Julia von dem Knesebeck: The Roma Struggle for Compensation in Post-War Germany, Hatfield, Hertfordshire: University of Hertfordshire Press 2011, XXI + 263 S., ISBN 978-1-907396-11-3, GBP 20,00
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Klaus Bachmann: Vergeltung, Strafe, Amnestie. Eine vergleichende Studie zur Kollaboration und ihrer Aufarbeitung in Belgien, Polen und den Niederlanden, Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2011
Christian Götter: Die Macht der Wirkungsannahmen. Medienarbeit des britischen und deutschen Militärs in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2016
In den letzten Jahren hat sich die Forschung zur Praxis der Wiedergutmachung für NS-Unrecht in der Bundesrepublik erheblich intensiviert. Mittlerweile konnte ein facettenreiches Bild von der konkreten administrativen Umsetzung von Rückerstattung und Entschädigung gewonnen werden, das auch die Wahrnehmungen und Erfahrungen der zu Antragstellern gewordenen NS-Verfolgten mit einbezieht. Erst dieser Blick auf Implementierung und Praxis macht deutlich, welche Lücken, Begrenztheiten und Inkonsistenzen dem wegen seiner finanziellen Größenordnung her auf den ersten Blick gewaltigen Vorhaben der Wiedergutmachung inhärent waren. [1]
Wichtig ist dabei gewesen, dass die Forschung zur Wiedergutmachung ihren Fokus, der eine Zeitlang allein auf den jüdischen NS-Verfolgten lag, wieder zunehmend erweitert hat und auch andere Gruppen betrachtet, die sich nach dem Ende des NS-Regimes um Anerkennung und Entschädigung als Verfolgte bemühten. Diesen Forschungen ordnet sich die Arbeit von Julia von dem Knesebeck über die Wiedergutmachung für deutsche Roma zu. Darin untersucht sie den Umgang der Entschädigungsbürokratie mit den Betroffenen, aber auch deren Wahrnehmung und Deutung der Verfahren und ihren Kampf um Anerkennung als Opfer nationalsozialistischer Verfolgung. Hierzu hat sie sowohl Einzelfallakten von Wiedergutmachungsverfahren als auch in den 1990er Jahren entstandene Videointerviews mit Roma-Überlebenden sowie weiteres autobiographisches Quellenmaterial herangezogen.
Der eigentlichen Darstellung sind zwei Kapitel vorgelagert. Im ersten ordnet die Autorin den Umgang mit verfolgten Roma in der Bundesrepublik in einen größeren historischen Rahmen ein. Die Diskriminierung und Verfolgung der als "Zigeuner" stigmatisierten Randgruppe setzte keineswegs erst im Nationalsozialismus ein, vielmehr lassen sich zahlreiche Kontinuitäten über die Zäsuren von 1933 und 1945 hinaus beobachten. Die Verfolgungsmaßnahmen im Nationalsozialismus wie die zwangsweise Sterilisierung schöpfte aus einer Tradition sozialdarwinistischer Vorstellungen von "Rassenhygiene", die ins das 19. Jahrhundert zurückreichen und weit über Deutschland hinaus lebendig waren. Die Autorin betont indes zugleich, dass sich das Unrecht gegen Sinti und Roma im Nationalsozialismus von aller vorherigen und gleichzeitigen Diskriminierung in Deutschland und andernorts qualitativ eindeutig unterschieden habe. Das zweite Kapitel präsentiert lebensgeschichtliche Schilderungen in die USA emigrierter Roma, die vorwiegend ihre Erfahrungen während der NS-Zeit betreffen. Aus ihnen ergibt sich unter anderem die besondere Bedeutung der Zwangssterilisation für die Betroffenen, in deren familienzentrierter Kultur Kinderlosigkeit ein soziales Stigma ersten Ranges darstellte.
Die Schwierigkeiten verfolgter Roma, im Nachkriegsdeutschland materielle Wiedergutmachung zu erhalten, hingen zuallererst damit zusammen, dass antiziganistische Ressentiments und Stereotype noch immer weit verbreitet waren und kaum hinterfragt wurden. Äußerungen von Behördenvertretern und Gerichtsurteile zur Entschädigung aus den 1950er Jahren unterscheiden sich zum Teil nicht im Geringsten vom rassistischen Jargon des Nationalsozialismus, wofür die Autorin zahlreiche erschütternde Beispiele präsentiert. Dennoch zeichnet sie ein differenziertes Bild: in der unmittelbaren Nachkriegszeit erhielten aus Konzentrationslagern befreite und an ihre Heimatorte zurückgekehrte Roma vielerorts durchaus Unterstützung und Fürsorge und wurden ohne weiteres als NS-Opfer angesehen. In den Jahren seit 1948 drehte sich die gesellschaftliche Stimmung tendenziell wieder, allerdings macht die Autorin für die Zeit vor Inkrafttreten des Bundesentschädigungsgesetzes große lokale Unterschiede im Umgang mit den Betroffenen aus.
Das Bundesentschädigungsgesetz von 1953/56 vereinheitlichte den Rechtsrahmen, bedeutete aber noch keineswegs eine flächendeckende Sicherung der Ansprüche verfolgter Roma. Denn in vielen Verfahren widersetzten sich Ämter und Gerichte der Sichtweise, Roma seien im Nationalsozialismus aus rassistischen Motiven verfolgt worden, sondern sahen Inhaftierung, Deportation und Zwangssterilisierung vielmehr als zwar überhartes, aber durchaus sachlich begründetes ordnungsstaatliches Handeln gerechtfertigt. Es bedurfte jahrelanger juristischer Überzeugungsarbeit, um die sich besonders der Frankfurter Richter Franz Calvelli-Adorno verdient machte, bis die völlig eindeutigen historischen Belege für die rassistische Politik des NS-Regimes gegen Sinti und Roma, zur Geltung gebracht werden konnten. Durch Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in den 1960er Jahren wurde der Status der Roma als rassistisch verfolgter Gruppe endgültig klargestellt.
Jenseits der Frage der grundsätzlichen Anerkennung als NS-Opfer arbeitet die Autorin viele weitere Hürden heraus, die sich verfolgten Roma auf dem Weg zu materieller Entschädigung entgegenstellten. Oftmals wurden ihre Anträge mit besonderem Misstrauen begutachtet und zusätzliche Nachweise gefordert, bisweilen ihre deutsche Nationalität in Frage gestellt. Der Umgang mit Behörden fiel nicht wenigen Betroffenen schwer, die Beteiligung von Anwälten und Fürsprechern, die selbst keine Roma waren, erwies sich daher oft als entscheidend, um einem Antrag zum Erfolg zu verhelfen. Ein zentraler Punkt, an dem sich Enttäuschung und Verbitterung über die Wiedergutmachung festmachten, betraf nicht allein Roma, allerdings waren diese aufgrund der Art und Weise ihrer Verfolgung davon überproportional häufig betroffen: für das Unrecht der Zwangssterilisation war im Entschädigungsgesetz als solches keine Kompensation vorgesehen. Nur eine bezifferbare Minderung der Erwerbsfähigkeit infolge des Eingriffs berechtigte zu finanzieller Entschädigung. Doch ob eine solche vorlag, war oftmals umstritten, zudem hatten sich die Betroffenen einer medizinischen Begutachtung zu unterziehen, die viele als demütigend empfanden. Psychische Folgeschäden der Sterilisierung wurden in den 1950er Jahren kaum anerkannt, aber auch, als sich in den 1960er Jahren die medizinische Lehrmeinung in dieser Hinsicht änderte, blieben die Entscheidungen der Ämter selbst bei ähnlichem Verfolgungsschicksal willkürlich und inkonsistent, wie die Autorin an Einzelfallbeispielen zeigen kann.
Im letzten Kapitel widmet sich die Arbeit auch der Rückerstattung entzogener Vermögenswerte an Roma. Dieser Aspekt der Wiedergutmachung wurde in der bisherigen Forschung übergangen, wobei die Vorannahme, Roma seien in der Regel mehr oder weniger vermögenslos gewesen, eine Rolle gespielt haben mag. Die Autorin kann anhand einer Roma-Siedlung nahe Bad Berleburg allerdings zeigen, dass dies keineswegs pauschal zutraf. Die dort lebenden Bewohner hatten vielmehr Häuser, Grundstücke, Mobiliar, Musikinstrumente und Schmuckgegenstände besessen, die sie nach ihrer Enteignung durch den NS-Staat nach Kriegsende zurückforderten.
Julia von dem Knesebeck hat ein wichtiges Buch vorgelegt, das unser Bild von der bundesrepublikanischen Wiedergutmachungspraxis weiter vervollständigt. Die Stärke der Arbeit liegt in der Verknüpfung der juristischen und institutionellen Ebene mit der Mikroebene der Verfahrenspraxis und der Perspektive der betroffenen Roma. Überzeugend wird deutlich gemacht, dass diese sich trotz aller gesellschaftlichen Anfeindungen bereits in der frühen Nachkriegszeit selbst klar als Verfolgte des Nationalsozialismus wahrnahmen und ihre Anerkennungsansprüche in den Entschädigungsverfahren auch offensiv zur Geltung brachten. Einige Kritikpunkte lassen sich dennoch formulieren. So bemüht sich die Arbeit nicht gerade um ein ausgewogenes Bild: durchgängig erzählt sie eine Geschichte von Diskriminierung, Mühsal und Enttäuschung, während man nur ganz beiläufig erfährt, dass die Entschädigungsansprüche von Roma in weit über 80 Prozent der Fälle ganz oder teilweise erfolgreich waren, womit sie dem Durchschnitt aller Verfahren kaum nachstanden. Dies wird jedoch nicht ausdiskutiert. Auch erscheint es unbefriedigend, dass der Untersuchungszeitraum der Arbeit mit den 1970er Jahren endet und damit die 1980er Jahre ausblendet, in denen das Thema der Wiedergutmachung und damit auch die Interessen der verfolgten Roma im Rahmen der Diskussion um "vergessene Opfer" noch einmal neue politische Zugkraft erhielten. Nun erschien mit dem 1982 gegründeten Zentralrat deutscher Sinti und Roma auch ein Akteur auf der Szene, der energisch für die Wiedergutmachungsinteressen dieser Gruppe eintrat. Obwohl auch in den zitierten Interviews immer wieder erwähnt, werden alle diese Dinge nur punktuell sowie in einem Epilog gestreift. Nicht zuletzt infolgedessen erscheinen die verfolgten Roma in der Darstellung fast ausschließlich als isolierte Einzelkämpfer, und ihre Auseinandersetzungen mit der Entschädigungsbürokratie werden kaum mit der Geschichte der Sinti und Roma als Gruppe und kollektiver Akteur in der Bundesrepublik verknüpft.
Anmerkung:
[1] Siehe vor allem Norbert Frei/ José Brunner/ Constantin Goschler (Hgg.): Die Praxis der Wiedergutmachung. Geschichte, Erfahrung und Wirkung in Deutschland und Israel, Göttingen 2009.
Benno Nietzel