Carina Fryklund: Late Gothic Wall Painting in the Southern Netherlands, Turnhout: Brepols 2011, 439 S., 80 Farb-, 545 s/w-Abb., ISBN 978-2-503-51237-2, EUR 110,00
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Als in Ypern der Stadtmaler Henri Mannin mit der farbigen Fassung des Stadtturms beauftragt wurde, schickte man ihn zunächst nach Brügge, Tournai und Valenciennes, damit er dort die Polychromie der jeweiligen Stadttürme studieren konnte. Nach seiner Rückkehr um 1330 fasste er dann den Stadtturm Yperns mit Blattgold, Bleiweiß, Zinnober, Ocker und Grün: ein frühes Dokument für die hohe Wertschätzung dieser Kunstgattung im Stadtbild. [1] Mit dem 15. Jahrhundert begegnen hier auch die großen Künstlernamen der altniederländischen Malerei: die Wandmalereien des Rogier van der Weyden im Brüsseler Rathaus, von Melchior Broederlam in der gräflichen Burg in Ypern und von Hugo van der Goes im Haus Weytens in Gent. Nichts davon blieb erhalten.
Weitgehend namenlos dagegen sind die insgesamt rund 50 bekannten figürlichen Wandmalereien, die sich aus der Zeit zwischen 1300 und 1500 in den südlichen Niederlanden erhalten haben, die Grabdenkmäler einmal ausgenommen. Sie sind der Gegenstand der vorliegenden Untersuchung von Carina Fryklund. Ihr Interesse am Thema reicht bis in die späten 80er-Jahre zurück, Colin Eisler betreute ihre im Jahr 2000 vollendete Dissertation "Studies in wall painting in the Southern Low Countries c. 1300-1500" am New York University's Institute of Fine Arts. Fryklund arbeitet als Kuratorin für Niederländische Kunst am Schwedischen Nationalmuseum in Stockholm.
Die Autorin unterteilt den Stoff in fünf eigenständige Abschnitte, beginnt mit den verlorenen Wandmalereien des 14. Jahrhunderts und erinnert an ihre herausragende Rolle in der Dokumentation herrschaftlicher Ansprüche neben dem prominenteren Medium der Tapisserien. Künstler wie Melchior Broederlam entwarfen am Hof Philipp des Kühnen um 1400 gleichermaßen Wandmalereien, Glasmalereien und Tapisserien. Auf breiter Quellenbasis werden anschließend die Werkstattorganisation mit ihrer zunehmenden personellen Differenzierung hinsichtlich des Entwurfs und der Ausführung im 14. Jahrhundert sowie die künstlerischen Techniken diskutiert. Mit einem Rückblick auf die Tradition der romanischen Wandmalerei erläutert Fryklund die cisalpine Konzentration auf Seccomalerei unter Verwendung von Kalk- und Temperafarben, zählt insgesamt 19 am Bestand identifizierte unterschiedliche Farbpigmente und führt frühe Beispiele für Hervorhebungen mit Ölfarben an. Farbmischungen waren unbekannt, nur Aufhellungen und Abdunklungen von Farbwerten durch Weiß und Schwarz wurden vorgenommen.
Den erhaltenen Bestand schließlich behandeln die abschließenden Kapitel: "Extant Wall Paintings: The Fourteenth Century", "Dominican Devotion: A Mural Altarpiece in the Church of Saint Paul at Maastricht" und "Extant Wall Paintings: The Fifteenth Century". Im Vordergrund stehen hier zum einen Werkstattzuordnungen mittels vergleichender Bildanalysen, wie die Zuschreibung der Szenen aus dem Leben des Hl. Thomas von Aquin in St. Paul zu Maastricht aus dem zweiten Viertel des 14. Jahrhunderts an einen in Paris, vielleicht in der Werkstatt des Jean Pucelle geschulten Meister; zum anderen die Rückbindung an ältere Bildtraditionen. Für Letzteres steht die ganz ungewöhnliche Ikonografie der hieratischen Frauenfigur in der Beginenkirche St. Agnes in Sint-Truiden, die das Christushaupt in effigie vor ihrer Brust in Händen hält. Fryklund verweist für die trotz des fehlenden Heiligenscheins als Hl. Veronika interpretierte Figur überzeugend auch auf eine indirekte Rezeption einer byzantinischen Bildform. Mit profunder Kenntnis analysiert sie die Bildzyklen des 15. Jahrhunderts in der Pfarrkirche St. Katharina in Duisburg bei Tervuren in Brabant, in Notre-Dame-du-Sablon in Brüssel, der Kollegiatskirche der Hl. Petrus und Guido in Anderlecht, der Pfarrkirche St. Quentin und der Pfarrkirche des Hl. Johannes des Täufers in Löwen sowie St. Bavo in Gent, nun mit direkten Vergleichen auch zur altniederländischen Tafelmalerei. Weitere Bildzyklen und angeführte Vergleichswerke erschließt das angehängte differenzierte Orts- und Personenregister. Insgesamt 534 meist kleinteilige Schwarz-Weiß- und auch Farbabbildungen der behandelten figürlichen Wandmalereien einschließlich der angeführten Vergleichsbeispiele aus den unterschiedlichen Kunstgattungen veranschaulichen sämtliche Argumentationsschritte, wenn sie auch häufig verwaschen blass erscheinen.
Eine umfangreiche, ganz ausgezeichnete Quellensammlung schließt den Band mit 47 chronologisch geordneten Dokumenten, beginnend im Jahr 1295 mit einer Rechnung über Arbeiten im Schloss des Grafen Robert II. von Artois bis zur Beschreibung der Wandmalereien von Hugo van der Goes im Haus des Genter Bürgers Jacob Weytens durch Carel van Mander im Jahr 1604. Unser Stadtmaler Henri Mannin aus Ypern indes begegnet an keiner Stelle, denn der durchaus weit gefasste Titel "Late Gothic Wall Painting in the Southern Netherlands" bezieht keineswegs das weite Feld der architekturgebundenen Polychromie mit ein. Gemeint ist die figürliche Wandmalerei. Carina Fryklund hat ihre langjährigen Forschungen und ihre stupende Kenntnis zu diesem Thema im vorliegenden Band überzeugend zusammengefasst: Entstanden ist das Standardwerk zur spätmittelalterlichen Wandmalerei in den südlichen Niederlanden.
Anmerkung:
[1] Marjan Buyle: De kleurige afwerking van de gotische Architectuur, in: Marjan Buyle u.a.: Gotische Architectuur in Belgie, Tielt 1997, 205-233. Eine Zusammenstellung der erhaltenen mittelalterlichen Wandmalereien in den südlichen Niederlanden mit ausführlicher Bibliografie geben Marjan Buyle / Anna Bergmans: Middeleeuwse muurschilderingen in Vlaanderen, Brüssel 1994.
Leonhard Helten