Rezension über:

Sviatoslav Dmitriev: The Greek Slogan of Freedom and Early Roman Politics in Greece, Oxford: Oxford University Press 2011, XIII + 524 S., mit 2 Karten, ISBN 978-0-19-537518-3, USD 99,00
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Rezension von:
R. Malcolm Errington
Seminar für Alte Geschichte, Philipps-Universität, Marburg
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
R. Malcolm Errington: Rezension von: Sviatoslav Dmitriev: The Greek Slogan of Freedom and Early Roman Politics in Greece, Oxford: Oxford University Press 2011, in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 4 [15.04.2012], URL: https://www.sehepunkte.de
/2012/04/20626.html


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Sviatoslav Dmitriev: The Greek Slogan of Freedom and Early Roman Politics in Greece

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Sviatoslav Dmitriev will die historische Entwicklung des Einsatzes des politischen Schlagwortes "Freiheit" (eleutheria) als politische Kriegspropaganda untersuchen, was in der ersten Phase der römischen Begegnung mit den Griechen für kurze Zeit eine prägende Rolle spielte. Er will auch die Vorgeschichte der Verwendung des Schlagwortes durch die Römer untersuchen und beginnt, ohne allerdings eine Begründung dafür zu liefern, mit dem peloponnesischen Krieg. Wohl deswegen kommt er zu dem Ergebnis, dass eleutheria die Freiheit von einem grossen Bündnissystem bedeutete, da im Peloponnesischen Krieg beide Kontrahenten versuchten, die Bundesgenossen des anderen mit Freiheitsparolen zu ködern. Die Beobachtung ist nicht falsch, aber kaum neu. Doch ohne Berücksichtigung der Perserkriege, die für fast alle Griechen der Freiheitskampf par excellence waren, bleibt die gewandelte innergriechische Verwendung des Motivs beraubt von ihren echten Wurzeln. Denn seit den Perserkriegen hieß für die Griechen eleutheria immer grundsätzlich Freiheit von Fremdbeherrschung, egal ob der Herrscher griechisch oder nicht-griechisch war. Die Bedeutung der subjektiv gefühlten politischen Freiheit hielt - wie Dmitriev es richtig darstellt - über Jahrhunderte an. Dies kommt im 3. Jahrhundert in einem Satz zum Ausdruck, den Dmitriev - leider falsch übersetzt - aus einem Ehrendekret von Priene zitiert (3), wo festgestellt wird, dass "für die Griechen nichts wichtiger ist als eleutheria".

Im Rahmen einer kurzen Rezension kann ich nicht alle Aspekte ansprechen. Dmitriev hat enorme Massen von wissenschaftlicher Literatur verarbeitet und herangeführt, was die Grösse der Anmerkungen anschwellen lässt. Er lässt sich aber immer wieder dazu verleiten, zu Problemen Stellung zu nehmen, die für sein eigentliches Thema - amorph genug, wie es ist - höchstens marginal, wenn nicht gänzlich irrelevant sind. Dies fällt in seinen Ausführungen zu den teilweise ohnehin verwirrenden diplomatischen Verrenkungen des 4. Jahrhunderts besonders auf, wo er den roten Faden seines gewählten Themas "Freiheit" zugunsten des besser belegten "Frieden" immer wieder verliert. Es gibt gewiss viel Richtiges dabei, bloß fragt man sich immer wieder, worum es dem Autor eigentlich geht. Dabei schleichen sich leider Sachfehler ein: z.B. scheint Dmitriev anzunehmen, dass es ein Megalopolis vor Epaminondas gab (47); er missversteht die Theorodokoi als Gesandte (nicht Gastgeber) und verwechselt Asklepios und Hera (84); er betrachtet Samos als Mitglied des 2. attischen Seebundes, wodurch seine diesbezügliche Argumentation in die Irre geht (80). Es gibt mehrere andere Stellen, wo m.E. Dmitriev die Quellen falsch verstanden oder überinterpretiert hat.

So geht es in die erste makedonische Phase unter Philipp II. und Alexander dem Grossen hinein, wo Nebenschauplätze wieder breit beackert werden, wo vom Slogan der "Freiheit" allerdings ganz wenig die Rede ist; wie im Vorgängerkapitel beschäftigt er sich m.E. zu sehr mit für sein Thema Nebenfragen, was den Blick für sein eigentliches Thema verschleiert. Auch hier handhabt er gelegentlich die Quellenaussagen unsachgemäss, ohne dass eine systematische Quellenkritik überhaupt vorliegt. Ich erwähne z.B. nur die von Dmitriev behauptete Auflösung des achäischen Bundes durch Philipp II., die für seine Vorgehensweise typisch ist. Der Achäer Polybios, die einzige gut informierte Quelle, sagt explizit, dass dies erst nach dem Tode Alexanders erfolgte (2.41.9). Dmitriev zitiert zwar die Stelle mit einem Hinweis auf André Aymard, der natürlich Polybios glaubte; er hätte allerdings beliebig viele andere Historiker zitieren können, die dasselbe getan haben (82). Dmitriev fuhrt Aymard aber bloß als eine moderne Meinung an und - da es ihm nicht passt, dass Philipp den Bund eben nicht auflöste - baut er eine abenteuerliche Argumentation auf, um nachzuweisen, dass Aymard sc. Polybios falsch lag. Solche Fälle wiederholen sich; daneben kommen auch falsche Behauptungen, z.B. dass "die Griechen" nach Alexanders Tod die Makedonen als "Barbaren" bezeichneten, wofür keine einzige Quelle zitiert wird.

Zu den Römern kommt Dmitriev erst auf Seite 143, und es geht gleich los mit einem Quellenproblem. Dmitriev will, wie viele ältere Historiker, unbedingt Polybios' Äußerungen, die er Rednern in den Mund legt, als zeitgenössische Quellen benutzen, insbesondere das Referat über die Rede des Agelaos von Naupaktos im Jahre 217 (obwohl der Freiheitsslogan da gar nicht vorkommt). Ich dachte, dieser alte Meinungsstreit wäre längst zugunsten von Polybios' eher thukydideischer Arbeitsweise entschieden worden, und tatsächlich bringt Dmitriev kein neues Argument für die Authentizität der Rede. Dies gilt übrigens auch für andere Reden, was besonders gefährlich ist, wenn es sich um Livius handelt. Dmitriev ist ausserdem der Meinung, die er extensiv vertritt, dass die Römer sc. Flamininus erst nach der Schlacht bei Kynoskephalai vom Slogan "Freiheit" Gebrauch machten, was der Quellenlage entspricht, aber auch dass es die Kontakte mit Lampsakos und Smyrna waren, die Flamininus gerade rechtzeitig vor seiner Verkündung bei den isthmischen Spielen die Idee lieferten, was eher unwahrscheinlich ist. Es gab schließlich genügend andere griechische Bundesgenossen der Römer, welche die Idee in die Welt hätten setzen können, wenn man meint, die Römer unter Flamininus' Einfluss waren nicht selbst klug genug, auf den Gedanken zu kommen.

Bis auf diesen Gedanken bietet Dmitriev wenig Neues in seiner recht langatmigen, aber immer wieder von problematischer Quellenbenutzung belasteten Erörterung der Ereignisse des 2. Jahrhunderts. Er betont immer wieder, dass die Römer bei der Freiheitserklärung eigenen Interessen folgten - gibt es jemanden, der das leugnen würde? - geht aber nirgends auf die Frage ein, warum dieses Bemühen um die "Freiheit" der Griechen bei den "Befreiten" offenbar so gut ankam, wenn alles nur Schau war: Waren die Griechen der Zeit tatsächlich zu dumm, um das nicht zu erkennen? Polybios' Vergleich zwischen Aristainos und Philopoimen (24.11-13), von Dmitriev nicht erörtert, lässt subtilere Haltungen erkennen. Auch in diesem Teil des Werkes sind leider Sachfehler und Ungenauigkeiten anzumerken: Für Dmitriev ist der Aous ein Ort, nicht ein Fluss (168); im Jahr 200 wird der junge legatus, M.Aemilius Lepidus, zu "the Roman general opposing Philip" (167); Dmitriev lässt die Akrokorinth im Jahre 196 statt im Jahr 194 räumen (167) und verlängert das Leben des Attalos I. um 2 Jahre (205), um nur einige Beispiele zu geben. Da nach 188 der Freiheitsslogan wenn überhaupt, eine gänzlich untergeordnete Rolle spielte, sind Dmitrievs Ausführungen in seinem überlangen Part III (fast 150 Seiten) für sein Thema weitgehend überflüssig. Da geht es ihm eher um die oft behandelten Themen des "richtigen" Verhaltens der verschiedenen griechischen Staaten, in der Hauptsache Rhodos und des achäischen Bundes, von welchen wir die beste Information haben, gegenüber Rom. Neue Einsichten werden nicht geboten, merkwürdig bleibt aber Dmitrievs Vernachlässigung des innerachäischen Streits um die Interpretation des Vertrags mit Rom, was in Achaia während der 180er Jahre, wie wir von Polybios wissen, von zentraler Bedeutung war. Auch hier, wie in anderen Teilen des Buches, wird man feststellen, dass eine schärfere Fassung des Themas - geht es nur um den "Slogan" oder auch um die Sache? - vorteilhaft gewesen wäre.

Das Buch schliesst mit über 60 Seiten Anhängen, einer langen Bibliographie sowie Quellen- und Sachregistern.

R. Malcolm Errington