Kriston R. Rennie: Law and Practice in the Age of Reform. The Legatine Work of Hugh of Die (1073-1106) (= Medieval Church Studies; Vol. 17), Turnhout: Brepols 2010, XIII + 246 S., ISBN 978-2-503-53190-8, EUR 60,00
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Hugo, Bischof von Die (seit 1073), seit 1082/83 Erzbischof von Lyon (gest. 1106) fungierte in der Zeit der sogenannten papstgeschichtlichen Wende als ständiger päpstlicher Legat in Frankreich. Er erwies sich hierbei als wichtigster Parteigänger Gregors VII. bei der Durchsetzung des gregorianischen Reformprogramms im französischen Raum. Umso erstaunlicher ist es, dass Hugo in der deutschen Forschung bis zum heutigen Tage ein gewisses Schattendasein fristet - seit über 100 Jahren ist diesem Kirchenreformer keine deutschsprachige Monographie mehr gewidmet worden. Es ist vor diesem forschungsgeschichtlichen Hintergrund sehr zu begrüßen, dass sich Kriston R. Rennie in seiner 2010 erschienenen Studie den grundlegenden Aspekten der Legationstätigkeit Hugos gewidmet hat. Die vorliegende Studie beruht auf einem Dissertationsprojekt, das ausweislich des Vorworts auf Timothy Reuter (Southampton, 1947-2002) zurückgeht und das nach dessen frühem Tod von Jinty Nelson (King's College, London) betreut wurde. Rennies Untersuchung fand schließlich Eingang in die renommierte Reihe der Medieval Church Studies. Diese Vorgeschichte weckt große Erwartungen, und um es vorwegzunehmen: Diese werden nicht enttäuscht.
Rennie hat seine Arbeit in sieben Hauptkapitel unterteilt (Introduction, 1-21; Hugh of Die: Bishop, Archbishop, and Legate, 23-52; The Legatine Office under Gregory VII, 53-85; Law and Reform: Theory and Practice, 87-104; Legatine Education and Training, 105-122; Towards Reform in France, 123-198; Conclusion, 199-208). Die übliche Bibliographie sowie ein Index beschließen den Band (223-246).
Hugo, ein Neffe Herzog Hugos I. von Burgund (gest. 1093), schlug zunächst in St-Marcel (bei Chalon-sur-Saône) eine monastische Laufbahn ein. An der Kathedralkirche von Lyon bekleidete er später zeitweise das Amt des camerarius, bevor er Ende 1073 den Bischofsstuhl von Die in Burgund (Suffraganbistum von Vienne) bestieg. Unmittelbar darauf begegnet Hugos Name mit zunehmender Häufigkeit in den beiden Hauptquellen für jene Zeit, dem Chronicon des Hugo von Flavigny und dem Register Gregors VII. (23-33). Es gelingt Rennie überzeugend, die Rolle Hugos von Die bei der Durchsetzung wichtiger Anliegen der römischen Reformpartei nachzuzeichnen. Hugo nimmt für Rennie dabei die Rolle als "Musterbeispiel" (5: "exemplar") für die Bekämpfung der Missstände im französischen Episkopat ein. Zum Vergleich zieht Rennie wiederholt die Legatentätigkeit des Bischofs Amatus von Oloron (gest. 1101) heran, der zeitgleich mit Hugo Reformkonzilien in Südfrankreich und auf der iberischen Halbinsel abhielt. Den Synoden von Bordeaux (1079), Toulouse (1079), Saintes (1081), Issoudun (1081) und Meaux (1082) standen Hugo und Amatus gemeinsam vor (175).
Unablässig wandte sich der Legat Hugo gegen nikolaitische Kleriker, gegen die in der französischen Kirche offenbar weitverbreiteten simonistischen Praktiken und nicht zuletzt gegen die Investitur Geistlicher aus Laienhand. Auf seinen Synoden, zuvörderst in Autun 1077 und Poitiers 1078, erklärte er reihenweise Prälaten für abgesetzt und exkommuniziert. Philipp I., König von Frankreich (gest. 1108), und Wilhelm VIII., Herzog von Aquitanien (gest. 1086), versuchten wiederholt, die Reformagenda des Legaten zu durchkreuzen - Hugos Tätigkeit hatte also mit Widerstand an mehreren Fronten zu kämpfen. In Manasses I. (gest. nach 1081), Erzbischof von Reims, erwuchs Hugo innerhalb des französischen Klerus ein mächtiger und zäher Gegenspieler, der seine Opposition schließlich mit der Deposition und Exkommunikation bezahlen sollte. Hugos Reformeifer scheint zeitweise Ausmaße erreicht zu haben, die Gregor VII. zum Eingreifen und in Einzelfällen sogar zur Revision von Legatenurteilen veranlassten. Hierbei wird deutlich, dass sich Gregor VII. - anders noch als seine Vorgänger im Papstamt - ein grundsätzliches Approbationsrecht für Entscheidungen seiner Legaten vorbehielt (53-85). Rennie fasst es prägnant zusammen: "While the office of legation was by no means a novel concept, the way in which it was managed during Gregory's pontificate proved innovative. [...] Under Gregory, the effectiveness and strength of the legatine office reached a high point" (83).
Der eigentlichen Untersuchung sind drei Appendices (209-222) beigegeben. Appendix 1 bietet eine Auflistung der 14 nachweislich von Hugo abgehaltenen Konzilien, von denen 12 unter die Ägide Gregors VII. und zwei unter die Urbans II. fallen. Es verbleiben neben den in der Aufzählung genannten Synoden freilich Fälle, bei denen die Quellen in Bezug auf die Anwesenheit oder den Vorsitz Hugos beziehungsweise bezüglich der Form der Kirchenversammlung uneindeutig (Diözesan-, Provinzial- oder Legatensynode?), widersprüchlich oder in ihren Aussagen zweifelhaft sind, etwa zur Synode von Lyon im Spätjahr 1082 (199 f.). Auffällig ist die Lücke von 1082 bis 1094, in der keine Legatensynode Hugos bezeugt ist. Diese "inactivity" (201) erklärt Rennie mit den immensen Problemen, vor denen Gregor VII. am Ende seines Pontifikates stand und die es ihm quasi unmöglich machten, eine effektive Legatentätigkeit Hugos zu gewährleisten.
Besonders wertvoll ist Appendix 2: Hier liefert Rennie eine chronologisch aufbereitete Zusammenschau der in den Quellen überlieferten aus- und eingehenden Korrespondenz Hugos von Die in den Jahren 1075 bis 1106. Es handelt sich um die beachtliche Zahl von 62 Stücken. Acht Schreiben sind in ihrer Datierung nicht eindeutig zuzuordnen: Sie stammen alle aus der Feder Ivos von Chartres (gest. 1115). Die Sortierung der Schreiben in Spalten nach Datum, Absender, Empfänger, Anliegen und Belegstelle in den Quellen ist eine willkommene Handreichung.
Appendix 3: Rennie verzeichnet hier insgesamt 30 Legaten Gregors VII. Die Aufzählung erfolgt nach Legaten, nicht nach einzelnen Legationen. Rennie trifft auch keine Unterscheidung nach ad causam-entsandten oder ständigen Legaten. Dies wiederum ist wohl dem Umstand zuzuschreiben, dass wir über viele Legationen nur einseitig (das heißt üblicherweise durch das päpstliche Register und die Epistolae Vagantes) informiert sind. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass von einer päpstlichen Beauftragung nicht unmittelbar auf eine spätere Abhaltung von Legatenkonzilien geschlossen werden darf. Überblickt man den Personenkreis der päpstlichen Legaten geordnet nach ihrem jeweiligen Amt, ergibt sich folgendes Bild: Ich zählte zehn Kardinäle (vier Kardinalbischöfe, vier Kardinalpriester, zwei Kardinaldiakone), sechs Bischöfe (darunter Hugo von Die und Amatus von Oloron, beide später Erzbischöfe, von mir aus pragmatischen Gesichtspunkten hier zu den Bischöfe gerechnet), vier Äbte, vier römische (Sub-)Diakone, drei nicht zu identifizierende Legaten, je ein Erzbischof und Mönch, sowie Gisulf II. von Salerno. Dadurch wird - zumindest wenn man vom Personenkreis und nicht von jeder einzelnen Legation ausgeht! - angedeutet, dass sich eine Prärogative des Kardinalkollegs in Legationsangelegenheiten bereits unter Gregor VII. abzeichnete. Wenige Jahre später sollte dieses Vorrecht quasi eine Selbstverständlichkeit werden. Dennoch gilt es einschränkend festzuhalten: Es bleibt bei Gregor VII. unübersehbar, dass er für die grundsätzliche Durchsetzung der Ziele der Kirchenreform ständige, an Legationsprovinzen gebundene Kirchenmänner bevorzugte, die dem bischöflichen Stand angehörten, wie Hugo von Die und Amatus von Oloron in Frankreich oder Altmann von Passau (gest. 1091) im Reich. Sie alle, allen voran Hugo von Die, regelten die wichtigsten auswärtigen Angelegenheiten unter Gregor VII.
Das Fazit: Allen Widerständen zum Trotz ebnete Hugo der gregorianischen Reform in Frankreich den Weg. Er profitierte dabei natürlich nicht nur von der päpstlichen Beauftragung, sondern auch von dem, was man heute wahrscheinlich Netzwerk nennen würde. Hugo unterhielt nach Ausweis der von Rennie angeführten Quellen beständigen Kontakt zu großen Reformern und Gelehrten, Kirchenleuten wie Anselm von Canterbury, Amatus von Oloron oder Ivo von Chartres. Einen besonderen Wert verdient sich die Untersuchung aus der minutiösen Auswertung der zum Teil verstreut edierten und zumeist lediglich unkritisch gedruckten Zeugnisse zur Legatentätigkeit Hugos bei gleichzeitiger Heranziehung der weithin bekannten Quellen zum Pontifikat Gregors VII. (päpstliches Register, Epistolae Vagantes). Kriston R. Rennie zeichnet diese und andere Entwicklungen ebenso präzise wie detailreich und überzeugend nach. Dadurch hilft seine Studie die Bedeutung des Legatenwesens innerhalb des Prozesses der papstgeschichtlichen Wende besser zu verstehen. Es ist in diesem Zusammenhang wenig überraschend, dass sich Rennie bei seiner Behandlung Hugos von Die immer wieder mit Gregor VII. und seiner Auffassung vom päpstlichen Amt auseinandersetzt, ja auseinandersetzen muss. Eine Geschichte Hugos ohne Gregor gibt es nicht, genau so wenig eine solche Gregors ohne Hugo. Womöglich liegt darin auch der historische Kern jener Überlieferung, nach der Gregor VII. auf seinem Sterbebett den Anwesenden einen Wunschnachfolger im päpstlichen Amt offenbarte: Es war Hugo von Die.
Matthias Schrör