Jörg Echternkamp / Stefan Martens (Hgg.): Militär in Deutschland und Frankreich 1870-2010. Vergleich, Verflechtung und Wahrnehmung zwischen Konflikt und Kooperation, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2012, VIII + 201 S., ISBN 978-3-506-77336-4, EUR 27,90
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Jörg Echternkamp / Sven Oliver Müller (Hgg.): Die Politik der Nation. Deutscher Nationalismus in Krieg und Krisen 1760-1960, München: Oldenbourg 2002
Jörg Echternkamp: Soldaten im Nachkrieg. Historische Deutungskonflikte und westdeutsche Demokratisierung 1945-1955, München: Oldenbourg 2014
Jörg Echternkamp / Wolfgang Schmidt / Thomas Vogel (Hgg.): Perspektiven der Militärgeschichte. Raum, Gewalt und Repräsentation in historischer Forschung und Bildung, München: Oldenbourg 2010
Die Militärgeschichte befindet sich mitten "in der Erweiterung" (Kühne / Ziemann) und hat in den vergangenen Jahren neue Perspektiven auf ein traditionelles Feld der historischen Forschung eröffnet. Kulturgeschichtliche Fragestellungen, die die Erfahrungsebene des Soldaten in den Mittelpunkt stellen, und neue methodische Überlegungen etwa zur Operations- und Sozialgeschichte des Militärs haben in Deutschland und auf internationaler Ebene wegweisende Studien geprägt. Die Bandbreite der Forschungsinteressen zu Krieg, Kriegführung sowie den beteiligten Institutionen und Personen ist erfreulich angewachsen, so dass man, wie bereits geschehen, in der Tat mit einiger Berechtigung die Frage diskutieren kann, inwiefern sich die Historiker derzeit auf einen gemeinsamen und klar umrissenen Forschungsgegenstand "Militärgeschichte" beziehen.
Der Ausdifferenzierung von Themen und Fragestellungen zum Trotz wird die Militärgeschichte der Neuzeit nach wie vor überwiegend in nationalstaatlichen Kontexten gedacht und geschrieben. Grenzübergreifende und vergleichende Fragestellungen sind die Ausnahme von der Regel; gerade die Institution Militär trägt in dieser Hinsicht schwer an ihrer nationalen Organisation und am Erbe nationalhistorischer, auf Identitätsstiftung ausgerichteter Geschichtsschreibung.
Der vorliegende Sammelband ist im Auftrag des Deutschen Historischen Instituts Paris und des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes Potsdam als ein "Plädoyer für eine teilweise Entnationalisierung" der Militärgeschichte veröffentlicht worden, wobei die Untersuchungsgegenstände jedoch nicht aus den jeweiligen nationalen Bezügen, in denen sie verankert sind, gelöst werden sollen. Das Ergebnis ist eine deutsch-französische Militärgeschichte über fast 150 Jahre hinweg, mit einer Spannweite an Themen, die den Krieg 1870/71 und die Deutsch-Französische Brigade im Jahr 2010 umfassen. Die Idee ist ebenso innovativ wie die Methode, denn konzeptionell nutzt der Band sowohl den historischen Vergleich als auch die Verflechtungsgeschichte. Er zeigt sich damit offen für ein "best of both worlds" zweier methodischer Zugänge, die die deutsche und die französische Geschichtsschreibung geprägt haben, deren Stärken aber, wie die Herausgeber Jörg Echternkamp und Stefan Martens in ihrem einleitenden Beitrag hervorheben, nach wie vor selten ergänzend genutzt werden.
Im Buch sind Vorträge aus zwei deutsch-französischen Tagungen in 2007/2008 zum Bild des Militärs und des Soldaten im 19. und 20. Jahrhundert zwischen Konflikt und Kooperation veröffentlicht. Die Vortragsreihe "Rencontres franco-allemandes de l'histoire militaire" wurde 2002 begründet vom Centre d'étude d'histoire de la défense (CEHD) in Vincennes - seit 2009 im Institut de Stratégie de l'École militaire (IRSEM) - und bietet Militärhistorikern aus beiden Ländern seit Jahren einen regelmäßigen Ort des fachlichen Austausches. Während die Vorträge in der französischen Sprache in der Schriftenreihe des IRSEM veröffentlicht werden, sind die im Sammelband enthaltenen Aufsätze durchgehend auf Deutsch verfasst.
Die ausgewählten Beiträge geben in thematisch geordneten Kapiteln einen Überblick über die Forschungsinteressen auf beiden Seiten des Rheins: "Militär im Vergleich", "Heldenideale?", "Feind-Bilder" und "Verteidigungspolitische Verflechtungen". Das konfliktbeladene Verhältnis der Nachbarn am Rhein hat im Untersuchungszeitraum zu drei bewaffneten Konflikten geführt; mehrere Aufsätze behandeln die direkten Kontakte zwischen deutschen und französischen Soldaten und das misstrauische Wahrnehmen des Gegners auch zwischen den Kriegen: Während Wencke Meteling sich mit Regimentsideologien in Frankreich und Deutschland zwischen 1870 und 1920 auseinandersetzt, analysiert Patrice Buffotot den Einfluss des deutschen Modells der allgemeinen Wehrpflicht auf die französische Wehrverfassung 1870-1970. Christian Kehrt behandelt das Bild deutscher Militärflieger in der Zwischenkriegszeit, Thorsten Loch nutzt öffentlich verbreitete visuelle Medien für seine Überlegungen zum Bild des deutschen Soldaten im 20. Jahrhundert. Der Zweite Weltkrieg dominiert thematisch mit den Beiträgen von Claude d'Abzac-Epezy über Frankreich aus Sicht der deutschen Kriegsgefangenen nach 1945, von Jean-Luc Leleu, der sich mit der Wahrnehmung der Waffen-SS durch die westlichen Armeen im Kriegsverlauf auseinandersetzt, und mit Thomas Vogels Beitrag zum Bild der Wehrmacht in den Aufzeichnungen des deutschen Offiziers Wilm Hosenfeld.
Der militärischen Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg sind drei Aufsätze gewidmet: Dieter H. Kollmer untersucht deutsche Interessen in den Anfangsjahren der deutsch-französischen Rüstungskooperation nach 1953, Florence Gauzy Kriegers Beitrag vergleicht Militärreformen der 1990er Jahre in Frankreich und Deutschland. Der militärsoziologische Aufsatz von Christophe Pajon analysiert Aussagen von Angehörigen der Deutsch-Französischen Brigade zu ihrer Zusammenarbeit.
Bei all der genannten Vielfalt soll nicht unbemerkt bleiben, dass nur die Hälfte der im Buch vorgestellten Themen von vornherein vergleichend oder verflechtend angelegt sind; längst nicht alle interessanten Aussagen zu einem deutschen oder französischen Phänomen finden ihren Gegenpart auf der anderen Seite der Grenze. Dies ist sicherlich Teil der Geschichte, dass das Militär bisher nur in Ansätzen als Verflechtungssystem beschrieben und gedacht wurde. Zum anderen scheint es der Herkunft der Vorträge aus verschiedenen Tagungskontexten geschuldet zu sein. Die Zusammenführung der Aufsätze unter einem methodischen Dach, das vielversprechende historiographische Perspektiven eröffnet, ist als große Leistung der Herausgeber zu bewerten.
Der Sammelband bietet lesenswerte inhaltliche Schlaglichter sowohl auf die friedlichen als auf die von Gewalt geprägten Beziehungen des deutschen und französischen Militärs und zudem einen guten Überblick über Forschungstendenzen und -schwerpunkte von Spezialisten beider Länder. Wenn man sich für einen noch fiktiven Nachfolgeband etwas wünschen dürfte, dann wären das Beiträge, die sich zudem vergleichend mit der Geschichte der (jeweils nationalen) Militärgeschichtsschreibung auseinandersetzen und damit zur Historisierung des eigenen Forschungsansatzes beitragen. Auch das wechselseitige Verhältnis von Militär und ziviler Umwelt verdient vertiefende Auseinandersetzung. Immerhin wurde lange Zeit das prominente Bild von der "Erbfeindschaft" bemüht, um die deutsch-französische Militärgeschichte zu beschreiben - national konnotierte Erinnerungskulturen und Legitimationsstrategien haben das Verhältnis der beiden Nachbarn am Rhein über Jahrhunderte geprägt, die mindestens so komplex sind wie der Begriff der Militärgeschichte selbst.
Heidi Mehrkens