Rezension über:

Paolo Asso (ed.): Brill's Companion to Lucan, Leiden / Boston: Brill 2011, XXI + 625 S., ISBN 978-90-04-16786-5, EUR 180,00
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Rezension von:
Nadja Kimmerle
Seminar für Alte Geschichte, Eberhard Karls Universität, Tübingen
Redaktionelle Betreuung:
Mischa Meier
Empfohlene Zitierweise:
Nadja Kimmerle: Rezension von: Paolo Asso (ed.): Brill's Companion to Lucan, Leiden / Boston: Brill 2011, in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 9 [15.09.2012], URL: https://www.sehepunkte.de
/2012/09/20695.html


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Paolo Asso (ed.): Brill's Companion to Lucan

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Im Prinzipat des Nero verfasste der Dichter M. Annaeus Lucanus (39-65 n.Chr.) sein Epos Bellum Civile. Es behandelt die Geschehnisse von Caesars Überschreitung des Rubicon bis hin zu seinem Aufenthalt in Alexandria, wo es mitten im Kampfgeschehen abbricht. Lucans Werk sollte nachhaltigen Einfluss ausüben: Bis in die Neuzeit wurde es durchgehend breit rezipiert. Erst dann erfuhr es aufgrund sprachlicher und stilistischer Besonderheiten eine radikale Abwertung. Im 20. Jahrhundert geriet es allmählich wieder in den Fokus des Interesses; es gelang, mit qualitativen Vorurteilen, die aus einem zeitspezifischen Rhetorik-Verständnis herrührten, aufzuräumen, so dass Lucans Bellum Civile mittlerweile zu einem beliebten Thema in der Forschung avanciert ist.

Trotz zahlloser Untersuchungen mangelt es jedoch nach wie vor an Zusammenstellungen, die einen Überblick über die reichhaltigen Forschungsfelder vermitteln. Dem trägt der von Paolo Asso herausgegebene, 625 Seiten starke "Brill's Companion to Lucan" Rechnung, indem er Fragen nach Autor und Entstehung des Textes, seinem literarischen Kontext, seiner Interpretation und Rezeption behandelt.

Die schnelle inhaltliche Orientierung ist problemlos gewährleistet, auch wenn der Herausgeber auf eine Einleitung verzichtet. Dies tut er aus gutem Grund, denn John Henderson bietet zum Abschluss des Bandes eine zusammenfassende Würdigung. Außerdem wird der Zugang durch abstracts jeweils zu Beginn der einzelnen Beiträge sowie durch eine klare inhaltliche Strukturierung erleichtert. Außer Hendersons Retrospektive ist der Band in fünf Blöcke eingeteilt: Part A zu Autor und Werk ("Author"), Part B zu literarischen Bezugsrahmen ("Intertexts-Contexts-Texts"), Part C zu den Protagonisten ("Civil Warriors"), Part D zu verschiedenen Interpretationsansätzen ("Civil War Themes") und Part E zur Rezeption ("Reception").

In Part A bietet Elaine Fantham eine umfassende Diskussion zum umstrittenen Leben Lucans und betont dabei - im Gegensatz zur verbreiteten Forschungshaltung, die politische Beweggründe für Lucans Bruch mit Nero zu erkennen meint - die künstlerischen Aspekte und Motive. Joseph D. Reed liefert anschließend eine Einordnung des Bellum Civile in die römische epische Tradition, während Jonathan Tracy sich der umstrittenen Frage nach dem geplanten Endpunkt des Werkes annimmt. Dabei vertritt er die eher selten, jedoch gerade in der anglophonen Forschung vertretene Haltung, das Werk sei mit den erhaltenen zehn Büchern vollständig überliefert, und zieht zur Untermauerung interne Hinweise in der bisher oft vernachlässigten Nil-Episode des zehnten Buches hinzu.

Auch in Part B ist ein Beitrag der Nil-Episode gewidmet. Eleni Manolaraki stellt sie in den inhaltlichen wie poetologischen Kontext des gesamten Werkes und untersucht intertextuelle Bezüge zu Senecas Naturales Quaestiones. Bezüge außerhalb der epischen Gattung werden auch mit Ruth R. Castons "Lucan's Elegiac Moments" aufgenommen. Beide Beiträge verweisen damit auf ein noch unterrepräsentiertes Feld in der Forschung: Bezüge zu anderen Gattungen. Auch Shadi Bartsch liefert in Teil D eine wertvolle Ergänzung. Sie untersucht die Haltung der Erzählerstimme im Vergleich zur Geschichtsschreibung und deutet dabei in innovativer Weise Lucan als Anti-Velleius.

Die Einordnung in die epische Tradition setzt mit Jackie Murrays innovativer Deutung der Bezüge zum Argonautenmythos ein. Lucan stelle dabei zwei widersprüchliche Versionen des Argo-Mythos, darunter Apollonius' Argonautika, nebeneinander und verknüpfe dies mit der widersprüchlichen Darstellung von Pompeius' Triumphalpropaganda. Den Einfluss der bedeutenden epischen Vorgänger Vergil und Ovid behandeln Sergio Casali und Alison Keith. Beide Beiträge weisen nicht das gängige, zu simplifizierte Kontrastbild des Lucan als Anti-Vergil auf, sondern betonen die Ambivalenzen Lucans und seiner Vorlagen und zeigen daran, wie Lucan - etwa durch die Linse der Metamorphosen (Keith) - Widersprüche in der Aeneis hervorhebt und deutet.

Mit der Betrachtung dieser ersten beiden Blöcke können bereits die grundlegenden Merkmale des Companion aufgezeigt werden. Zum einen werden altbekannte Forschungsprobleme wie die Diskussion um Lucans Leben oder Lucan als Anti-Vergil nicht nur vorgestellt, sondern auf aktuellstem Stand der Forschung kritisch aufgearbeitet und mit neuen Anregungen versehen. Zum anderen werden vernachlässigte Untersuchungsfelder wie der Nil-Exkurs oder Bezüge zu Apollonius und einer nicht-epischen Gattung wie der Elegie herangezogen und damit wichtige und innovative Beiträge zur Lucan-Forschung geleistet.

Darüber hinaus sind die einzelnen Themen auch mit Beiträgen aus anderen Parts vernetzt; so liefert etwa Bartschs Beitrag zur Geschichtsschreibung nicht nur wichtige Hinweise zur Deutung (Part D), sondern auch zur Intertextualität. Vergleichbar wird der Einfluss Lucans auf seine Nachfolger zwar nicht in Part B, jedoch in einzelnen Beiträgen in verschiedenen Teilen thematisiert: Antony Augoustakis untersucht in Part C Lucans Cornelia und nimmt dabei insbesondere deren intertextuelle Verflechtung mit Silius Italicus' Saguntinerinnen in den Blick. In Part D wird Statius in Verbindung mit dem Verständnis von Verbrechen von Randall Ganiban mit Lucan verglichen.

Nicht zu verschweigen ist jedoch, dass trotz des großen inhaltlichen Umfangs auch bedeutende Themenfelder unter den Tisch fallen: Spannend wären etwa die leider wenig untersuchten Fragen nach dem Bezug Lucans auf Homer oder zur Tragödie gewesen. Doch notwendige Selektion ist einem Sammelband sicherlich nur bedingt zur Last zu legen, gerade wenn er ansonsten eine solche inhaltliche Fülle in hoher Qualität bietet.

Diese grundlegenden Merkmale zeigen sich ebenso in den folgenden Teilen. Part C widmet sich den Bürgerkriegsprotagonisten und setzt mit dem erwähnten Beitrag von Augoustakis zu Cornelia ein. J. Mira Seo und Ben Tipping behandeln Lucans Cato-Gestalt: Erstere nimmt Cato als exemplum, das aber dem stoischen Ideal nicht gerecht wird, in den Blick und erweist überzeugend die Tode von Vulteius, Scaeva, Domitius, Pompeius als Anlehung an Catos Tod. Letzterer fokussiert auf die problematische Wertung Catos und mahnt zur Vorsicht bei extremen Deutungen, die ihn entweder als positive Lichtgestalt oder als negativen fehlgeleiteten Helden betrachten. Beiden Aufsätzen gelingt es, eine ausgewogene Beurteilung Catos zu erreichen.

Es folgt Marco Fucecchis Aufsatz zu Nebenfiguren, die entsprechend ihren Merkmalen der Zugehörigkeit zu Caesar oder Pompeius untersucht werden. Aus dieser Perspektive wird eine differenzierte Sichtweise auf die Deutung dieser beiden Protagonisten ermöglicht, welche durch den Aufsatz von Neil Coffee (Part D) zu sozialen Beziehungen im Bellum Civile ergänzt wird. Überraschenderweise fehlen dagegen eigene Beiträge speziell zu Caesar und Pompeius. Der Block schließt stattdessen mit Neil W. Bernsteins Untersuchung der programmatischen Schlüsselfunktion von Geister-Figuren ab.

Die Vielfältigkeit verschiedenster Interpretationsansätze wird in Part D dokumentiert. Einer erkenntnisreichen Darstellung des Bellum Civile als Trauma-Literatur von Christine Walde folgt Bartschs bereits genannte Untersuchung zu "Lucan and Historical Bias" im Vergleich mit Geschichtsschreibung. Eine Strukturanalyse in Hinblick auf die epische Tradition und deren Deutung liefert Robert Sklená ř. Ganiban untersucht, wie angesprochen, den Themenkomplex Verbrechen, Sean Easton Neid und fatum. Als literarisches Begräbnismonument im Sinne der memoria-Kultur interpretiert Mark Thorne das Bellum Civile. Lucans rationalisierte Deutung eines römischen Mythos wird vom Herausgeber selbst und Lucans poetische Geographie von Micah Y. Myers thematisiert. Den Block beendet Coffees erwähnter Beitrag zu den Auswirkungen des Bürgerkrieges auf soziale Beziehungen: soziale Banden, Werte und Verhaltensmuster vor allem der Elite werden entartet und zerrissen.

Vielfältig zeigt sich auch der letzte Part zur Rezeption Lucans und spiegelt damit ein gerade in den letzten Jahren verstärkt untersuchtes Themengebiet wider. Die Beiträge sind chronologisch angeordnet und reichen von der direkten Folgezeit Lucans (Carole Newlands) über das Mittelalter (Paolo Esposito, Edoardo D'Angelo), Dante (Simone Marchesi) und die englische Renaissance (Philip Hardie) bis ins 17. und 18. Jahrhundert (Susanna Braund, Francesca D'Alessandro Behr).

Wer eine bloße Einführung zu Lucans Bellum Civile sucht, wird wohl durch die Komplexität des Companion überfordert. Der Band liefert stattdessen in gewaltiger inhaltlicher Fülle substantielle und durchaus auch kontroverse Forschungsbeiträge auf hohem Niveau und ist daher jedem Lucan-Forscher zu empfehlen.

Nadja Kimmerle