Maria-Elisabeth Brunert / Maximilian Lanzinner (Hgg.): Diplomatie, Medien, Rezeption. Aus der editorischen Arbeit an den 'Acta Pacis Westphalicae' (= Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte; Bd. 32), Münster: Aschendorff 2010, XIV + 336 S., ISBN 978-3-402-14760-3, EUR 47,00
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Wer Ohren hat, der konnte bereits 1991 den Zuruf Gordon A. Craigs hören, als dieser von "the pleasure of reading diplomatic correspondence" sprach. Heute, da Wohl und Wehe Europas mehr denn je von einer Erneuerung des politischen Denkens und Handelns abzuhängen scheinen, liegt ein Rückgriff auf die in Jahrhunderten gewonnenen Erfahrungsschätze des Politischen, die sich in diesen Korrespondenzen eingeschlossen finden, besonders nahe. In den Schriften der einstigen Akteure von Politik spricht sich ein Sinn für die Anliegen der Res publica unmittelbar aus, der den heutigen Leser noch immer beeindrucken kann, bei aller Begrenztheit der einzelnen Persönlichkeiten und ihrem zum Teil überschießenden privaten Ehrgeiz.
Damit erscheinen auch langfristig angelegte Editionsprojekte in neuem Licht, die in einem von Kurzlebigkeit und manchmal auch von Kurzsichtigkeit gekennzeichneten Wissenschaftsbetrieb zeitweilig wie wunderliche Erscheinungen aus grauer Vorzeit wahrgenommen wurden. Keineswegs zu den ältesten Editionsunternehmen der deutschen Geschichtswissenschaft zählen die Acta Pacis Westphalicae (APW), die seit 1962 als historisch-kritische Edition der auf die westfälischen Friedensverhandlungen der 1640er Jahre bezüglichen Dokumente erscheinen. Es versteht sich von selbst, dass sich in einem halben Jahrhundert Editionsgeschichte die Fragestellungen mehrfach wandelten, die von den Forschern an das Aktenmaterial herangetragen wurden. Damit wird die Bedeutung des vorliegenden Bandes deutlich, der die Themen und Forschungsfragen dokumentiert, mit denen sich die im APW-Projekt tätigen Historiker heute befassen.
Es überrascht nicht, dass vor dem Hintergrund des aktuellen Interesses für Medien und Informationsprozesse die Probleme von Kommunikation und Rezeption vorrangig behandelt werden. Hat sich die Forschung doch vor wie nach dem Jubiläumsjahr des Westfälischen Friedens 1998 besonders intensiv mit der Geschichte der öffentlichen Wahrnehmung des Kongresses beschäftigt. Daneben ging es wiederholt auch um die diplomatischen Verfahrensweisen in Münster und Osnabrück, um den interkulturellen Austausch der Kongressteilnehmer, um die Rolle der verschiedenen Sprachen im Konferenzgeschehen oder den Austrag von Konflikten unter den keineswegs immer harmonisch um Frieden bemühten Gesandten. Als zentraler Ereigniszusammenhang der frühneuzeitlichen Geschichte Europas bieten sich der Dreißigjährige Krieg und der ihn beendende Friedensschluss als Studienobjekt an, das dank unermüdlichen Editorenfleißes immer besser erschlossen wird und das Antworten auf mancherlei Fragen bereithält.
Da wäre zunächst die Sache mit der Rezeption von Krieg und Frieden in der Öffentlichkeit des 17. Jahrhunderts und in der Nachwelt, in der die Historiker den Ton angaben. Den unterschiedlichen Typisierungen des Dreißigjährigen Krieges bei den Zeitgenossen und den Geschichtsschreibern geht Anuschka Tischer in einem einführenden Beitrag nach. Im Anschluss daran untersucht Ulrich Rosseaux die Formen der Berichterstattung über das Konferenzgeschehen in Westfalen, wie sie sich in den zeitgenössischen gedruckten Zeitungen des deutschsprachigen Raumes vorfinden lassen. Das bewegte Weltgeschehen dieser Jahre hat dem neuen Medium zu einem raschen Aufstieg verholfen. 1605 hatte der Straßburger Drucker Johann Carolus die erste gedruckte Wochenzeitung der Welt herausgebracht. Im Friedensjahr 1648 verfügte das Heilige Römische Reich bereits über eine vielgestaltige Presselandschaft, in deren Mitte sich eine "überregionale Öffentlichkeit der Information" (52) konstituierte. Ganz anders lagen die Dinge in Frankreich, wo die seit 1631 von Théophraste Renaudot wöchentlich herausgegebene "Gazette" über ein Pressemonopol verfügte, das dem Minister Richelieu Möglichkeiten zur zentralen Lenkung der öffentlichen Meinung an die Hand gab. Das mitunter subtile Verhältnis von Politik und Presse stellt Peter Arnold Heuser am Beispiel der Pariser Gazette dar, wobei die Korrespondenz der französischen Gesandten in Münster äußerst spannende Einblicke in die Anfänge moderner Pressepolitik gestattet.
Daneben bieten die in den APW reichlich sprudelnden Quellen aber auch den an bewährten diplomatiegeschichtlichen Herangehensweisen interessierten Historikern immer neue Aufschlüsse. So bewertet Guido Braun die Rolle des Grafen D'Avaux neu, der Frankreich von 1644 bis 1648 beim Kongress in Münster vertrat. Eine eigenständige konfessionspolitische Konzeption D'Avaux' wird dabei erkennbar, der "une véritable alternative à la politique de la France au congrès de Westphalie" formulierte (180). Weitere Erkenntnisse darüber sind nach der Publikation der letzten Bände der französischen Korrespondenzen der APW-Reihe zu erwarten. Einen anderen Gesandten nahm sich Michael Rohrschneider mit Abel Servien vor, der unter den Kardinälen Richelieu und Mazarin eine durchaus wechselhaft verlaufene Karriere in diplomatischen Spitzenämtern der französischen Krone absolvierte. Wie nahm dieser Mann das niederländische Gemeinwesen wahr, mit dem Frankreich über den Friedenskongress in nähere Berührung kam? Servien wurde 1647 damit betraut, Verhandlungen mit den Generalstaaten zu führen, und reiste dafür nach Den Haag. In seinen Berichten von dort trat das hartnäckige Stereotyp einer "beargwöhnten Republik" zu Tage, waren ihm doch die Niederlande mit ihrer ständischen Verfassung und dem hohen Stellenwert stadtbürgerlicher Autonomie ein suspektes und mit monarchischen Politikkonzepten unvereinbares Staatswesen.
Den bisher wenig beachteten kaiserlich-niederländischen Sonderverhandlungen am Rande des Friedenskongresses widmet sich Stefanie Fraedrich-Nowag, während Magnus Ulrich Ferber am Beispiel der kaiserlichen Gesandten Graf Trauttmansdorff und Dr. Volmar die verschiedenen Handlungsmöglichkeiten adliger und bürgerlicher Diplomaten abwägt. Neben den Korrespondenzen, deren Aussagekraft diese Beiträge eindrucksvoll hervorheben, sind die Protokolle der in Osnabrück tagenden reichsständischen Versammlungen eine andere tragende Säule der APW. Maria-Elisabeth Brunert zeigt an einer Reihe von Beispielen Auswertungsmöglichkeiten für diese von der historischen Forschung oft übersehene Quellengattung auf, die nicht zuletzt reichlichen Stoff für Untersuchungen zur politischen Verkehrssprache der Gesandten bietet. Damit führt der Beitrag wieder zurück zu der Hauptfrage der Kommunikationsformen des Politischen in der Frühen Neuzeit. Wie sprach man damals über Politik und was verstand man darunter?
Das Generationen von Historikerinnen und Historikern übergreifende Unternehmen der APW ist auf einem langen, aber auch auf einem guten Weg. Es organisiert die Quellen zu einem zentralen Ereigniszusammenhang europäischer Geschichte, doch bietet es auch thematische Anstöße, denen eine sich fortwährend erneuernde Geschichtsforschung Rechnung zu tragen hat.
Thomas Nicklas