Katrin Rupprecht: Der deutsch-isländische Fischereizonenstreit 1972-1976. Krisenfall für die NATO? Anhand der Akten des Auswärtigen Amtes, Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2011, 329 S., ISBN 978-3-631-62042-7, EUR 56,80
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Vor 40 Jahren beschloss das isländische Althing (Parlament) die Ausweitung der isländischen Fischereigrenze. Die isländische Küstenwache begann daraufhin gegen fremde Fischereifahrzeuge im beanspruchten Seegebiet hoheitlich vorzugehen. In dieser und den daran anschließenden Auseinandersetzungen um die Erweiterung der Fischereigrenze Islands auf zuerst 50 Seemeilen (1972/1973) und schließlich 200 Seemeilen (1975/1976), bekannt geworden als "Zweiter und Dritter Kabeljaukrieg" (Cod Wars bzw. Þorskastríðin), war der Hauptgegner Großbritannien. Unmittelbar betroffen von der Erweiterung der isländischen Fischereigrenze war auch die deutsche Hochseefischerei. Der Fischereizonenkonflikt endete schließlich mit dem Abschluss bilateraler Abkommen und befristeter Vereinbarungen zwischen Island und der Bundesrepublik (1975) sowie Großbritannien (1976).
In ihrer an der Universität Bonn 2010 eingereichten, von Klaus Hildebrand, später von Joachim Scholtyseck betreuten Dissertation, untersucht Katrin Rupprecht den deutsch-isländischen Fischereizonenstreit und ergänzt mit ihrer Arbeit die Forschung zum zentralen britisch-isländischen Konflikt. Ihre Leitfragen sind: Auf welche Weise konnte Island seine Position international durchsetzen? Wie reagierten darauf andere Staaten, insbesondere die Bundesrepublik? Und hatte dieser Konflikt Einfluss auf den Nordatlantik-Pakt? Ihre Arbeit, in der sie methodisch einen weitgehend diplomatiegeschichtlichen Ansatz verfolgt, gliedert sich in vier große Themenblöcke: Die Beweggründe Islands, die deutschen Interessen in der Auseinandersetzung sowie das deutsch-britische Zusammenwirken gegenüber Island. Des Weiteren bespricht sie den Einfluss des Konflikts auf die NATO und schließlich see- und völkerrechtliche Aspekte. Zu letzteren gibt sie einen kurzen Abriss der historischen Entwicklung.
Die Arbeit ist in sieben Kapitel mit fünf bis sieben Unterkapiteln untergliedert, in denen Rupprecht weitestgehend chronologisch vorgeht. Im ersten Teil der Untersuchung bietet sie eine Analyse der isländischen Geschichte seit der Besiedlung im 9. Jahrhundert bis Ende der 1960er Jahre (22-92). Teilaspekte sind dabei der NATO-Beitritt Islands, das bilaterale amerikanisch-isländische Verteidigungsabkommen und der erste Kabeljaukrieg 1958. Mit dieser längeren Vorgeschichte versucht sie die späteren Reaktions- und Verhaltensweisen Islands im Fischereizonenstreit der 1970er Jahre zu verstehen. Wie auch im weiteren Verlauf ihres Buches berücksichtigt sie dabei englisch- oder deutschsprachige Arbeiten. Forschungsliteratur isländischer Autoren hat sie nur berücksichtigt, wenn sie auf Englisch oder Deutsch erschienen sind. In Bezug auf den ersten britisch-isländischen Konflikt um die Ausdehnung der isländischen Hoheitsgewässer Anfang der 1950er Jahre folgt die Darstellung im Wesentlichen den Akten des Politischen Archivs des Auswärtigen Amts, obwohl dazu englischsprachige Arbeiten vorliegen, darunter die des isländischen Historikers Guðni Th. Jóhannesson, den man in ihrer Arbeit auch an anderer Stelle vergebens sucht.
In den folgenden Kapiteln zeichnet sie detailreich die vielschichtigen innen- und außenpolitischen Konfliktlinien im Fischereizonenstreit der 1970er Jahre unter Berücksichtigung des internationalen Kontextes aus der Sicht des Auswärtigen Amts nach. Auf dessen Akten stützt sich, wie schon der Untertitel ihrer Arbeit ankündigt, im Wesentlichen ihre Analyse, auch wenn sie zusätzlich Quellen des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten der DDR und britische und amerikanische Akteneditionen sowie Quelleneditionen der NATO mit berücksichtigt hat. Aus den gesichteten Akten wird deutlich, dass das Amt in den einzelnen deutsch-isländischen Verhandlungsrunden deutsche wirtschaftspolitische Erwägungen außen- und bündnispolitischen Zielen unterordnete und letztlich Island als der eigentliche Gewinner und die deutsche Hochseefischerei als Verlierer aus dem Konflikt schieden. Hier muss natürlich auch die völkerrechtliche Entwicklung berücksichtigt werden, namentlich die Tendenz der Küstenstaaten, darunter auch die USA, die Sowjetunion und selbst Großbritannien, in den sich seewärtig an die Küstengewässer anschließenden Seegebieten exklusive Nutzungsrechte zu reklamieren. Dies war, gleichlaufend mit dem deutsch-isländischen Fischereizonenstreit, zentraler Gegenstand der von 1973 bis 1982 dauernden III. Seerechtskonferenz der Vereinten Nationen (UNCLOS III), auf der schließlich auch Islands Maximalposition in Bezug auf die beanspruchte Fischereigrenze von 200 Seemeilen im Seerechtsübereinkommen kodifiziert wurde. Die Rückwirkungen dieser rechtlichen Dimension auf die deutsche Haltung hätten in der Arbeit durchaus stärkere Berücksichtigung finden können, auch weil im Auswärtigen Amt 1975 die Federführung in der deutsch-isländischen Auseinandersetzung von der Völkerrechtsabteilung auf die Politische Abteilung überging, wofür Rupprecht keine stichhaltige Erklärung anbieten kann.
War aber der deutsch-isländische Fischereizonenkonflikt ein Krisenfall für die NATO, so wie es der Buchtitel fragt? Dies wurde er im Zuge des britischen Marineeinsatzes und der Zusammenstöße britischer Kriegsschiffe mit Einheiten der isländischen Küstenwache vor allem 1976. Die isländische Regierung versuchte zur Verstärkung der Küstenwache von den USA zusätzliche Patrouillenboote zu erhalten. Wegen der ablehnenden Haltung Washingtons beantragte die isländische Regierung die Überprüfung des amerikanisch-isländischen Verteidigungsabkommens. Parallel nutzte Island die NATO als Forum des politischen Austausches, gleichfalls, um ihre Interessen gegenüber London durchzusetzen. Das Auswärtige Amt hingegen sondierte verschiedene Möglichkeiten der Konfliktbeilegung, nahm also eher eine Vermittlerrolle ein. Die westdeutschen Vermittlungsinitiativen trugen jedoch nicht zur Konfliktbeilegung bei. Entscheidend hingegen waren hierbei norwegische Bemühungen und die Rückwirkungen der Seerechtskonferenz der Vereinten Nationen in New York 1976 auf die britische Haltung. Die Auswirkungen des deutsch-isländischen Konflikts selbst auf das Bündnis waren, wie Rupprecht einräumt, gering. Ist der Untertitel der Arbeit also eine vorangestellte Leitfrage oder soll er Interesse an diesem Buch wecken?
Gewonnen hätte die Arbeit noch, wenn Quellen weiterer deutscher Ministerien und des Bundeskanzleramts in die Untersuchung einbezogen worden wären. Für eine Analyse und Interpretation der isländischen Motive im Konflikt wäre eine breitere, auf isländische Quellen und Forschungsliteratur gestützte Arbeitsgrundlage wünschenswert gewesen. Ein weiterer Korrekturdurchgang hätte zudem fehlerhafte Seitenangaben im Inhaltsverzeichnis und einige wenige sprachliche Mängel korrigieren können. Gleichwohl bietet das Buch insgesamt, auf der Basis der Akten des Auswärtigen Amts, eine detaillierte Darstellung des deutsch-isländischen Fischereikonflikts, der internationalen und bündnispolitischen Zusammenhänge sowie der deutschen innen- und außenpolitischen Interessen.
Michael Penk