Alexander Demandt: Alexander der Grosse. Leben und Legende, München: C.H.Beck 2009, XIV + 655 S., ISBN 978-3-406-59085-6, EUR 29,90
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Und noch eine Alexanderbiographie!? Das mag sich der geneigte Leser zunächst denken, wenn er das stattliche Werk aus der Feder eines weiteren "Großen", nämlich der Althistorikerzunft, Alexander Demandts zur Hand nimmt. Gibt es doch genug, auch deutschsprachige, mehr oder weniger wissenschaftliche, Biographien zu dieser neben Caesar wohl markantesten Figur des Altertums. Zudem begegnet er allenthalben in den anderen modernen Medienformen, so dass anscheinend schon alles über Alexander, Sohn des Philipp, schon einmal gesagt, geschrieben oder verfilmt scheint.
Doch diese Biographie ist anders, worauf schon der Untertitel "Leben und Legende" hinweist. Es sind im Grunde genommen drei Längsschnitte durch das dicke Holz der Alexanderüberlieferung, die Demandt in diesem voller humanistischer Gelehrsamkeit und daher nicht immer in leicht verdaulicher Sprache geschriebenen Werk bietet: Der in kritischer Abwägung der Quellen "historische" Alexander, der Alexander in der verformenden und ausgestaltenden antiken Überlieferung sowie der "rezipierte" Alexander als ideologische Leitfigur in Mittelalter und Neuzeit. Demandt gelingt es dabei, diese drei Stränge nicht nebeneinanderlaufen zu lassen, sondern immer wieder und bei jeder sich bietenden Gelegenheit kunstvoll miteinander zu verweben, so dass tatsächlich eher von einem kulturhistorischen Aufriss zu Alexander dem Großen gesprochen werden sollte.
Deutlich wird dies bereits im ersten Kapitel, das den Quellen zur Alexandergeschichte gewidmet ist (1-32): Nicht nur das klassische literarische Quellenmaterial, geschieden in (verlorene) zeitgenössische Werke und die großen "Fünf" der mehr oder weniger glaubwürdigen antiken Autoren (Arrian, Plutarch sowie die sog. Vulgata mit Diodor, Justin alias Pompeius Trogus und Curtius Rufus), wird neben den verstreuteren Nachrichten bei weiteren antiken Sammelwerken (Strabon, Plinius etc.) sachgerecht und kritisch hinterfragend aufbereitet; ebenso spielen die von Demandt als "Sachquellen" bezeichneten Funde wie Papyri, numismatisches Material oder archäologische Überreste eine prominente Rolle. Doch auch hier macht Demandt nicht halt, da er zusätzlich der antiken Legendenbildung um Alexander, insbesondere dem Alexanderroman, sowie den griechisch-christlichen, orientalischen und westlich-mittelalterlichen Schriften über den Makedonen Raum gewährt, aus denen sich dann folgend sein profundes Wissen speist. Die massenhaft vorliegende und mittlerweile nicht mehr zu bewältigende Sekundärliteratur zu Alexander (vgl. das Vorwort: X) bleibt bei Demandt zwar nicht außen vor (Sekundärliteraturverzeichnis: 603-613), steht jedoch deutlich hinter der exakten, manchmal sehr verliebten Quellenheranziehung zurück, wie bereits ein Blick in die Endnoten (485-574) verrät, die nur ab und an einmal auf Forschungsbeiträge verweisen.
Hernach bieten zwei vorgeschaltete Kapitel die Rahmenbedingungen, in denen Alexander als makedonischer König agierte, dar: Dies ist zum einen ein kurzer strukturgeschichtlicher Beitrag zum Perserreich (33-53), also dem hauptsächlichen Wirkungs- und Eroberungsgebiet des Makedonen, zum anderen ein Abriss zu Leben und Leistung Philipps II. von Makedonien, Alexanders Vater, (55-79), in vielem der Wegbereiter und auch Vordenker der späteren Handlungen seines Sohnes.
In acht Kapiteln durchschreitet Demandt dann diachron das Wirken Alexanders, von den Anfängen mit der Thronnachfolge sowie der nicht ganz reibungslosen Machtübernahme im Korinthischen Bund über die Siegeszüge gegen Darius III. bis hin zur Umkehr am Hyphasis und dem Tod in Babylon. Alle Abschnitte durchweht dabei stets ein Hauch von Demandts Bildungsbürgertum, da er es nicht bei der Darstellung der Ereignisse belässt, sondern bei jeder sich bietenden Gelegenheit auf historische Analogien, Vor- und Nachgeschichten berühmter Orte oder Nachwirkungen von Alexanders jeweiliger Leistung selbst hinweist. So werden bspw. die drei entscheidenden Schlachten gegen Darius III. (Granikos, Issos, Gaugamela) in ihrer Nachwirkung in Literatur und Kunstgeschichte dargestellt oder Parallelen zwischen dem geheimnisvollen Brand von Persepolis und weiteren bedeutenden Bränden der Weltgeschichte (z.B. dem Reichstagsbrand 1933) gezogen.
Insofern sind das elfte Kapitel "Alexander im Wunderland" (273-311), das zwischen die verlustreichen Siege in Indien und die letztlichen Rückkehrrouten geschoben ist, sowie das fünfzehnte Kapitel "Alexander im Spiegel der Nachwelt" (405-455) nur die Spitze des Eisberges: hier werden Berichte zu angeblichen Reisen Alexanders in alle Himmelsrichtungen über die bereits erbrachten Eroberungszüge hinaus untergebracht, dort die Inanspruchnahme des "historischen" wie "mythischen" Alexander als exemplum bonum et malum vom Hellenismus über die römische Welt [1] bis in die Neuzeit und die deutende wie wertende Forschungsgeschichte hinein eindrucksvoll aufgezeigt; mithin scheinen diese beiden Kapitel nur das auszulagern, was bei einer Einbettung an entsprechender Stelle den lesbaren Rahmen gesprengt hätte.
Nach dem chronologischen Part mit Ende und Tod in Babylon gibt Demandt einen kurzen, da in der Überlieferung auch deutlich schwächer ausgeprägten Einblick in die Innenpolitik Alexanders im dreizehnten Kapitel (353-379). Er konturiert dabei deutlich die beiden zugrundeliegenden Prinzipien der Herrschaftsorganisation, nämlich einerseits des monarchischen Zentralismus sowie des damit nicht in Widerspruch stehenden Regionalismus einzelner Territorien bzw. Städte. Dass das zusammenbindende Glied zwischen beiden Strukturen dabei Alexander höchst selbst mit seiner "Menschheitsidee" gewesen sei, begleitet dann als These in den folgenden kurzen Ausblick zur Entwicklung des Eroberungsgebietes im Hellenismus (381-403) genauso wie bei der abschließenden Gesamtbewertung unter dem Titel "Alexander der Grosse?" (457-483). Obgleich Demandt hier durchaus kritisch die oft eindimensionale Perspektive des Konzepts "groß" anhand der Faktoren Eroberer, Entdecker, Staatsmann, Mensch sowie Integrationsfigur hinterfragt und mit anregenden Beispielen aus der Weltgeschichte kontrastiert, zeigt er letztlich doch als prominenter Vertreter der kontrafaktischen Historiographie, die auch in diesem Werk immer mal wieder zum Ausdruck kommt, Sympathie für das Modell A. J. Toynbees, der den in Babylon überlebenden Alexander als Ansatzpunkt für eine friedliche und zivilisierte Weltordnung à la Commonwealth nahm. [2]
Wenn abschließend die umfangreiche Zeittafel (575-579) sowie Karten (583-587) und Stemmata der Herrschergeschlechter (591-595) nur der Vollständigkeit halber erwähnt seien, weist dies allein auf den ungeheuren Facettenreichtum der breiten wie tiefgehenden Darstellung dieser Alexanderbiographie hin. Hieran können (und sollen) sich gerne noch viele Menschengenerationen inspirieren lassen.
Anmerkungen:
[1] Vgl. hierzu jetzt auch ausführlich: A. Kühnen: Die imitatio Alexandri in der römischen Politik (1. Jh. v. Chr. - 3. Jh. n.Chr.), Münster 2008.
[2] Vgl.: A. J. Toynbee: If Alexander the Great had lived on, in: Some Problems in Greek History, hg. von ders., Oxford 1969, 441-486; dt. Fassung: Alexander der Große - wird alt, in: Virtuelle Antike. Wendepunkte der Alten Geschichte, hg. von K. Brodersen, Darmstadt 2000, 43-102.
Sven Günther