Suzanne Vromen: Hidden Children of the Holocaust. Belgian Nuns and Their Daring Rescue of Young Jews from the Nazis, Oxford: Oxford University Press 2010, XIX + 178 S., 1 Kt., 30 s/w-Abb., ISBN 978-0-19-973905-9, GBP 11,99
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Das Buch der emeritierten Soziologin Suzanne Vromen beschreibt das Schicksal jüdischer Kinder in Belgien, die den Holocaust getrennt von ihren Eltern in katholischen Klöstern oder anderen kirchlichen Einrichtungen wie Waisenheimen überlebten. Sie erzählt damit von einem speziellen Aspekt der Rettungsgeschichte jüdischer Kinder in Belgien, der bisher noch nicht eingehend untersucht worden ist. Während sich andere Veröffentlichungen dem Thema eher allgemein nähern [1] und das Überleben der Kinder als Erfolgsgeschichte in den allgemeinen Kontext des belgischen Widerstands gegen die deutschen Besatzer einordnen, greift die Autorin die Situation der Kinder in dem speziellen katholischen Umfeld der Klöster und kirchlichen Einrichtungen heraus.
Grundlage ihres Buches bilden Interviews mit Zeitzeugen, sowohl mit ehemals versteckten Kindern als auch mit den sie betreuenden Nonnen. Außerdem hat Suzanne Vromen zwei Frauen interviewt, die während der Besatzungszeit im Auftrag der belgischen Widerstandsorganisation Comité de Défense des Juifs (CDJ) die Kinder von ihren Familien abholten und sie zu ihren jeweiligen Verstecken brachten.
Insgesamt hat sie Interviews mit 28 ehemals versteckten Kindern, acht Nonnen und einem Priester sowie den beiden Sozialarbeiterinnen des belgischen Widerstands geführt. So viele noch lebende Zeitzeugen zu finden und sie zu befragen, ist bereits ein Verdienst an sich. Gleichzeitig sind die gewählte Verwendung der Interviews und der Aufbau des Buches jedoch auch zwei seiner größten Mankos.
Das erste Kapitel, in dem es Suzanne Vromen um die Erfahrungen der Kinder in den katholischen Einrichtungen geht, gliedert sich in verschiedene Themen: Den Weg ins Versteck, den Umgang mit Religion und Taufe, das Körperverständnis in den Einrichtungen und den Alltag, den die Kinder erlebten. In den einzelnen Bereichen kommen immer wieder die ehemals versteckten Kinder selbst zu Wort und die Autorin zitiert aus den von ihr geführten Interviews. Doch bleibt dem Leser das Erkenntnisinteresse des Buches verschlossen. Die Themen und Berichte reihen sich aneinander, ohne dass die unterschiedlichen Erfahrungen der Kinder in den verschiedenen Einrichtungen diskutiert werden oder dass dem Leser entweder einzelne Kinder näher gebracht oder die verschiedenen Einrichtungen miteinander verglichen werden. Suzanne Vromen schildert viele Beispiele, sie geht jedoch analytisch nicht in die Tiefe. Stattdessen fällt es dem Leser schwer, zwischen den Erfahrungen der Kinder in einem Jungen- oder Mädchenheim zu unterscheiden oder die Andersartigkeit der Berichte aus einem Konvent oder einem Waisenhaus zu verstehen. Der schnelle Wechsel zwischen den verschiedenen Interviews und dargestellten Einrichtungen führt zu Beliebigkeit und Verwirrung. Hinzu kommt, dass keine Einführung in die Interviews gegeben wird, weder dazu, wie sie zustande gekommen sind, noch zur Methode oder Auswertung. Stattdessen beginnt das Kapitel mit einem sehr allgemeinen und zu linear strukturierten Überblick über die Besatzungszeit in Belgien, der in der Erkenntnis gipfelt, dass die Eltern durch den Beginn der Razzien und Deportationen Probleme für ihr eigenes Verstecken sahen, aber zunächst daran dachten, die eigenen Kinder zu verstecken und deren Überleben damit zu sichern.
Das nächste Kapitel über die Erfahrungen der Nonnen mit den versteckten Kindern versprach wirklich neue Erkenntnisse. Während einzelne Kinder ihre Erfahrungen während der Besatzungszeit (auto)biografisch verarbeitet hatten [2] und so zumindest ein erster Eindruck von ihren Erlebnissen bekannt war, gehörten Nonnen, Priester oder andere Mitglieder der kirchlichen Hierarchie nicht zu denjenigen, die nach der Besatzungszeit zu ihren Erlebnissen befragt worden waren, noch äußerten sie sich selbst dazu. Insofern hätten die Interviews mit den Nonnen der Geschichte der versteckten Kinder neue Aspekte hinzufügen können, sie hätten deren Narrative korrigieren oder aus einer neuen Perspektive berichten können. Und in einem kleinen Maßstab passiert das tatsächlich. Doch auch hier bleibt Suzanne Vromen mit ihrer Analyse zu sehr an der Oberfläche. Zwar beschreibt sie verschiedene Aspekte des Lebens in den kirchlichen Einrichtungen aus Sicht der Nonnen, doch wenn sie neben allgemein erwarteten Banalitäten, wie der Betonung des Verständnisses für die besondere Situation der Kinder, einmal auf Fragen stößt, die eine nähere Untersuchung erfordert hätten, bleibt sie zurückhaltend und blass in ihrer Argumentation. Die Tatsache, dass in den Interviews mit den Nonnen religiöse Aspekte zugunsten humanitärer heruntergespielt wurden, während die Taufe und die Religion in den Interviews mit den versteckten Kindern und auch schon während der Besatzungszeit eine wichtige Rolle zu spielen scheinen, erkennt Suzanne Vromen zwar, geht in ihrer Analyse aber nicht weiter. Gerade die Diskussion der Zielsetzungen der katholischen Kirche in Kontrast mit ihrer Umsetzung in den jeweiligen Einrichtungen, wäre sicher gewinnbringend gewesen.
Suzanne Vromen bleibt ihrer Linie im dritten Kapitel mit den Interviews der beiden Sozialarbeiterinnen, die Kinder zu ihren Verstecken begleiteten, treu. Auch hier dominieren die biografischen Lebenswege der beiden Interviewten zusammen mit Berichten über die von ihnen betreuten Kinder. Interessante Ansätze, wie die Begründung des langen Schweigens der einen Interview-Partnerin nach der Besatzungszeit oder die Diskussion der Traumatisierung der Kinder durch das Verlassen ihrer Familien werden angerissen, aber nicht diskutiert oder zu Ende gedacht.
Erst im letzten Kapitel, in dem Suzanne Vromen sich der Erinnerung und dem Gedächtnis widmet, erhält der Leser eine Vorstellung des theoretischen Ansatzes, der ihrem Buch wohl zugrunde liegt. Zum ersten Mal diskutiert die Autorin hier "Das versteckte Kind: Das Aufkommen eines Konzepts" (120) und argumentiert mit Ansätzen zu Gedächtnis und Erinnerung von Maurice Halbwachs, James E. Young und Pieter Lagrou. [3] Sowohl in diesem Kapitel als auch im anschließenden Epilog tauchen die Ziele und Erkenntnisinteressen auf, die die Untersuchung bestimmten. Als Soziologin sei sie, so schreibt Suzanne Vromen "an den versteckten Kindern als Gruppe interessiert gewesen" (143) und an der Verbindung zwischen Identität, Erinnerung und persönlicher Erzählung. Es wäre gut gewesen, wenn der Leser dies schon zu Anfang erfahren hätte und nicht im Unklaren über die Ziele der Autorin geblieben wäre.
Ein weiteres Problem ist der grundsätzliche Zugang von Suzanne Vromen zu ihrem Thema. Ausschlaggebend für ihre Beschäftigung damit seien "autobiografische Gründe" (1) gewesen. Ihrer Familie gelang 1941 noch die Flucht nach Belgisch-Kongo. Durch dieses Buch erkenne sie das Glück an, durch das sie den Verfolgungsmaßnahmen der Nationalsozialisten entkommen sei, gleichzeitig verfolge sie die "Mission" (2), die Geschichte der versteckten Kinder bekannt zu machen. Die persönliche Betroffenheit verhindert im Fall von Suzanne Vromen mitunter Reflexion und Analyse. Ein an sich interessantes und viele wichtige Fragen aufwerfendes Buch wird dadurch in seinem Wert gemindert. Obwohl die Autorin einige dieser Fragen am Schluss stellt, kommt sie in den eher beschreibenden Kapiteln zuvor eigenen Antworten nicht wirklich nahe.
Anmerkungen:
[1] Sylvain Brachfeld: Zeh ebben het overleefd. Brüssel 1997; Shlomo Kless: The Rescue of Jewish Hidden Children in Belgium during the Holocaust. In: Holocaust and Genocide Studies, 3 (1988), 3, 275-287.
[2] Marcel Liebman: Born Jewish. A Childhood in Occupied Europe, London 2005; Suzanne Loebl: At the Mercy of Strangers. Growing up on the Edge of the Holocaust. Pacifica 1997; Walter Buchignani: Tell No One Who You Are. The Hidden Childhood of Régine Miller, Plattsburgh 1994.
[3] Maurice Halbwachs: Das kollektive Gedächtnis. Stuttgart 1967; James E. Young: At Memory's Ed
Katja Happe