Rezension über:

Bernd Eisenfeld / Peter Schicketanz: Bausoldaten in der DDR. Die "Zusammenführung feindlich-negativer Kräfte" in der NVA (= Forschungen zur DDR-Gesellschaft), Berlin: Ch. Links Verlag 2011, 627 S., 23 s/w-Abb., ISBN 978-3-86153-637-6, EUR 39,90
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Rezension von:
Rüdiger Wenzke
Militärgeschichtliches Forschungsamt, Potsdam
Redaktionelle Betreuung:
Dierk Hoffmann / Hermann Wentker im Auftrag der Redaktion der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte
Empfohlene Zitierweise:
Rüdiger Wenzke: Rezension von: Bernd Eisenfeld / Peter Schicketanz: Bausoldaten in der DDR. Die "Zusammenführung feindlich-negativer Kräfte" in der NVA, Berlin: Ch. Links Verlag 2011, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 11 [15.11.2011], URL: https://www.sehepunkte.de
/2011/11/19791.html


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Bernd Eisenfeld / Peter Schicketanz: Bausoldaten in der DDR

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"Die Geschichte der Bausoldaten ist überfällig" (11), schreiben die Autoren zu Recht im ersten Satz der Einleitung zu ihrem über 600 Seiten starken Werk. Denn in der Tat sucht man eine umfassende wissenschaftlich-analytische und damit historisch haltbare Darstellung über die Geschichte der Bausoldaten der Nationalen Volksarmee (NVA) bisher vergebens. In der DDR wurde das Thema bis Ende 1989 tabuisiert und durfte beispielsweise in der offiziellen Geschichtsschreibung nicht behandelt werden. Auch in der Bundesrepublik schien man lange Zeit nicht allzu viel Interesse an der Thematik zu haben. Immerhin veröffentlichte 1978 ein ehemaliger NVA-Bausoldat nach seiner Ausreise in den Westen ein Buch über die "Kriegsdienstverweigerung" in der DDR. [1] Es blieb quasi bis 1990 das Standardwerk zum Thema. Sein Autor: Bernd Eisenfeld, einer der beiden Verfasser des nun vorliegenden Buches.

Nach der Wiedervereinigung beschäftigten sich verschiedene Forscher mit den Bausoldaten und ihrem Wirken innerhalb und außerhalb der Armee. Die zumeist soliden Beiträge und Publikationen kamen in der Regel jedoch über eine Darstellung von Teilproblemen des waffenlosen Wehrdienstes nicht hinaus. Das Fehlen einer luziden Gesamtsicht konnte auch durch die zahlreichen persönlichen Erinnerungen ehemaliger Bausoldaten nicht kompensiert werden.

Hier setzen nun Bernd Eisenfeld und sein Koautor, der Theologe Peter Schicketanz, an. Ihr Anliegen ist es, "mit diesem Buch auf der Grundlage vorliegender Veröffentlichungen, Archivalien und eigener Forschungsergebnisse eine nunmehr möglichst weithin geschlossene und wissenschaftlich fundierte Geschichte der Bausoldaten vorzulegen"(12). Das ist ihnen im Wesentlichen gelungen, vor allem auch deshalb, weil beide Autoren sich bestens in der Materie auskennen. Bernd Eisenfeld, der das Erscheinen des Buches leider nicht mehr erleben konnte, war seit 1992 viele Jahre in der Abteilung Bildung und Forschung der Stasiunterlagenbehörde wissenschaftlich tätig und hat sich mit zahlreichen Publikationen vor allem zur Oppositionsforschung ausgewiesen. Peter Schicketanz war als "Mann der Kirche" seit den 1960er Jahren ganz praktisch mit den Bausoldaten verbunden, indem er sie beriet und ihr Wirken aus christlicher Verantwortung heraus begleitete.

Der Band gliedert sich in einen chronologischen und in einen eher strukturell-analytischen Teil. Hinzu kommen ein Exkurs über Totalverweigerer sowie ein mit knapp 200 Seiten relativ umfangreicher Anhang. Dennoch bleibt der Gesamtzusammenhang stets gewahrt.

Das erste Kapitel will einen Einstieg in das Thema ermöglichen, indem es einige Grundprobleme der "Wehrpolitik" der DDR umreißt und beispielsweise auf die Militarisierung der DDR-Gesellschaft eingeht. Es ist freilich recht knapp gehalten und vermittelt auf einer sehr schmalen Literaturbasis nur holzschnittartiges Wissen. Hier hätte man sich gern etwas mehr Substanz unter anderem zur Problematik des "freiwilligen" Wehrdienstes und seiner Verweigerung vor Einführung der allgemeinen Wehrpflicht in der DDR 1962 gewünscht.

Im zweiten Kapitel wird dann die "Vorgeschichte" der Bausoldaten behandelt, welche die Zeit von 1962 bis zum Herbst 1964 umschließt. In diesen Jahren war die Wehrpflicht in Ostdeutschland ohne Alternative. Eine Regelung zur Wehrdienstverweigerung suchte man im ersten Wehrpflichtgesetz der DDR vom Januar 1962 vergebens. Die Verantwortlichen in der SED und in der Armeeführung schienen das Problem der Wehrdienstverweigerung und des Umgangs mit Verweigerern schlichtweg verdrängt oder aber total verkannt zu haben. Eisenfeld und Schicketanz erklären dieses Phänomen vor allem mit einer "möglichst reibungslosen Einbindung in den Warschauer Pakt" (40) sowie mit den Auswirkungen einer gezielten "Demoralisierung pazifistischer Ansichten" (41). Umso überraschter war man dann in Ost-Berlin und Strausberg, als bei der ersten Musterung im März 1962 mehr als 200 und ein Jahr später bereits 439 junge DDR-Bürger den Wehrdienst verweigerten. In dieser an sich verhältnismäßig geringen Zahl, deren kontinuierliches Ansteigen man jedoch befürchtete, sah man ein ernsthaftes Problem. Nur mit strafrechtlicher Verfolgung und einer Vielzahl von Prozessen wollte und konnte das SED-Regime nicht darauf reagieren.

Die beiden Autoren nennen drei Gründe, warum sich die Parteiführung relativ rasch auf ein Kompromissmodell einließ, das das Problem der Wehrdienstverweigerung in der DDR zumindest entschärfen sollte. Erstens wollte die DDR wehrpolitisch ein Anwachsen von Frei- und Zurückstellungen, wie anfangs noch praktiziert, vermeiden und damit Nachahmer abschrecken. Hinzu kam zweitens ein militärökonomischer Aspekt. Spezielle Baueinheiten wurden dringend für die Realisierung wichtiger Bauvorhaben der Landesverteidigung benötigt. Drittens sei auch ein rein politischer Grund für die Einführung des Bausoldatendienstes ausschlaggebend gewesen, der sich im Rahmen des damaligen gesellschaftlichen Reformansatzes einer "sozialistischen Demokratie" bewegt habe. Klargestellt wird damit, dass die Kirchen und deren Vertreter nicht direkt an der Entstehung der Regelung für den waffenlosen Wehrdienst in der DDR beteiligt waren, auch wenn sie den Druck gegenüber der Staatsmacht, der von den Wehrdienstverweigerern ausging, verstärkten. Die dagegen von beiden Verfassern relativ pauschal bewertete Rolle Gerald Göttings und der Ost-CDU im Kontext der Einführung des waffenlosen Wehrdienstes bedarf freilich noch einer genaueren Analyse, zumal offenbar weder Eisenfeld noch Schicketanz dazu im einschlägigen Archiv für Christlich-Demokratische Politik der Konrad-Adenauer-Stiftung geforscht haben.

Fest steht, dass der SED-Staat mit der Bausoldatenanordnung vom 7. September 1964, die nunmehr einen waffenlosen Wehrdienst in der DDR ermöglichte, eine "praktikable Lösung" (72) gefunden hatte. Aus Waffendienstverweigerern wurden nunmehr Bausoldaten in der NVA, denen zwar das Tragen einer Waffe während des Wehrdienstes erlassen wurde, die dafür aber während und nach ihrer Dienstzeit oft vielfältige persönliche Nachteile in Kauf nehmen mussten. Mit der "Integration" und anderen Problemen des Alltags der Bausoldaten in der Armee beschäftigen sich das dritte und vierte Kapitel, die damit zugleich einen kompakten Überblick über die historische Entwicklung der Bausoldatenbewegung in den DDR-Streitkräften von 1964 bis 1989/90 geben. Auch in dem sich daran anschließenden Kapitel erfährt der Leser viel Interessantes, Anregendes und mitunter auch Neues. Hier haben sich die Autoren vor allem zeitübergreifenden Themenfeldern zugewandt wie der Motivation oder der Stellung der Bausoldaten in der NVA. Beschrieben werden darüber hinaus die politischen Aktivitäten der Bausoldaten, das Vorgehen der Staatssicherheit gegen die Bausoldaten, die Begleitung der Soldaten durch die Kirche und auch die Dimension des waffenlosen Dienstes. Zwar können auch Eisenfeld und Schicketanz zu Letzterem keine exakten Zahlen präsentieren. Ihrer Angabe, wonach es zwischen 1964 und 1989 etwa 14 000 bis 15 000 einberufene Bausoldaten gab, kann jedoch durchaus gefolgt werden.

Zu folgen ist auch ihrer Analyse zur Einordnung der Bausoldaten in die Oppositionsgeschichte der DDR: "So wie die staatlich unabhängige Friedensbewegung auf die Bewegung der Wehrdienst- und Waffendienstverweigerer zurückging, erwies sich diese Bewegung wiederum als Quelle der meisten späteren oppositionellen Gruppierungen, die wiederum von Wehrdienst- und Waffendienstverweigerern fortlaufend gespeist und auch mitgeprägt wurden. Es ist deshalb nicht übertrieben, die Bausoldaten als eine 'Keimzelle der friedlichen Revolution' zu sehen." (417)

Insgesamt zeichnet sich der Band durch eine wohltuende Sachlichkeit, durch Akribie und Übersichtlichkeit aus. 76 Dokumente unterschiedlichster Herkunft ergänzen, unterstützen und begleiten zudem den Lesestoff. Wer sich künftig über die Bausoldaten kompakt und zusammenfassend informieren will, kommt am Buch von Eisenfeld und Schicketanz nicht vorbei. Die Forschung zu den NVA-Bausoldaten in der DDR wird indes weitergehen.


Anmerkung:

[1] Bernd Eisenfeld: Kriegsdienstverweigerung in der DDR - ein Friedensdienst? Genesis, Befragungen, Analysen, Dokumente, Frankfurt am Main 1978.

Rüdiger Wenzke