Gerd Althoff (Hg.): Frieden stiften. Vermittlung und Konfliktlösung vom Mittelalter bis heute, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2011, 308 S., ISBN 978-3-534-23662-6, EUR 49,90
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Frieden stiften verweist schon im Titel auf den Schwerpunkt dieses Bandes: Handlungsprozesse und -muster, die für erfolgreiche Konfliktlösungen und - im Idealfall - Friedensschlüsse von zentraler Bedeutung waren und sind. Mit dem Vermittler wird dabei eine Figur und Rolle in den Blick genommen, deren Funktion als unparteilicher, von höchster moralischer Autorität getragener Dritter gerade auch in gegenwärtigen Konflikten von der Mediation im Familiengericht bis zum UN-Sondergesandten immer gefragt zu sein scheint.
Dementsprechend will der vorliegende Band, der die Beiträge zur ersten Ringvorlesung des Münsteraner Forschungsverbunds "Religion und Politik" von 2008/2009 präsentiert, auf eine konsequente Historisierung des Vermittlers zielen (10). Vermittler kommen immer dann zum Einsatz, wenn rechtliche Verfahren und Institutionen entweder nicht vorhanden sind, von den Konfliktparteien nicht akzeptiert werden oder aber rechtliche Verfahren und ihre Urteile den Konflikt anheizen statt lösen würden. Dies verweist auf die Abhängigkeit der Vermittlerfunktion von den kulturellen, sozialen und rechtlichen Konstellationen, in denen eine Vermittlung gewünscht, versucht oder unternommen wird. Um aber neben historischen Wandlungsprozessen grundsätzliche Aspekte menschlicher Kommunikation und Verständigungsmöglichkeiten nicht aus dem Blick zu verlieren, rahmen in dem Band ein sozialanthropologischer und ein soziologischer Beitrag die chronologisch angeordneten Fallstudien von der Spätantike bis in die Gegenwart ein.
William Miller (Michigan) betont in seinem Beitrag insbesondere die ambivalente und undefinierbare Rolle des Vermittlers als "go-between", der zwar einerseits die Nachrichten der einen Seite der anderen Seite übermittelt. Andererseits ist es aber gerade diese Tätigkeit, welche die Kommunikation erst zustande kommen lässt. Damit wird dem Vermittler die entscheidende Rolle zugewiesen, seine eigenen Handlungsspielräume zur Ermöglichung und zur Erhaltung des gegenseitigen Austausches und Verhandelns auszunutzen. Es ist gerade diese allererste Phase von Konfliktlösungsprozessen und Friedensverhandlungen, in denen einem Vermittler besondere Bedeutung zuzukommen scheint: nämlich, die Konfliktparteien dazu zu bewegen, ohne Ansehensverlust oder gar Vorab-Zugeständnisse Gespräche aufzunehmen und Bereitschaft zum Aushandeln der Interessen zu signalisieren. Dieser Prozess, den "Frieden in den Köpfen" möglich zu machen und dann möglichst auch in der praktischen Umsetzung zu begleiten und zum erfolgreichen Abschluss zu führen, muss als Kerngeschäft von Vermittlern angesehen werden.
Diesen Aspekt führt Barbara Stollberg-Rilinger (Münster) in ihrer Analyse der beiden Vermittler am Westfälischen Friedenskongress 1645-1648 vor Augen. Indem sie die kulturellen und politischen Rahmenbedingungen der Arbeit des päpstlichen Vermittlers Chigi und des venezianischen Vermittlers Contarini analysiert, wird ihre Leistung in der Umschiffung zeremonieller Hindernisse und ihrer geschickten Kommunikationsanbahnung überaus deutlich. Ähnliches lässt sich gewissermaßen ex negativo auch bei einer anderen päpstlichen Friedensvermittlung feststellen. Hubert Wolf (Münster) untersucht anhand neuer Akten zur Nuntiatur Eugenio Pacellis, des späteren Papstes Pius XII., dessen Rolle in der gescheiterten Friedensvermittlung Papst Benedikts XV. 1917. Pacelli gelang es gerade nicht, seine Unparteilichkeit, sein überparteiliches Ansehen einzusetzen, um einen Friedensprozess anzustoßen - nicht zuletzt aufgrund einer krassen Fehleinschätzung der politischen Machtverhältnisse im Kaiserreich, indem er auf den Reichstag setzte und nicht in die zwischen Reichsregierung und Oberster Heeresleitung stattfindenden Planungen eingebunden war. Die Forderung nach Unparteilichkeit meinte aber keineswegs Interesselosigkeit - so erhofften sich die Vermittler sowohl 1648 als auch 1917 von einer gelingenden Vermittlung eine Steigerung des eigenen politischen Ansehens; vielfach kamen aber Vermittler auch aus dem Kreise der Konfliktparteien selbst.
So kann Alfons Fürst (Münster) am Beispiel des Konfliktmanagements der Alten Kirche zeigen, wie die in dogmatischen Fragen zerstrittenen Patriarchen und Bischöfe einerseits in der konzeptionellen Konfliktlosigkeit ihrer Kirche gefangen waren, diese aber pragmatisch und situativ zu überwinden wussten. Gleichwohl macht er deutlich, dass dies zugleich auch ein strukturelles Hindernis sein konnte, weil unabhängige Dritte per definitionem fehlten. Etwas anders stellt sich die Situation bei der Vermittlung Philipps des Kühnen im Konflikt zwischen dem Grafen von Flandern und den flandrischen Städten 1379/1380 dar, die Hermann Kamp (Paderborn) untersucht. Hier wurde Philipp nicht wegen seiner Unparteilichkeit als Vermittler akzeptiert, sondern weil seine Interessen im Gegenteil so eng mit beiden Seiten verflochten waren. Sein Verhandlungserfolg hielt jedoch nicht lange, nur kurze Zeit später flammten die gewalttätigen Auseinandersetzungen nach gegenseitigen Provokationen wieder auf. Die Abhängigkeit des Scheiterns oder Gelingens von sozialen Beziehungen und persönlichem Ansehen, die quer zu ständischen oder rechtlichen Gewohnheiten standen, führt auch Gerd Althoff (Münster) in seinem Beitrag aus.
Literarische Repräsentationen von Friedensvermittlung sind als Reflexionsebene nicht minder wichtig. In seiner Analyse der Textgeschichte und des Kontextes des vielfach verwendeten Jesaja-Zitates von den Schwertern, die zu Pflugscharen geschmiedet werden, zeigt Rainer Albertz (Münster) deutlich, wie sich bereits im Alten Testament ein Wandel von einer Friedensvorstellung durch Unterwerfung zu einem Frieden durch Interessensausgleich und Versöhnung vollzog. Die Ringparabel liest Martina Wagner-Egelhaaf (Münster) als Musterbeispiel für Friedensbilder und verweist vor dem Hintergrund von Nathans eigener Erfahrung auf dessen Drängen auf Versöhnung statt Vergeltung.
In der Tat zeigen alle Beiträge des Bandes aus ganz unterschiedlichen Perspektiven, wie sehr das Gelingen bzw. Scheitern von Friedensvermittlung gerade nicht von rechtlichen Regelungen abhängt, sondern wesentlich auf den ihnen vor- und nachgängigen Kommunikationsprozessen, Verständigungsbereitschaft und der Wahrnehmung des Anderen als friedens- und versöhnungswillig beruht. Ganz im Mittelpunkt steht dies in drei auf die Zeitgeschichte ausgerichteten Beiträgen, in denen Ulrich Willems (Münster) Vermittlungsverfahren in innenpolitischen Konflikten problematisiert, Christian Walter (Münster) Möglichkeiten und Grenzen von Vermittlung im gegenwärtigen Völkerrecht analysiert und Christian Tomuschat (Berlin) die Rolle von Wahrheitskommissionen in Friedensprozessen in Bürgerkriegsgebieten aufzeigt. Am konkreten Beispiel des Konfliktes zwischen Israel und Palästina verdeutlich Joschka Fischer (Berlin) die Komplexität solcher Konflikte, denen sich zeitgenössische Vermittlungstätigkeit als Kerngeschäft moderner Diplomatie zu widmen habe.
Die abschließenden Überlegungen zur grundsätzlichen Konflikthaftigkeit menschlicher Gesellschaften von Hans-Georg Soeffner (Konstanz) führen noch einmal die Notwendigkeit vor Augen, sich grundsätzlich mit Aspekten von Konfliktlösungskompetenz auseinanderzusetzen. Fortschrittseuphorien wird jeder Boden entzogen, wenn der letzte Satz darauf verweist, dass letztlich alle Verständigungsbereitschaft auf der Angst vor der endgültigen Niederlage basiere.
Nicht trotz, sondern gerade wegen der zeitlichen, thematischen und disziplinären Vielfalt bietet der vorliegende Band ein großes Spektrum an Anregungen zum Nachdenken über die wieder so aktuelle Figur des Vermittlers an.
Inken Schmidt-Voges