Olaf Wagener (Hg.): Symbole der Macht? Aspekte mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Architektur (= Beihefte zur Mediaevistik. Monografien, Editionen, Sammelbände; Bd. 17), Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2012, 440 S., ISBN 978-3-631-63967-2, EUR 69,95
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Dass Wehr- und Residenzbauten Symbole der Macht waren, scheint heute eine selbstverständliche Auffassung zu sein. Während die klassische Burgenforschung den militärischen Aspekt der Baugattung in den Vordergrund stellte, wird heute die Funktionalität der Wehr- und Residenzarchitektur häufig in Frage gestellt und die Formfindung zum entscheidenden Teil mit symbolischen Beweggründen zu erklären versucht. Dieser Paradigmenwechsel in der Forschungsperspektive manifestiert sich in Gestalt zweier Publikationen, auf die von den meisten Autoren des hier vorliegenden Bandes immer wieder Bezug genommen wird. Es handelt sich für den mittelalterlichen Burgenbau um das 1996 erschienene Buch von Joachim Zeune "Burgen - Symbole der Macht" sowie für die frühneuzeitliche Residenzarchitektur um die seit 2004 im Druck vorliegende Habilitationsschrift von Matthias Müller "Das Schloss als Bild des Fürsten".
Der von Olaf Wagener herausgegebene Band, der die Beiträge einer Tagung in Oberfell im Jahr 2011 enthält, widmet sich diesem aktuellen Thema der Architekturinterpretation, wobei der Wehr- und Residenzbau im Vordergrund steht, aber auch andere Gattungen der Baukunst - allerdings nur am Rande - behandelt werden. Die Absicht des Herausgebers ist es, sich der Problematik der Machtsymbolik von Architektur aus unterschiedlichen Blickrichtungen kritisch zu nähern, weshalb im Titel des Bandes hinter der Überschrift "Symbole der Macht" auch ein Fragezeichen gesetzt wurde. Die insgesamt 22 Beiträge beschäftigen sich überwiegend mit der Architektur oder der bildlichen Darstellung von mittelalterlichen Burgen oder Burgengruppen. An zweiter Stelle stehen frühneuzeitliche bis barocke Bauten, während Kirchen, Rathäuser und Brücken mit je einem Beitrag bedacht wurden. Eine kritische Durchsicht der Aufsätze zeigt jedoch, dass sich die meisten der Autoren nicht wirklich und tiefgehend mit der Problematik der Architektursymbolik und den damit einhergehenden methodischen Fragen auseinandergesetzt haben. Stattdessen werden übliche architekturhistorische Beiträge vorgelegt und in der Überschrift, dem Eingangs- oder Endkapitel erscheint dann die pauschale Aussage, dass der Bau oder die Bautengruppe ein Symbol der Macht oder Herrschaftsrepräsentation gewesen seien. Diese Beiträge stellen interessante Befunde vor und sind durchaus lesenswert, dem an der Thematik der Machtsymbolik interessierten Leser bringen sie jedoch keinen besonderen Erkenntnisgewinn.
Die Rezension beschränkt sich daher auf die Besprechung derjenigen Artikel, die sich tatsächlich eingehend und reflektierend mit der im Titel des Tagungsbands versprochenen Thematik befassen. Hervorzuheben sind dabei vor allem die beiden Beiträge von Matthias Untermann und Bernd Carqué, die kritisch Methodik und Terminologie der symbolorientierten Architekturforschung hinterfragen. Untermann ("Abbild, Symbol, Repräsentation - Funktionen mittelalterlicher Architektur?") setzt sich mit wesentlichen Grundbegriffen der Diskussion auseinander (man hätte auch noch Zeichen und Allegorie hinzufügen können). Er verweist auf ein grundlegendes Problem der Verknüpfung von Form und Inhalt, dass nämlich diese Verknüpfung unterschiedlichen Charakter haben kann. Diese begriffliche Differenzierungsfähigkeit vermisst man bei vielen Autoren des Bandes, die überwiegend pauschal von Symbol sprechen, auch wenn dies inhaltlich nicht angebracht ist. Ausgehend von Kopien/Zitaten der Aachener Kaiserpfalz verweist Untermann zunächst auf den Umstand, dass sich die Abbildfunktion in der Architektur des Hochmittelalters nur auf Sakralbauten beschränkte. Er bleibt skeptisch hinsichtlich der Frage, ob der Begriff der Symbolik im Bereich der Architektur überhaupt verwendet werden soll, denn es müsste hinter den Bauten eine über diese hinausweisende Idee oder Vorstellung stehen, die stabil mit den Formen verbunden gewesen wäre. Bei der Auslegung von Burgen als 'Symbole der Macht' kommt das Problem hinzu, dass die Bauten das symbolisieren sollen, was sie eigentlich sind. Burgen sind Bauten zur (potenziellen) Machtausübung und sollen diese Funktion gleichzeitig symbolisieren - dies entspricht eigentlich nicht der Definition des Symbolbegriffs. Durch die Anwendung des Symbolbegriffs auf die Burgen hat die Architekturgeschichte nach Untermann eigentlich keinen Erkenntnisgewinn erreicht. Die Architekturformen sind daher weniger als Ausdruck von Ideen zu verstehen, sondern eher als Elemente sozialer Distinktion, die Rang und Status der Erbauer anzeigten, wobei auch das Streben nach Unverwechselbarkeit und künstlerischer Individualität eine wichtige Rolle spielte. Untermann geht davon aus, dass Burgtypen und gewisse Bauformen als Ausdruck der Ranghöhe ihrer Erbauer dienten und empfiehlt der Burgenforschung, in diese Richtung weiterzuarbeiten.
Auf einen von Untermann genannten Begriff sei noch verwiesen, denn er erwähnt die Forderung des antiken Theoretikers Vitruvs, dessen Text auch im Mittelalter bekannt war, nach ästhetischer Angemessenheit: Decor ist eine der wesentlichen Kategorien, welche venustas, die architektonische Schönheit, bedingen. Hierin liegt nach meiner Auffassung ein wesentlicher Schlüssel zum Verständnis der Erscheinungsweise des mittelalterlichen Wehrbaus. Burgen waren einerseits Bauten zur Durchsetzung und Behauptung von Macht, sie demonstrierten diese Funktion gleichzeitig durch eine angemessene, Wehrhaftigkeit zeigende Architektursprache. Diese Angemessenheit darf nicht mit Symbolhaftigkeit verwechselt werden.
Im Beitrag von Bernd Carqué ("Bauten des Mittelalters in frühneuzeitlicher Wahrnehmung. Französische Architekturdarstellungen in den Dezennien um 1600") wird die Skepsis gegenüber symbolischen Deutungsansätzen noch deutlicher zum Ausdruck gebracht. Im ersten Abschnitt hinterfragt der Autor die wesentlichen Argumentationsfiguren der symbolischen Architekturinterpretationen. Häufig wird versucht, den Leser mit dem "Brustton der Überzeugung" zu überrumpeln, indem ein bestimmter Symbolwert einfach steif und fest behauptet wird. Belege für die Richtigkeit einer These müssen nach diesem Argumentationsmuster erst gar nicht vorgelegt werden, denn wenn etwas zweifellos so ist, wie es ein Autor behauptet, braucht man keine Beweise mehr. Tatsächlich findet sich dieses Vorgehen auch bei zahlreichen Beiträgen des Tagungsbands. So behauptet etwa Peter Sachenbacher in seinem Beitrag über mittelalterliche Backsteinbauten in Thüringen, dass die Verwendung von rotem Backstein an sich schon symbolhaft wirke und "kaisertreue Macht und Herrschaft" (386) repräsentieren sollte. Nachvollziehbare Begründung für derartige Thesen sind offenbar nicht notwendig, denn oberflächlich betrachtet scheint die Formel rot = herrschaftliche Farbe = Symbolik einleuchtend zu sein. Es genügt jedoch schon ein Blick in die aktuelle Fachliteratur zur mittelalterlichen Farbbedeutung (siehe Christel Meier/Rudolf Suntrup, Lexikon der Farbbedeutungen im Mittelalter), um zu erkennen, dass es für solche Bedeutungsgleichungen keine Grundlagen in den historischen Quellen gibt. Bei Patrick Schicht findet sich in Bezug auf den Typus der Kastellburgen die Aussage, dass es sich "um einen gezielten Rückgriff auf römische Bauformen im Sinne einer imperialen Machtgestik" (104) gehandelt hätte, was eindeutig belegt sei. Die Belege bleibt der Autor dann allerdings schuldig. Hier, wie in vielen anderen Fällen, wird apodiktisch ein Bezug zwischen Form und Inhalt behauptet, weil dies für den modernen Betrachter ganz offensichtlich zu sein scheint. Doch auch unsere heutige Sichtweise ist zeitbedingt und muss nicht mit der vergangener Jahrhunderte übereinstimmen. Gerade Geisteswissenschaftler sollten ihre Aufgabe darin sehen, nicht 'aus dem Bauch heraus' zu argumentieren, sondern versuchen, sich durch gewissenhafte Quellenforschung den Perspektiven historischer Epochen anzunähern und deren Blickwinkel zu rekonstruieren. Häufig wird dies jedoch aufgrund von Quellenmangel nur begrenzt oder gar nicht möglich sein. Dies sollte eine ehrliche Wissenschaft auch offen zugeben können und nicht unter einem Mantel vorgeblich unumstößlicher Ansichten verbergen.
Die zweite Argumentationslinie symbolorientierter Architekturinterpretation bezieht sich nach Carqué auf die Wieder- oder Weiterverwendung von alten Bauteilen in Neubauten, die als bewusste und demonstrative Integration des Alten in das Neue gedeutet werden, um so sinnstiftende Kontinuität und Memorie aufzuzeigen. Der Autor nennt hier als konkretes Beispiel die Vorstellung vom "großen alten Turm", der nach Matthias Müller als dynastisches Erinnerungsmal ein weit verbreitetes monumentales Symbol der Macht gewesen sei. Carqué weist hier auf die Gefahr hin, Einzelfälle zu generalisieren bzw. andere Beweggründe für die Erhaltung älterer Bauteile (etwa Bauökonomie) nicht zu berücksichtigen. Die dritte Argumentationsfigur beruft sich auf die Einschätzung, dass die am Bau vorhandenen Wehrelemente gar nicht mehr funktional sinnvoll oder verwendbar gewesen wären und deshalb als symbolische Herrschaftsmetaphorik zu interpretieren seien. Carqué gibt hier zu bedenken, dass die Verwendung von scheinbar 'nutzlosen' Wehrelementen auch baukünstlerischen Gewohnheiten oder ästhetischen Vorlieben geschuldet sein könnte.
Es stellt sich für den Autor daher die entscheidende Frage, auf welcher Grundlage der Forscher beurteilen kann, ob für die Wahl einer gegebenen Form zeichenhaft-symbolische oder andere Beweggründe ausschlaggebend gewesen sind. Dies stelle ein unerledigtes Problem einer politischen Ikonografie der Burgen und Schlösser dar. Da zeitgenössische Quellen, die die Beweggründe zur Wahl bestimmter Formen durch die Bauherren erläutern, weitgehend fehlen, verweist Carqué auf zeitnahe Rezeptionszeugnisse schriftlicher oder bildlicher Art als Informationsquellen. Wenn bestimmten Bauformen und -typen eine allgemein bekannte symbolisch-zeichenhafte Funktion zugrunde gelegen hat, so müsste sich dies auch in spätmittelalterlichen oder frühneuzeitlichen Beschreibungen nachweisen lassen. Der Autor untersucht diese Frage daher am Beispiel des Donjons in der französischen Schlossarchitektur. Ausgangspunkt ist die von Uwe Albrecht vertretene und allgemein akzeptierte These, dass der Donjon ein "Hoheitszeichen par excellence" gewesen sei sowie die von Matthias Müller begründete Deutung des "großen alten Turms" als herrschaftslegitimierendes Wahrzeichen. Am prominenten Beispiel des Louvre zeigt Carqué auf, dass sich sowohl in den historischen Bilddarstellungen wie auch in der frühneuzeitlichen Baugeschichte (Abriss des Donjons 1528) keine Hinweise darauf finden lassen, dass dem großen Turm des Königsschlosses eine besondere Bedeutung zugemessen worden wäre. Anschließend analysiert der Autor die etwa 500 Abbildungen französischer Schlösser und Städte in der "Topographie françoise" (deren Vorlagen von Claude Chastillon um 1600 angefertigt worden waren) in Hinsicht auf das Verhältnis der mittelalterlichen zur frühneuzeitlichen Architektur. Beispiele für die Integration alter Bauteile in neue Renaissanceschlösser lassen sich dabei nur ausnahmsweise finden, während üblicherweise ein neues Schloss an einem neuen Standort weitgehend beziehungslos neben dem (meist schon ruinösen) Altbau errichtet wurde. Aus diesem Befund ergeben sich somit "kaum tragfähige Anhaltspunkte für eine symbolische Bedeutungsdimension" (287).
Für die zuverlässige Kenntnis von möglichen 'Aussageabsichten' der Architektur wären neben der Suche nach zeitgenössischen oder zeitnahen Rezeptionsquellen natürlich Selbstaussagen der Bauherren von besonderer Bedeutung. Diese lassen sich für das Mittelalter allerdings nur äußerst selten finden. Auf eine zahlenmäßig sehr beschränkte Quellengruppe dieser Art, nämlich Bauinschriften stauferzeitlicher Burgen, verweist Alfons Zettler in seinem Beitrag "Baunachricht oder Herrschaftszeichen". Zettler wertet diese Inschriften als Medium für eine dauerhafte Präsenz des Fürsten und seiner Herrschaft. Am aussagekräftigsten sind hier vier Inschriftensteine Friedrich Barbarossas von 1184 an der Pfalz in Kaiserswerth. Aus dem Inhalt der kurzen lateinischen Texte, die offensichtlich die Intension des Kaisers für die prächtige Erneuerung der Pfalz wiedergeben, können drei Beweggründe für die Baumaßnahme herausgelesen werden: Der Ausbau von Kaiserswerth sollte eine Zierde für das Reich sein, die Gerechtigkeit festigen und den Frieden sichern. Es handelt sich also um drei konkrete Aufgaben, die der Bau zu erfüllen hatte: Repräsentation des Kaisers, Ort herrschaftlicher Rechtsprechung und Friedenssicherung durch militärische Präsenz - konkrete und nicht symbolische Absichten, die der Kaiser als Beweggründe für seine Bautätigkeit anführte.
Von den übrigen Beiträgen des Bandes seien denjenigen Lesern, die sich für das Verhältnis von Bauform und Repräsentationsfunktion interessieren, auch die Aufsätze von Christian Ottersbach ("Das Residenzschloss Friedrichsburg in Homburg v.d. Höhe. Die Inszenierung von Souveränität durch Landgraf Friedrich II. von Hessen-Homburg") sowie von Daniel Burger ("Waffenkammern und Zeughäuser in Mittelalter und früher Neuzeit zwischen Funktion und Repräsentation") empfohlen. Burger weist darauf hin, dass die Entstehung der Zeughäuser im 16. Jahrhundert sowie deren Verschwinden im frühen 20. Jahrhundert unmittelbar mit Entwicklungen der Waffentechnologie und der Kriegstaktik im Zusammenhang standen.
Die vom Herausgeber des Sammelbands zugrunde gelegte Ausgangsfrage der Bedeutungsdimensionen von Architektur gehört zweifellos zu den grundlegenden Forschungsgegenständen der Kunstgeschichte. Bei der Suche nach den Antworten wird es immer unterschiedliche Ansätze, Blickwinkel und methodische Vorgehensweisen geben. Auch entwickelt jede Generation ihre jeweils zeitbedingten Perspektiven, die von der nächstkommenden Generation wieder in Frage gestellt werden. Trotz der sich daraus ergebenden Unmöglichkeit, 'objektive' und endgültige Wahrheiten zu finden, sollte der Wissenschaftler dennoch immer darum bemüht sein, über den eigenen Standpunkt und dessen Zeitbedingtheit zu reflektieren. In Hinsicht auf die Symbolfrage in der (Wehr-)Architektur sieht der Rezensent bei einer solchen Reflektion zwei Faktoren der modernen europäischen Gesellschaft, die massiven Einfluss auf unsere Wahrnehmung der Dinge ausüben. Der erste Faktor ist die moderne Bildüberflutung der Menschen durch die allgegenwärtigen modernen Medien, die zu einer Verbildlichung der Welt und der Wissenschaft (inklusive derer Methoden) führen. Viele Fachkollegen wollen keine Kunstgeschichte - geschweige denn Architekturgeschichte - mehr betreiben, sondern Bildwissenschaft (was sich inzwischen schon in der Umbenennung von Instituten bemerkbar macht). Daher wird die Architektur, deren Wesen dreidimensional, abstrakt und funktional ist, immer häufiger zum Bild umgedeutet und entsprechend interpretiert. Mauern und Türme an Burgen sind nun nicht mehr funktional-wehrhafte Elemente, sondern nur noch Bilder einer dahinter stehenden Idee. Verstärkt wird diese moderne Betrachtungstendenz durch einen zweiten zeitbedingten Umstand: die (glücklicherweise) lange Friedensepoche, in der wir leben sowie die moralische Verdammung des Krieges. Forscher, die niemals Krieg oder Kriegsgefahr erlebt haben und die militärische Gewalt als ein Synonym für Unrecht ansehen, tendieren offenbar eher dazu, auch den Burgen ihren 'negativen' militärischen Charakter absprechen und sie zu reinen Symbolen umdeuten zu wollen. Die Urväter der Burgenforschung lebten demgegenüber in Zeiten, in denen das Erleben und Teilnehmen an Kriegen und gewaltsamen Auseinandersetzungen zur (wenn auch schrecklichen) Normalität gehörte. Für sie war es selbstverständlich, dass Wehrbauten stark von militärischem Zweckdenken geprägt waren, und so wurden diese auch interpretiert. Entspringt die moderne 'bildwissenschaftliche' Sichtweise tatsächlich einer höheren oder besseren Erkenntnisfähigkeit oder handelt es sich lediglich um das Ergebnis unserer aktuellen Zeitbedingtheit?
Christofer Herrmann