Vera Hierholzer / Sandra Richter (Hgg.): Goethe und das Geld. Der Dichter und die moderne Wirtschaft, Frankfurt am Main: Freies Deutsches Hochstift 2012, 280 S., ISBN 978-3-9814599-2-0, EUR 25,00
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Seitdem die Kulturhistorikerin Ute Daniel vor rund zehn Jahren in einem Jubiläumsband der Vierteljahrsschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte einen Mangel an kulturalistischen Ansätzen in der Wirtschaftsgeschichte beklagt hat [1], sind mehrere Arbeiten in diesem Bereich erschienen. Diese haben erheblich zu einer Perspektiverweiterung hinsichtlich der Geschichte des Wirtschaftens mit materiellen und immateriellen Gütern beigetragen. Auch der Umstand, dass das Thema nun die Museen erreicht, kann als Ausdruck einer gewissen Etablierung innerhalb der Zunft gedeutet werden, erfolgt doch die Vermittlung von Methoden und Theorien in der historischen Forschung in jüngster Zeit vermehrt über Ausstellungen. Wie aber lässt sich ein solches Thema erfahrbar machen? Wie vermittelt man einem breiteren Publikum nicht nur die wirtschaftshistorischen Strukturen und ihre Veränderungen, sondern auch die damit verknüpften zeitgenössischen Diskurse und Deutungen?
Mit dem Standort in einer Finanzmetropole sowie dem 'Dichterfürsten' als weithin bekanntem Protagonisten hat das Goethe-Haus in Frankfurt ideale Voraussetzungen, eine entsprechende Herangehensweise zu erproben. Es ist daher ausdrücklich zu begrüßen, dass am Beispiel der Biographie des "größten Sohns der Stadt Frankfurt" (15) und seines literarischen Schaffens gewagt wurde, neuere Ansätze zur Verknüpfung von Wirtschaftsgeschichte und Literaturwissenschaft am Beispiel des Dichters auszubauen und in einer Schau zu präsentieren. Die Ausstellung und der hier anzuzeigende zugehörige Katalog beabsichtigen dementsprechend, mit dem Fokus auf den Literaten und Staatsminister Goethe ökonomische Praktiken, Theorien und Debatten herauszufiltern. Die Historikerin Vera Hierholzer und die Literaturwissenschaftlerin Sandra Richter, die gemeinsam die Ausstellung kuratiert haben, führen zu diesem Zweck Vertreter der Disziplinen Wirtschafts-, Literatur- und Geschichtswissenschaft zusammen.
Positiv hervorzuheben ist zunächst die Einleitung der Kuratorinnen, die Goethes Wirken in einen Zusammenhang mit den wirtschaftshistorischen Entwicklungen der Zeit stellt. Darauf aufbauend ist der rund 30 Beiträge starke Ausstellungskatalog in zwei Großkomplexe zur Geschichte des Geldes und zu Goethes Rollen unterteilt. Der erste Abschnitt zur Geldgeschichte ("Das Geld: Praktiken, Theorien und Dichtungen") führt direkt zum Kern dessen, was interessiert. Er setzt bei den sogenannten Papiergeldszenen in Goethes Faust II an, in denen der Autor unter dem Eindruck einer sich ebenso sehr beschleunigenden wie ständisch 'entkonkretisierenden' Welt neben allgemeinen haushaltspolitischen Fragen auch die Einführung eines flexiblen Zahlungsmittels reflektierte.
Gerade hier zeigt sich allerdings, wie schwierig es ist, ein breites Publikum im Blick zu haben und zugleich das Thema auf wissenschaftlich hohem Niveau zu präsentieren. Etwas disparat zusammengeführt finden sich in diesem Abschnitt zum einen Essays aus der Feder von Ökonomen. Diese ziehen von Goethe ausgehend Traditionslinien zum modernen Weltwirtschaftssystem. Zum anderen spüren Literarturwissenschaftler zum Teil sehr voraussetzungsvoll und dicht argumentierend Goethes Bildsprache nach. Dabei ist kein Beitrag länger als fünf Seiten. Und so ist es für den Nicht-Spezialisten erfrischend, wenn im Folgenden weiter ausgeholt wird und man mit der Geschichte von Papiergeldexperimenten, Kreditkonzepten und ökonomischen Theorien um Einiges plastischer an Goethes Denken und Werk herangeführt wird. Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang der Beitrag des Volkswirten Bertram Schefold, der Einflüsse von Kameralismus und Physiokratie in Goethes Werken nachspürt.
Im zweiten Komplex ("Goethes ökonomische Rollen") ist viel über frühneuzeitliche Finanzwirtschaft im städtischen Milieu zu erfahren, womit die Voraussetzungen von Goethes Handeln und Denken als Autor und Hausherr vor Augen geführt werden. Im Beitrag von Werner Plumpe über Goethes Elternhaus wird etwa eine sozialgeschichtliche Verortung der Familie vorgenommen. Andere Beiträge kreisen um Goethes Wirtschaftspraxis in Hinblick auf seine Haushaltsführung, Geldgeschäfte und Vermarktung der literarischen Werke. Norbert Christian Wolf analysiert beispielsweise die Ökonomien des Dichters in Hinblick auf Prestige und Buchabsatz. Auf Bourdieus Kapitalsorten rekurrierend, kann er in seinem Beitrag "Heilige Uneigennützlichkeit" Goethes ambivalentes Verhältnis zur Geschäftstüchtigkeit zeigen. Dies steht in spannendem Gegensatz zu Goethes Rolle als Minister, die er mit großem Engagement wahrnahm.
Insgesamt betrachtet wird Goethe so als typischer Vertreter seiner Zeit dargestellt, der zwar neuere ökonomische Theorien rezipiert habe, in der Praxis jedoch durchaus einem 'vormodernen' Wirtschaftsdenken verpflichtet gewesen sei. Zur Behauptung seiner gesellschaftlichen Position investierte er in Luxusgüter und Beziehungsnetze. Zu seiner Wirtschaftsweise zählte auch das Bestreben, Finanzgeschäfte nicht zu sehr aus dem eigenen Einflussbereich geraten zu lassen. Soziale Beziehungen bildeten also ein wichtiges Fundament für das Ökonomische.
Der Band besticht durch sein Bemühen, Goethe facettenreich in seinen historischen Kontext einzubetten; nur vereinzelt verfallen die Autoren in bekannte Heroisierungen des Dichters. Hinsichtlich des zweiten thematischen Schwerpunkts, also die zunehmende Ökonomisierung des Denkens an der Wende zum 19. Jahrhundert, verdeutlicht die Auseinandersetzung mit Goethe den hohen Stellenwert von Kapitalismus-Allegorien. Die Charakteristika dieses neuen Diskurses werden dabei allerdings nur schemenhaft sichtbar. Hier stößt das innovative (Ausstellungs-)Konzept, auch aufgrund des Forschungsstandes, (noch) an seine Grenzen. Und so sollte dieses Projekt über den "Dichter und die moderne Wirtschaft" auch als Anregung verstanden werden, jenen Spuren weiter nachzugehen, welche die im Entstehen begriffene 'moderne Wirtschaft' im Denken der Zeitgenossen hinterließ.
Anmerkung:
[1] Ute Daniel: Alte und Neue Kulturgeschichte, in: Günther Schulz u.a. (Hgg.): Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Arbeitsgebiete - Probleme - Perspektiven. 100 Jahre Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte (VSWG Beihefte; 169), Stuttgart 2004, 345-358, hier 357.
Elizabeth Harding