (1998). Nun krönt er als Hauptherausgeber der gerade erscheinenden sechsbändigen "Oxford History of Historical Writing" seine Bemühungen. Es ist keine abwegige Vermutung, dass diese "Cambridge History of History" ein Abriss (Epitome) des in Oxford angesiedelten Großprojektes ist. Dies ist einer der seltenen Fälle, in dem die 'Kopie' dem Original vorausgehen darf. Ebenso bemerkenswert ist, dass Daniel Woolf die Form eines 'textbook' gewählt hat, ein ungewöhnliches Format, wurde die Historiographiegeschichte doch bislang von den anglo-amerikanischen Klassenzimmern eher ferngehalten.
Dem pädagogischen Zweck gemäß wird alles getan, damit sich der Leser zuhause fühlt: Zeitschienen verteilen Basisinformationen; zweiundfünfzig ausgesuchte Abbildungen vermitteln den Eindruck von Historiographie als 'materieller Kultur'; weiterhin erhellen fünfunddreißig 'Fenster' systematische Begriffe und Hauptwerke, von denen sechsundvierzig in kleinen 'Auszügen' zugänglich gemacht werden. Daniel Woolf vermeidet es, den Leser mit zu vielen Fußnoten zu ängstigen, verweist stattdessen auf eine stattliche Lektüreliste zum Weiterstudium. Hier findet fast ausschließlich englischsprachige Literatur Erwähnung. Sollte pädagogisches Entgegenkommen so weit gehen? Dafür fällt der Umfang an Informationen, den dieser Überblick auch zu abgelegenen Gebieten liefert, so beeindruckend wie konkurrenzlos aus.
An diesem Punkt könnte man die Zielsetzungen des Autors referieren und induktiv überprüfen, inwieweit er ihnen gerecht geworden ist. Im Falle dieser "Global History of History" scheint es jedoch angebracht, mit der 'dichten Beschreibung' fortzufahren, um zu der eigentlichen Agenda des Werks vorzudringen. Eine globale Perspektive einzunehmen, bedeutet vor allem eine Strukturierung des Zeit-, Raum- und Kulturkontinuums vorzunehmen. Hier fallen die Vorentscheidungen des Autors erhellend aus. Kapitel eins 'Grundlagen' verweist weder auf Zeit noch auf Ort: eine geschickte Bewegung auf einen demokratischen Universalismus zu. Jeder könnte der 'Erfinder der Geschichte' sein bzw. gewesen sein oder sogar noch werden. Kapitel zwei behandelt die 'Geschichte während des ersten nachchristlichen Jahrtausends'. Hier wird die klassische Periode der Geschichtsschreibung umrissen, ohne auch nur im mindesten auf so etwas wie einen 'Kanon' Bezug zu nehmen. Überblickt man die nachfolgenden Kapitel, so beeindruckt, wie sorgfältig Daniel Woolf es vermeidet, auch nur einen Schatten eurozentrischer Strukturierung auf die globale Gesamtheit der Geschichtsschreibung zu werfen. Kapitel drei 'Ein Zeitalter der Gewalt ca. 1000-1450' zerschneidet das europäische Mittelalter ebenso wie die Goldene Periode des Islam und die Ming-Dynastie. Es bringt aber das Genji Monogatari und die Mémoires von Philippe de Commynes in einem Narrativ zusammen. Die unbekümmerte Neigung, den Europäern liebgewordene zeitliche und kulturelle Grenzen aufzubrechen, bestimmt auch die restlichen Kapitel. Kapitel sechs spricht nur folgerichtig von 'Eurasischen Aufklärungen'; Nummer acht verfolgt die 'Europäische Historiographie in Asien, Amerika und Afrika', während das Abschlusskapitel 'Ein babylonischer Turm? Geschichte im 20. Jahrhundert' gänzlich leidenschaftslos den Pluralismus und Dekonstruktivismus der Postmoderne vorführt. Allein das Kapitel sieben fällt aus diesem Schema: 'Der zerbrochene Spiegel' ist eine nichtvergleichende Einschätzung von Europas großem 19., dem 'historischen Jahrhundert' zwischen Nationalismus, Romantik und Professionalisierung.
Es wäre nicht zielführend, alle die Fakten, Theorien, Werke und Traditionen anzuführen, die 'im Buch' sind und welche willentlich oder unabsichtlich übergangen wurden. Ergebnislos dürfte auch eine Diskussion mit dem Autor über die Grundannahmen ausfallen, auf denen seine höchst persönliche Themenmischung von Geschichtsschreibung, historischer Kultur und 'historischer Wirklichkeit' beruht. Auch nach der Variante der Globalisierungstheorie sollte man nicht suchen, in deren Kontext der Spezialfall 'Geschichte' gesetzt wird. Man findet sie nicht. Man tut besser daran, nach dem spezifischen Umriss, der Gestalt von Daniel Woolfs Projekt zu fragen.
Der Zweck dieses Werks besteht zweifellos darin, eine beeindruckende Anzahl von Versuchen, 'mit der Vergangenheit zurechtzukommen', die bislang isoliert geblieben sind, zu einem einzigen Narrativ zusammenzufassen, ohne jedoch nur eine weitere 'Meistererzählung' vorzulegen. In Woolfs eigenen Worten: "Die Herausforderung dieses Buches besteht also darin, eine zusammenhängende, weltweite Geschichte der Geschichte der Geschichte (sic) zu erzählen, ohne entweder ein Kaleidoskop unterschiedlich gefärbter Geschichten zu erschaffen, schön und schwindelerregend, aber letztlich doch nur momentbezogen, flüchtig und bedeutungslos, oder das Gegenteil, einen Langen Marsch, eine Triumphgeschichte, die unvermeidlich zur modernen Hochschule führt" (10-11). Diese Position umschreibt ein Paradoxon: Gewählt wird eine bewusst abgeschwächte Erzählstruktur (emplotment), die freilich zu umso stärkeren Eindrücken beim Leser führt.
Man darf einräumen, dass es Daniel Woolf gelungen ist, seine pluralistische Geschichte zu erzählen. Für diesen Erfolg musste er jedoch einen hohen Preis entrichten. Zunächst musste er alle älteren und erprobten Handlungsschemata ausblenden, zum Beispiel die Geschichte des 'Kanons', eine keineswegs unfruchtbare Erzählung. Ebenso musste er oftmals das Unvergleichbare miteinander vergleichen und die Entstehungskontexte vernachlässigen. Folglich unterbleibt eine intensivere Reflexion des Vergleichs als Basisstruktur des Buches: Sollte man nicht eher Typen als Werke miteinander vergleichen, nicht besser Strukturen als Rhythmen der Veränderung? Auf gleiche Weise musste der Verfasser auch die Probleme der Qualität, von Nachahmung und Wahrheit zugunsten eines universalen Prozesses zurückdrängen, in dem die gleiche Sache auf stets andere Weise getan wird, wobei dann die identifizierbaren Elemente auf ganz wenige begrenzt werden. Auch hätte die Geschichte des historischen Schreibens, besonders der historischen Genera, erheblich an Klarheit gewonnen, wären die Ergebnisse der Literaturtheorie nicht eher aus- als eingeschlossen worden.
Dennoch bleibt dieses Buch eine beachtliche ja erstaunliche Leistung. Es könnte sogar zu einem Leitwerk der Gattung Historiographiegeschichte werden. Indem er die komplexen Resultate europäischer Selbstrepräsentation in der Geschichte der Geschichtsschreibung verwirft, hat Daniel Woolf diese Geschichte für die 'Nichteuropäer' geöffnet bzw. für jene Europäer, die nicht länger Lust dazu verspüren, Europäer zu sein. Allen diejenigen, die mit einem empfindlichen Sensorium für die Geschichte der 'europäischen Ausnahme' ausgerüstet sind, erteilt dieses Buch eine Lektion an Demut. Man greife zum Beispiel zu Woolfs Abschlussbemerkungen zum globalen Mittelalter. Hier werden uns fast alle unsere historiographischen Trophäen wie Enzyklopädie, Biographie und historische Novelle genommen und 'den anderen', vornehmlich den Chinesen, übereignet.
Die Lektüre dieses Buches wirkt auf den europäisch eingestellten Historiker wie eine bittere Pille. Dies könnte aber zu einem heilsamen Erwachen führen. Unsere stolzeste Geschichte kann als Geschichte einer Illusion erzählt werden. Nur, was folgt daraus? Die Antwort fällt so einfach wie schwer umzusetzen aus. Es ist an der Zeit, eine neue 'Geschichte der Differenzen' in bester europäischer Tradition zu erzählen. Zum Beispiel: Dass es nicht ein Europa gibt, sondern viele; dass Europa keine eindeutigen Grenzen aufweist; dass Europa 'achronisch' aufgebaut ist, dass europäische Wissenschaft konstitutiv auf dem Zweifel beruht; dass die europäische Identität zu einem guten Teil aus 'den anderen' besteht, etc. Jetzt, wo der Westen provinzialisiert ist, eröffnet sich ihm die unglaubliche Chance, seinen so überflüssigen wie überoptimistischen Universalismus abzustreifen, um glücklich bei seiner eigenen 'différance' anzukommen. Schon deshalb sollte Daniel Woolfs globalisierte Clio dankbar empfangen werden, als großherziger Aufruf, sich doch wieder mit den eigenen Wurzeln zu beschäftigen.
Eine geringfügig veränderte Fassung dieser Rezension in englischer Sprache erscheint in der English Historical Review.
Markus Völkel