Dirk Laabs: Der deutsche Goldrausch. Die wahre Geschichte der Treuhand, München: Pantheon 2012, 384 S., ISBN 978-3-570-55164-6, EUR 16,99
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Soviel steht fest: Ein Anhänger konstruktivistischer Ansätze in der Geschichtswissenschaft ist der Autor - investigativer Journalist, Autor und Filmemacher, wie der Klappentext verrät - nicht. Deshalb kann er gänzlich unbefangen nichts weniger als die "wahre" Geschichte der Treuhand versprechen. Dabei verdeutlicht die Lektüre dieses ebenso spannenden wie deprimierenden Buches doch immer wieder, dass sich jeder, der an der Lösung dieser (so der damalige Präsident der Treuhand, Rohwedder, in einem Anflug entwaffnender Ehrlichkeit) "Aufgabe von nahezu furchterregender Dimension" beteiligt war, seine eigene "Wahrheit" von den Vorgängen rund um die Privatisierung der DDR-Wirtschaft zurechtgelegt hat. Überdies scheinen inzwischen nur noch wenige wirklich ernsthaft an einer Aufklärung interessiert zu sein.
Seine Recherche stützte Laabs auf Gespräche mit annähernd 100 Zeitzeugen, Bundestagsdrucksachen und Protokolle der beiden Untersuchungsausschüsse, die Presse- und Fernsehberichterstattung sowie Gerichtsurteile. Insbesondere die Zeitzeugeninterviews werfen quellenkritische Fragen auf, die aber nicht thematisiert werden. Sie ermöglichen freilich eine außerordentlich anschauliche und lebendige, auf einzelne "Helden" und "Schurken" konzentrierte Darstellung der Ereignisse. Das Buch liest sich mitunter wie ein Krimi, bei dem der Leser beispielsweise mit dem aufrechten Berliner Kriminalhauptkommissar mitfiebern kann, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, korrupte Politiker, kriminelle Bauunternehmer und Versicherungsbetrüger zur Strecke zu bringen. Schließlich seien in Berlin damals "Gangster aus der ganzen Welt unterwegs" gewesen (178).
Dabei entstand die Idee zur Gründung einer Treuhandanstalt Anfang Oktober 1989 in einem kleinen Zirkel von Wissenschaftlern und Dissidenten, die sich den unverfänglichen Namen "Freie Forschungsgemeinschaft Selbstorganisation" gegeben hatten und allesamt "Funktionsträger im DDR-Staat" (7) waren. Allerdings sollte diese Treuhandgesellschaft, so sah es ein im Februar 1990 vom Zentralen Runden Tisch einstimmig verabschiedetes Konzept vor, der "Wahrung der Anteilsrechte der Bürger mit DDR-Staatsbürgerschaft am 'Volkseigentum' der DDR" dienen (31). Auf diese Weise sollte das "Volkseigentum" sowohl "vor den eigenen Landsleuten, die es verkaufen" wollten (47), als auch vor westdeutschen oder ausländischen Käufern geschützt werden. Diese Sorge trieb zwar auch die Bundesregierung um. Die Institution, die auf ihren Druck hin schließlich installiert wurde, hatte indes eine ganz andere Hauptaufgabe: Sie sollte nach der schnellen Währungsunion sicherstellen, dass das Volkseigentum "als Pfand für diesen riskanten Schritt" (35) erhalten blieb, wie Laabs schreibt. Was aus diesem Plan wurde, zeichnet er chronologisch und mit feinem Gespür für wichtige Details nach: So etwa wenn er erwähnt, dass die Sparkasse in Halle ohne Sicherheiten, allein in der Hoffnung auf Arbeitsplätze schaffende Investitionen, "innerhalb weniger Wochen [...] über eine halbe Milliarde D-Mark" an Krediten auszahlte (160) oder ein 26-jähriger Bankkaufmann aus Hildesheim, Mitglied der Jungen Union, als Leiter der Magistratskanzlei des Bürgermeisters von Halle "viele seiner Freunde und Familienmitglieder in städtischen Unternehmen" unterbrachte und sich gleichzeitig über die fehlende "Dynamik" der Hallenser mokierte (163). Viele der geschilderten Korruptions- und Betrugsfälle - vor allem die politischen Machenschaften und Schmiergeldzahlungen im Zusammenhang mit dem Verkauf der Leuna-Raffinerie - sind bekannt, ebenso die von wahltaktischen Überlegungen geleiteten Schachzüge der Bundesregierung oder die verdeckten Aktivitäten von SED-Seilschaften innerhalb der Treuhand. Aber man ist doch dankbar dafür, dies alles in dieser dichten, umfassenden und um Objektivität bemühten Form nochmals präsentiert zu bekommen.
Die besonderen Verdienste des Buches liegen zum einen darin, dass man sehr gut nachvollziehen kann, wie politisches framing funktioniert: Wenn etwa die Bundesregierung ab einem gewissen Zeitpunkt auf einen schnellen Anschluss der DDR setzt, dann muss die DDR gewissermaßen "kaputtgeredet" werden; Laabs bringt zahlreiche Beispiele, wie das in einer konzertierten Aktion durch Pressestatements, Interviews und Hintergrundgespräche erledigt wurde. Zum anderen drängt sich bei der Lektüre - meines Erachtens stärker als in bisherigen Darstellungen - der Eindruck auf, dass die Privatisierung der DDR-Wirtschaft ein gigantisches "neoliberales" Projekt war. Die Treuhand diente als Instrument zur Realisierung dieses Projekts. Wie Birgit Breuel, die nach dem tödlichen Anschlag auf Rohwedder zur neuen Präsidentin der Treuhand avancierte, schon Anfang der 1980er Jahre erklärt hatte, kam es darauf an, "Verantwortung wieder zurück zu verlagern auf den Bürger, auf die Wirtschaft und damit dort die Entscheidungsfreiräume zu stärken" (211). Nach dieser Maxime handelte die Treuhand anfangs. Und als den ersten Akteuren in Bonn und Berlin im Frühjahr 1991 dämmerte, dass man "mit der reinen Lehre" nicht weiterkommen würde, war es bereits zu spät zum Umsteuern. Der "Kanzler der Einheit" hatte an dieser verhängnisvollen Ausrichtung und manchen zweifelhaften Einzelentscheidungen, folgt man Laabs, einen nicht unbeträchtlichen Anteil. Übrigens hat sich die Bundesregierung in Gestalt der Treuhand eines wichtigen Elements der "neoliberalen" Strategie bedient: Outsourcing. Prekäre, möglichweise finanziell verlustreiche und deshalb politisch riskante Aktivitäten wurden einfach ausgelagert.
Waren es nun Dilettantismus, Hilflosigkeit, Unfähigkeit, Desinteresse - oder doch eher Selbstüberschätzung und Triumphalismus, die erklären könnten, wie es zu diesem eklatanten Missverhältnis zwischen dem zunächst erwarteten Erlös aus den Privatisierungen und dem tatsächlichen Ertrag kam? Vermutlich von allem etwas. Wie drückte es doch ein Mitarbeiter eines involvierten Ministeriums aus (122): "Wenn du den Überblick verloren hast, dann musst du wenigstens den Mut zur Entscheidung haben."
Werner Bührer