Gerd Krumeich (Hg.): Nationalsozialismus und Erster Weltkrieg (= Schriften der Bibliothek für Zeitgeschichte. Neue Folge; Bd. 24), Essen: Klartext 2010, 416 S., ISBN 978-3-8375-0195-7, EUR 29,95
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Das Feld der Erforschung der Kontinuitäten innerhalb des zweiten Dreißigjährigen Krieges ist nicht unbestellt. [1] Der vorliegende Band widmet sich im Speziellen der Frage nach der Bedeutung des Ersten Weltkrieges für den Nationalsozialismus unter der leitenden These, dass "die NSDAP stärker als jede andere politische und militärische Organisation nach 1918 die Erinnerung und das Gedenken an den Weltkrieg hochhielt und politisch vorantrieb" (12). Ob dem wirklich so war, müsste ja vergleichend eruiert werden, was hier kaum geschieht. Interessanter ist der Befund des Herausgebers einer "Konkurrenz von Traditionalismus und spezifischer NS-Adaptierung der Weltkriegs-Erinnerung" (15). Beides ist auch bei Hitler selbst festzustellen, wobei der entsprechende Beitrag von Gerhard Hirschfeld die Studie von Thomas Weber zu Hitler und dem List-Regiment im Ersten Weltkrieg leider nicht mehr berücksichtigen konnte. Durch deren Ergebnisse sind doch viele ältere Spekulationen über eine angebliche Politisierung und antisemitische Positionierung Hitlers aufgrund des Ersten Weltkrieges überholt. [2]
Ein Teil der Autoren hat schon des Öfteren zusammengearbeitet, was sich in intensiven gegenseitigen Zitationen niederschlägt. Wirklich problematisch ist aber, dass die mit guten Gründen stark kritisierten Thesen von Böhler, Horne/Kramer oder Liulevicius in einigen Beiträgen kommentarlos als Belege angeführt werden, so als ob deren Studien einen gesicherten Forschungsstand wiedergäben. [3]
Neben einigen Beiträgen, die eher Bekanntes aus größeren Studien zusammenfassen, bietet der Band auch einige Detailstudien, darunter zwei Beiträge zum Ersten Weltkrieg im Film. Rainer Rother stellt G. W. Pabsts ambivalent rezipierten, von den Nationalsozialisten freilich gehassten Film "Westfront 1918" von 1930 dem Gegenfilm "Stoßtrupp 1917" von Hans Zöberlein (1934) gegenüber. Florian Kotscha geht akribisch dem schwierigen Entstehungsprozess von Karl Ritters Film "Unternehmen Michael" über die Großoffensive im Frühling 1918 nach. Zuerst von Goebbels ermöglicht, verbot der Propagandaminister 1940 den Film, dem bereits ein realitätsfernes und teilweise pflichtvergessenes Soldatenbild vorgeworfen worden war. Es war wohl weniger fehlende nationalsozialistische Propaganda, die Goebbels sowieso nur unterschwellig in seinen Filmen sehen wollte, als der Bezug zur Kriegsniederlage, welcher den Film ihm nun inopportun erschienen ließ.
Besonders auf dem ökonomischen Terrain wollten die Nationalsozialisten aus dem Ersten Weltkrieg lernen. Hunger und Ressourcenknappheit sollte vorgebeugt werden. Trotzdem, so Kim Christian Priemel, finden sich konkret kaum Hinweise, dass das Kriegsamt und die Kriegsgesellschaften als konkrete Negativ- oder auch Positivfolien dienten. Extensive Verschuldung und die Ausbeutung der besetzten Gebiete bewirkten jedoch, dass die Kosten des Krieges relativ unsichtbar und die Versorgungslage im Vergleich zum Ersten Weltkrieg relativ stabil blieb. Angesichts der ungleichen Ressourcenverteilung ist laut Priemel das Erklärungsbedürftige "nicht die deutsche Niederlage, sondern die lange Zeit und die enormen alliierten Anstrengungen, deren es bis dahin bedurfte." (322) Eine Erklärung nennt Ulrich Herbert in seinem Beitrag mit Verweis auf Martin van Crefelds bekannte Studie über die überlegene deutsche Kampfkraft, welche der verbesserten militärischen Ausbildung, dem großen Spielraum der mittleren Offiziersebene im Rahmen der Auftragstaktik, aber auch der harschen Disziplinierung geschuldet war.
In einem knappen Schlusswort verweist Dirk Blasius mit Carl Schmitt auf die Hegung des Krieges durch das klassische Völkerrecht. Die "Enthegung" (Herfried Münkler) des Krieges hatte mit der Zerstörung dieses auf Gleichheit und Anerkennung des Feindes ruhenden klassischen Völkerrechtes einen markanten Ausdruck gefunden. Nach der Ideologisierung des Krieges auf allen Seiten (hierzu fehlt ein Beitrag) wurden mit dem Versailler Vertrag die fundamentalen Rechtsgrundsätze "nullum crimen, nulla poena sine lege" und "par in parem non habet jurisdictionem" dauerhaft außer Kraft gesetzt. Das ist aber eine Blindstelle des Bandes, in dem Versailles, wenn überhaupt, zumeist nur als Propaganda-Popanz Erwähnung findet.
Anmerkungen:
[1] Vgl. Bruno Thoß / Hans-Erich Volkmann (Hgg.): Erster Weltkrieg. Zweiter Weltkrieg. Ein Vergleich. Krieg - Kriegserlebnis - Kriegserfahrung in Deutschland 1914-1945, Paderborn u. a. 2002.
[2] Vgl. Thomas Weber: Hitlers erster Krieg. Der Gefreite Hitler im Weltkrieg - Mythos und Wahrheit, Berlin 2011.
[3] Vgl. nur: Peter Lieb: Rezension zu: Jochen Böhler: Auftakt zum Vernichtungskrieg. Die Wehrmacht in Polen 1939, Frankfurt am Main 2006, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 10; Peter Hoeres: Rezension zu: John Horne / Alan Kramer: Deutsche Kriegsgreuel 1914. Die umstrittene Wahrheit. Aus dem Englischen von Udo Rennert, Hamburg 2004, in: sehepunkte 4 (2004), Nr. 7/8; Steffen Bruendel: Rezension zu: Vejas Gabriel Liulevicius: Kriegsland im Osten. Eroberung, Kolonisierung und Militärherrschaft im Ersten Weltkrieg, Hamburg 2002, in: H-Soz-u-Kult, 13.05.2004.
Peter Hoeres