Rezension über:

Achim Thomas Hack: Alter, Krankheit, Tod und Herrschaft im frühen Mittelalter. Das Beispiel der Karolinger (= Monographien zur Geschichte des Mittelalters; Bd. 56), Stuttgart: Anton Hiersemann 2009, XIII + 506 S., ISBN 978-3-7772-0908-1, EUR 184,00
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Rezension von:
Christian Vogel
Universität Saarbrücken
Redaktionelle Betreuung:
Jürgen Dendorfer
Empfohlene Zitierweise:
Christian Vogel: Rezension von: Achim Thomas Hack: Alter, Krankheit, Tod und Herrschaft im frühen Mittelalter. Das Beispiel der Karolinger, Stuttgart: Anton Hiersemann 2009, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 11 [15.11.2011], URL: https://www.sehepunkte.de
/2011/11/17754.html


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Achim Thomas Hack: Alter, Krankheit, Tod und Herrschaft im frühen Mittelalter

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Hack widmet sich in der besprochenen Monographie einem wenig beachteten medizinhistorischen Thema und untersucht die Karolinger im Hinblick auf ihre Krankheiten und Lebensrisiken und deren eventuelle Einflüsse auf die Herrschaftspraxis oder Familienpolitik. In sechs Hauptabschnitten werden zunächst Alter, Ehen und Kinder (A) behandelt, sodann folgen vier Kapitel, die in einem Abschnitt zusammengefasst sind, welcher sich der Vielfalt der Quellenzeugnisse widmet (B). Als Gefahren für das Leben eines Königs (C) behandelt Hack den Krieg, Unfälle und die Jagd, letztere in zwei Kapiteln: "Tod bei der Jagd" und "Jagd als Beweis der Vitalität". Verschiedenen Krankheiten sind die vier in Abschnitt D zusammengefassten Kapitel gewidmet, wobei Schlaganfälle, Epilepsie, Seuchen und psychische Erkrankungen behandelt werden. Schließlich wird der Einfluss des königlichen Gesundheitszustandes auf die Herrschaft untersucht (E), wobei die Akzeptanz eines kranken Herrschers ebenso beleuchtet wird, wie Nachfolgeregelungen im Angesicht des Todes oder anlässlich einer Krankheit. Schließlich findet auch die Bedeutung der Strafe des Blendens Beachtung. Den Abschluss bilden drei Kapitel zu Ärzten und der Deutung von Krankheiten (F).

Es folgt noch ein 95-seitiger Anhang, bei dem vor allem die hilfreichen und keineswegs selbstverständlichen Register (Orts-, Personen-, Sach- und Stellenregister) positiv hervorstechen und dem Leser jede nur mögliche Hilfestellung geben.

Hack verortet seine Arbeit zunächst in einem Forschungskontext, der dringend einer Aufarbeitung bedurfte. Den Karolingern wurden Erbkrankheiten angedichtet, welche die Dynastie zum Absterben brachten. Derartige "Forschungen" - in der Regel aus der Zeit vor 1945 - und ihren historischen Kontext schildert der Autor entsprechend ausführlich (6-18). Im Mittelpunkt steht dabei die Kontroverse zwischen dem Mediziner H.W. Becker und dem Prager Historiker H. Zatschek. Die fehlende Auseinandersetzung bedingt eine Lücke, die Hack schließen möchte. Außerdem klammerte die Medizingeschichte das Frühmittelalter bislang weitgehend aus (3), bzw. belegte diese Epoche mit dem Stereotyp der Klostermedizin (4). Das Anliegen seiner Arbeit sei "daher, die politische Geschichte um eine medizinische und die Medizingeschichte um eine kulturhistorische Dimension zu erweitern (393)". Dies ist ihm sicherlich gelungen. Leitend waren für ihn Fragestellungen nach der Herrschaftsausübung während der Krankheit, oder ob die Zeitgenossen daran gewöhnt waren, was über Krankheiten bekannt war und wie diese in den Quellen thematisiert wurden.

Bei der Analyse geht der Autor so ausführlich wie möglich auf den Quellenbefund ein und hinterfragt dabei kritisch die Forschungsliteratur mit ihren teilweise fragwürdigen oder voreiligen Diagnosen, die er in einigen Fällen revidiert zu können glaubt, so die Epilepsie Karls des Dicken, die er für nicht nachweisbar hält (183; 400). Die stattliche Quellenbasis wird dem Leser dabei ausführlich und vor allem nachvollziehbar offen gelegt, so dass dem Argumentationsgang stets leicht zufolgen ist.

Störend wirkt die zuweilen überzogene Kritik (so in Anm. 84, 170). Mehrfach kritisiert er Gunther Wolf, der eine seiner Miszellen zitiert, von der Hack schreibt (153, Anm. 1; Rückverweis in Anm. 68, 167), sie sei "in keiner öffentlichen Bibliothek in Deutschland nachzuweisen" und dies mit der Bemerkung versieht, es handele "sich offenbar um eine späte Huldigung an den russischen Städteplaner [...] Potjomkin". Mindestens in der Bibliothek des Historischen Seminars in Heidelberg befindet sich der Sammelband mitsamt der angeblich nie erschienen Miszelle. [1] Schwerer wiegt jedoch die Präsentation einer Erkenntnis Hacks, die ihm wichtig genug war, sie in die Zusammenfassung aufzunehmen. So weist er auf Einhards Beschreibung des Verhältnisses Karls des Großen zu seinen Ärzten hin und erläutert: "Noch nicht bemerkt wurde hingegen die Tatsache, dass auch diese Darstellung auf Sueton zurückgeht (95-96 und noch mal sinngemäß: 397)". In einer 2004 erschienen Dissertation [2] geht aber Lars Hageneier genau auf diese Problematik ein und kommt zu einem differenzierten Ergebnis, denn Einhart "übernimmt diese Eigensinnigkeit [Karls] fast wörtlich" und dennoch konkretisiert er den Sachverhalt mit einer "Erläuterung, die nirgends [...] ihre Entsprechung findet (Hageneier, 115)." Dieses Werk wird von Hack nicht rezipiert, der ansonsten Literatur bis 2008 berücksichtigt hat.

Insgesamt aber schließt das Werk eine Lücke in der medizinhistorischen und der historischen Forschung und lenkt den Blick des Historikers auf einige wenig beachtete Aspekte. Besonders hervorzuheben ist die Erkenntnis, dass von Kloster- oder Mönchsmedizin, was zum Epochenbegriff für das Frühmittelalter wurde, nicht die Rede sein kann. Unter den Leibärzten Karls des Großen, konnte Hack keinen Mönch ausfindig machen, außerdem wurde die Behandlung nicht in Klöstern sondern regelmäßig in den Pfalzen vorgenommen. Über die Verbindung mit Krankheiten konnte Hack zudem die vermehrt diskutierte Datierung der Nachfolgeregelung Karl Martells in die Zeit Theuderichs IV. revidieren (312-314). Die These der erbkranken Karolinger kann Hack widerlegen und weist nach, dass die Dynastie hinsichtlich Lebenserwartung, Kinderreichtum und Krankheitsanfälligkeit keineswegs negativ hervorsticht. Ebenso wird man nicht mehr annehmen können, dass Krankheiten bei Herrschern im Mittelalter tabuisiert wurden (403).

Bei einem wissenschaftlichen Werk mag es zwar nicht im Vordergrund stehen, doch soll die leichte Lesbarkeit der in eingängigem Stil geschriebenen Monographie nicht unerwähnt bleiben.


Anmerkungen:

[1] Die erbliche Disposition zu Apoplexie mit Aphasie bei den späten Karolingern, in: Satura medievalis I: Germanenreiche und Karolingerzeit, Heidelberg 1995, 339-350. Allerdings handelt es sich hierbei um eine gebundene Kopie, in deren Impressum keine ISBN-Nummer ausgewiesen wird.

[2] Lars Hageneier: Jenseits der Topik: Die karolingische Herrscherbiographie, Husum 2004, Historische Studien 483.

Christian Vogel