Stephen Mitchell / David French (eds.): The Greek and Latin Inscriptions of Ankara (Ancyra). Vol. I: From Augustus to the end of the third century AD (= Vestigia. Beiträge zur Alten Geschichte; Bd. 62), München: C.H.Beck 2012, IX + 523 S., 296 s/w-Abb., ISBN 978-3-406-62190-1, EUR 118,00
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Ein Corpus der Inschriften von Ankara ist seit langem ein Desiderat der Forschung gewesen. Die bislang vorliegenden Editionen ausgewählter Inschriften [1] werden nun durch den ersten von geplanten zwei Bänden der griechischen und lateinischen Inschriften von Ankara ergänzt und teilweise ersetzt. Die Herausgeber, Stephen Mitchell und David French, legen in diesem Band 315 Inschriften vor, die, angefangen bei den berühmten Res Gestae, bis zum Ende des dritten Jahrhunderts reichen. 31 davon waren bislang unpubliziert.
In einer detaillierten Einleitung ("Roman Ankara from Augustus to Aurelian. A history from inscriptions", 1-36) bieten die Herausgeber eine historische Einordnung der Stadtgeschichte. Literarische Quellen sind rar und spiegeln die Bedeutung der an wichtigen Verkehrs- und Militärwegen gelegenen Stadt nicht adäquat wider (6). Die Forschung ist somit auf archäologische und epigraphische Quellen angewiesen. Mitchell und French wenden sich dem epigraphic habit in Ankara zu und können anhand statistischer Auswertungen des Inschriftenmaterials nachweisen, wie unterschiedlich die chronologische Verteilung der Inschriften ist: Dem ersten Jahrhundert sind überhaupt nur zwölf Inschriften sicher zuzuweisen, wohingegen im zweiten Jahrhundert ein rapider Anstieg der Produktion zu verzeichnen ist, die nach einem Höhepunkt unter Septimius Severus dann im dritten Jahrhundert wieder recht überschaubar wird.
Mitchell und French stellen die Bedeutung Ankaras für die Provinz Galatien heraus, indem sie die Verbindungen der epigraphisch belegten Personen ins Umland, aber etwa auch nach Perge, Ephesos, Pergamon und sogar Alexandria aufzeigen; eine Schlüsselrolle kommt hier einerseits dem Kaiserkult, andererseits den lokalen Agonen zu. Anhand der Inschriften entwerfen die Herausgeber ein Bild der politischen Verfassung der Stadt sowie der sozialen Zusammensetzung ihrer Bevölkerung.
Im Wesentlichen war Ankara griechisch geprägt: 245 griechischen Inschriften (darunter sämtliche öffentliche Verlautbarungen der Stadt) stehen nur 60 lateinische und neun Bilinguen gegenüber. Daneben wurde, wie die Herausgeber trotz fehlender epigraphischer Zeugnisse meinen, in Ankara mit Sicherheit auch Keltisch gesprochen (27). Die lateinischen Inschriften gehen fast ausschließlich auf Armeeangehörige zurück. Den durchziehenden und hier stationierten Soldaten beziehungsweise den sich dauerhaft ansiedelnden Veteranen kommt eine besondere Bedeutung für die Entwicklung Ankaras zur größten Stadt des kleinasiatischen Inlands zu (22-27). Durch die Präsenz des römischen Heeres wurde Ankara, neben einigen römischen Kolonien, "one of the largest Latin-speaking enclaves in the eastern provinces of the empire" (29) - etwa im Vergleich zu Städten wie Ephesos oder Smyrna mit nur 8 respektive 4 Prozent lateinischen und zweisprachigen Inschriften (30).
Der Stadtplan als zentrale Karte des Bandes ("Plan 1", 37) ist durchaus hilfreich, wenngleich man zur Lupe greifen muss, um die Legende bequem lesen zu können - nur um festzustellen, dass diese in türkischer Sprache abgefasst ist.
Ein weiteres Kapitel listet "Travellers and scholars" in Ankara auf (39-45), gefolgt von einer umfassenden Bibliographie (46-62) und Hinweisen zur Benutzung der Inschriften (63-65).
Die Inschriften selbst (66-489) sind mit Angaben zu Fundort, Aufstellungsort und Herkunft (bis auf die Inschriften des Kaisertempels wurde keine einzige in situ gefunden), mit Beschreibung, Abmessungen, Angaben zu vorhandenen Abschriften, Abklatschen und Abbildungen, mit Bibliographie, Text, fast alle auch mit Übersetzung, Datierung und mit einem (oft sehr knappen) Kommentar abgedruckt, häufig ergänzt durch Fotos von durchgehend hoher Qualität.
Beim Monumentum Ancyranum, der Nr. 1 (66-138), wurde auf Übersetzung und Kommentar verzichtet. Diese Entscheidung ist nachvollziehbar, da der Text der Res Gestae in eigenen Editionen vorliegt [2], für den Benutzer des Corpus aber ist sie sehr misslich, zumal die Herausgeber eine in einigen Punkten von der bei John Scheid gebotenen Lesart abweichen und ihr Text demnach nicht mit den vorhandenen Übersetzungen im Einklang steht. Umso ambitionierter ist die Gestaltung des Textes: Er wird einmal als reine Transkription in Großbuchstaben abgedruckt und einer ganzseitigen Photographie des entsprechenden Abschnitts gegenübergestellt, wobei statt einer Synopse zunächst der gesamte lateinische, dann der griechische Text geboten werden, was dem Aufbau der Inschrift selbst folgt. Anschließend wird der Text noch einmal in gewohnter Form ediert.
Auf die Inschriften des Kaisertempels (Nr. 1-4) folgen Weihungen an die Kaiser (Nr. 5-34), Inschriften der Statthalter und der Provinzialverwaltung (Nr. 51-69), der galatischen Aristokratie (Nr. 70-106), der Senatoren und Ritter (Nr. 107-122), der lokalen Elite (Nr. 123-139), Inschriften zu Festen, Agonen und Gladiatoren (Nr. 140-155), Militärinschriften (Nr. 156-190), religiöse Weihungen (Nr. 191-206) und schließlich, nach Sprachen unterteilt, die Grabinschriften (Nr. 207-315).
Verwunderlich ist, dass die Herausgeber zum Teil hinter die Edition von Bosch zurückfallen, wenn sie etwa in Nr. 171 (357f.) die Z. 15-30 nicht verstehen und falsch übersetzen. [3] Die für Nr. 141 (308-312) in Z. 36 von Bosch vertretene Interpretation als nea polis (Neustadt) [4] wird von ihnen weder erwogen noch überhaupt aufgeführt, obwohl sie den prominenten Fall der vermeintlich in Neapel aufgestellten Ehrenstatue sogar in ihrer Einleitung (21) erwähnen. Im Fall der Liste der Kaiserpriester, Nr. 2 (138-150, Diskussion auch 10f.), wird die schon von Bosch [5] vertretene und jüngst durch Peter Pilhofer [6] mit neuen Argumenten gestützte These, dass es sich bei den genannten Personen nicht überwiegend um ethnische Galater handelt, weder erwähnt noch widerlegt. Auch hier lässt sich also der Griff zu älteren Publikationen, den ein Corpus im Prinzip überflüssig machen sollte, nicht vermeiden, um überhaupt den Diskussionsstand nachvollziehen zu können.
Unverzichtbare Indices zu den Inschriften (491-512), die kaum Fehler aufweisen (skurril ist allerdings die alphabetische Reihung des geographischen Index auf S. 504, wo auf Pergamum die Einträge Perinthus, Pessinus, Philippopolis, Phrygia folgen, dann aber Padus und erneut Pergamum, hier aber mit ganz anderen Stellenbelegen als beim oberen Eintrag), und eine Konkordanz (513-523) schließen den Band ab.
Das von Mitchell und French publizierte Corpus bietet eine Fülle gut erschlossenen Materials, das dank der Übersetzungen selbst für Studierende leicht handhabbar ist und nur darauf wartet, benutzt zu werden.
Anmerkungen:
[1] Zu nennen sind neben den in IG, CIL und ILS publizierten Inschriften vor allem die Publikationen von E. Bosch: Quellen zur Geschichte der Stadt Ankara im Altertum, Ankara 1967, sowie von David French: Roman, Late Roman and Byzantine Inscriptions of Ankara. A Selection, Ankara 2003.
[2] Neben der einschlägigen Tusculum-Ausgabe sind dies zuletzt folgende Ausgaben: Res gestae divi Augusti. Hauts faits du divin Auguste, hg., übersetzt und kommentiert von John Scheid, Paris 2007; Res gestae divi Augusti, hg., übersetzt und kommentiert von Alison E. Cooley, Cambridge / New York 2009.
[3] Überzeugend dagegen Bosch, a.a.O., Nr. 130 (166-170).
[4] Bosch, a.a.O., Nr. 128 (155-165).
[5] Bosch, a.a.O., Nr. 51 (35-49).
[6] Peter Pilhofer: Rechtfertigung aus Glauben, in: ders.: Neues aus der Welt der frühen Christen. Unter Mitarbeit von Jens Börstinghaus und Jutta Fischer (Beiträge zur Wissenschaft vom Alten und Neuen Testament; 195), Stuttgart 2011, 93-125, hier 111-125 (Text, Übersetzung und Kommentar) und 98-102 (zur Interpretation der Namen).
Susanne Froehlich