Rezension über:

Oliver Janz: 14. Der große Krieg, Frankfurt/M.: Campus 2013, 415 S., 10 Abb., ISBN 978-3-593-39589-0, EUR 24,99
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Rezension von:
Thomas Rohkrämer
Lancaster University
Redaktionelle Betreuung:
Nils Freytag
Empfohlene Zitierweise:
Thomas Rohkrämer: Rezension von: Oliver Janz: 14. Der große Krieg, Frankfurt/M.: Campus 2013, in: sehepunkte 14 (2014), Nr. 7/8 [15.07.2014], URL: https://www.sehepunkte.de
/2014/07/24620.html


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Forum:
Diese Rezension ist Teil des Forums "Neuerscheinungen zum 1. Weltkrieg" in Ausgabe 14 (2014), Nr. 7/8

Oliver Janz: 14

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Jahrestage werden zunehmend Anlass zu einer Flut von Publikationen. So auch dieses Jahr der hundertste Jahrestag des Ersten Weltkrieges. Was unterscheidet Oliver Janz' Überblicksdarstellung zum großen Krieg von den vielen anderen neueren Veröffentlichungen zu dem Thema?

Wie es von einem ausgewiesenen Fachmann zu diesem Thema zu erwarten ist, bietet der Band eine solide Einführung in das Thema. Neuere Literatur ist weithin berücksichtigt, wobei natürlich wegen der zeitgleichen Häufung der Publikationen kein Austausch zwischen den bedeutenderen neueren Darstellungen stattfinden kann. So konnte etwa, um das gewichtigste Beispiel anzuführen, die monumentale Veröffentlichung Sleepwalkers. How Europe went to War in 1914 (2012) von Christopher Clark verständlicherweise nicht mehr einbezogen werden. Aber indem diese Publikation - die mit einer detaillierten Rekonstruktion der Ereignisse in breiter internationaler Perspektive viele bis dahin weithin akzeptierte Thesen zum Beginn des Ersten Weltkriegs fundamental infrage stellte, um die provokante, und in ihrer Tendenz zum Fatalismus verstörende These vorzulegen, dass es für diesen schrecklichen Krieg sehr viele Verantwortliche, aber keine Hauptschuldigen gebe - keine Berücksichtigung finden konnte, ist dieser Teil des Buches schon bei der Veröffentlichung nicht mehr ganz up to date. Und zwangsläufig kommunizieren die vielen zeitgleichen Publikationen, etwa auch die von Herfried Münkler oder Gerd Krumeich und Gerhard Hirschfeld, nicht miteinander, sodass der Weltkriegs-Boom im Augenblick zu Parallelwelten in der Forschung führt.

Was den hier zu besprechenden Band auszeichnet, ist die Breite der Darstellung. Während beim Ersten Weltkrieg noch immer vor allem an die militärische Auseinandersetzung zwischen den großen Mächten gedacht wird, wenn nicht sogar nur an die Materialschlachten an der Westfront, nimmt Janz den gesamten Krieg in den Blick, vor allem auch die Ostfront, in der es viel mehr Bewegung als im Westen gab, und damit auch bedeutend höhere Verluste bei der Zivilbevölkerung. Eine Strategie der verbrannten Erde, Massenfluchten und Umsiedlungen mit enormen Opferzahlen wegen der schlechten Versorgungslage waren hier Teil des Krieges. Wenn dann darüber hinaus auch noch der Blick auf den Balkan, den Nahen und Mittleren Osten, Ostasien, Afrika und die Kolonialreiche gerichtet wird, dann addiert sich dies zu einer überzeugenden Argumentation, den großen Krieg im wörtlichen Sinne als Weltkrieg zu sehen. Da der Großteil der Studien zum Ersten Weltkrieg noch explizit oder implizit von einer nationalen Perspektive geprägt ist, ist diese transnationale Dimension ein großes Plus.

Die Breite der Darstellung, die etwa auch die russische Revolution oder die Konflikte nach der Niederlage Deutschlands einschließt, hat ihren Preis darin, dass das Buch weithin den Charakter eines wenig detaillierten Überblicks hat. Zudem werden theoretische Debatten nur wenig aufgegriffen. So wird etwa, um nur ein Beispiel zu nennen, der Begriff des totalen Kriegs unreflektiert als Beschreibung des Weltkriegs verwandt, obwohl doch die Arbeiten zu diesem Thema gezeigt haben, dass dieses Konzept, welches in der unmittelbaren Reflexion auf die Neuartigkeit des Weltkriegs aufkam, wenn überhaupt nur als Idealtyp verwendet werden kann, da es wohl nie zu einem in jeder Hinsicht totalen Krieg kommen kann. Nicht nur ist im Falle des Ersten Weltkriegs weithin das Tabu gewahrt worden, Frauen nicht in die Armeen einzuziehen und vor allem nicht mit Waffen zum Töten einzusetzen, sondern es gab auch ganz unterschiedliche Intensitäten. Mörderische Schlachten wechselten mit Ruhephasen, und die Vereinigten Staaten mobilisierten prozentual viel weniger Ressourcen als die europäischen Staaten. Zudem zeigte sich bei allen Versuchen zur totalen Mobilisierung, etwa im Hindenburgprogramm oder bei einer rückhaltlosen Offensivstrategie der französischen Streitkräfte, dass solche extremen Anspannungen unweigerlich zu einer massiven Schädigung der Kriegsmoral und damit der militärischen Stärke führten. All dies bedeutet nicht nur, dass der Erste Weltkrieg als Ganzes in keiner Phase ein totaler Krieg war, sondern provoziert darüber hinaus die Frage, ob "totaler Krieg" auch nur zum Idealtyp taugt, oder ob sich nicht hinter dem Konzept miteinander unvereinbare Vorstellungen und Kriterien verbergen.

In Oliver Janz' Darstellung erscheint der Krieg vor allem als politischer und militärischer Konflikt, der "von oben" entfesselt und angetrieben wurde. Stimmen der "kleinen Leute" werden hin und wieder angeführt, doch sie erscheinen vor allem als Opfer der Ereignisse. Die Frage nach der Einstellung der Bevölkerung und der ideologischen Dimension im "Kulturkrieg" wird erst in der Mitte des Buches zum Thema, und der größte Teil des Kapitels zu diesem Thema ist der Widerlegung der Vorstellung einer "August-Begeisterung" und der Erklärung für das Verhalten der Sozialdemokratie in Deutschland gewidmet. Eine so ausführliche Widerlegung ist heute kaum noch nötig, da sich die revisionistische Position schon längst durchgesetzt hat, und zudem ist es mindestens genauso wichtig zu erklären, warum es (1.) eine so deutliche Kriegsbereitschaft gegeben hat und warum sich (2.) die Vorstellung einer allgemeinen Kriegsbegeisterung so weit durchgesetzt hat. Die Hegemonie dieser Vorstellung ergab sich zum einen sicherlich daraus, dass die Begeisterung in der schreibenden Klasse am stärksten war und sie deshalb die veröffentlichte Meinung dominierte. Aber es muss auch einen weiteren Resonanzraum für diese Vorstellung gegeben haben, und dieser ergab sich wohl daraus, dass mit dem Kriegsbeginn pazifistische Vorstellungen nur noch für die wenigen prinzipiellen Kriegsgegner Sinn stiften konnten. Die große Mehrheit versuchte, sich die Notwendigkeit des Krieges zu erklären und vielleicht sogar positive Aspekte in der Entwicklung zu finden, um sich nicht nur als fremdbestimmtes Opfer zu fühlen und eine Rechtfertigung für das eigene Handeln zu finden. In diesem Zusammenhang spielte die Vorstellung von einer August-Begeisterung und die gesamte Kriegsideologie eine wichtige Rolle für die Erfahrung und den Verlauf des Krieges.

Thomas Rohkrämer