Volker Weiß: Moderne Antimoderne. Arthur Moeller van den Bruck und der Wandel des Konservatismus, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2012, 548 S., 15 s/w-Abb., ISBN 978-3-506-77146-9, EUR 68,00
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Die 2009 an der Universität Hamburg eingereichte Dissertation von Volker Weiß verfolgt die Absicht einer wissenschaftlichen Gesamteinschätzung des Publizisten Arthur Moeller van den Bruck (1876-1925) als Protagonisten der 'jungkonservativen Strömung' auf Grundlage neuester Forschungen zum deutschen Konservatismus und Nationalismus. Sie stellt damit einen Beitrag zur Einordnung seiner Person und seines Werks sowie der begriffsgeschichtlich umstrittenen 'Konservativen Revolution' [1] bzw. des 'Neuen Nationalismus' [2] zwischen 'traditionellem' Konservatismus und Nationalsozialismus dar. Weiß' zentrales Anliegen liegt in der Verdeutlichung von Moellers Werk als den Entwurf "einer alternativen Moderne von rechts" (14) und damit der Transformationsprozesse innerhalb des Konservatismus (18). Damit verbunden ist die Absicht der Widerlegung einer 'ideologiegeleiteten' Rezeption Moellers durch die 'Neue Rechte', indem sein Beitrag zur "Vorgeschichte des Nationalsozialismus" (15) deutlich herausgearbeitet wird. Im Zusammenhang dazu stehen die auf bisher unbekannten Archivalien basierenden Ausführungen zu Moellers Bewertung im von ihm beschworenen 'Dritten Reich' (263-327): Weiß kann überzeugend nachweisen, dass diese nicht so negativ ausfiel, wie nach 1945 oft behauptet.
Weiß ist mit seiner gut formulierten Arbeit ein wichtiges Werk zu den Kategorien konservativen Denkens seit Ausgang des 19. Jahrhunderts gelungen. Zunächst wird dabei das theoretische Konzept Moellers als 'konservativer Angriff' (68-101) vorgestellt, worunter Weiß eine Radikalisierung des klassischen Konservatismus, dessen Verbindung mit der "Dynamik der Moderne" (99) versteht. Der Autor beschreibt Moellers Konstruktion einer 'jungkonservativen Identität' mit ihrer revolutionären, offensiven, aktivistischen Rhetorik, die das Ideal des 'Unpolitischen' letztlich aufgab (98-101). Im nachfolgenden Kapitel "Die Metaphysik des Provokateurs" (102-119) finden sich Ausführungen zu Moellers 'Lebenswelt' der avantgardistischen Berliner Vorkriegsbohème, die nachweisen, dass die antibürgerliche Großstadtexistenz des Kunstkritikers Moeller nicht im Widerspruch zur späteren politischen Ideologie stand. Weiß präsentiert Moeller als deutschen "Anti-Dandy" (115ff.), der die technischen Möglichkeiten der Moderne nicht kulturpessimistisch rezipierte, sondern als Chance zur Ablösung des bürgerlichen Zeitalters mit der Rückkehr zu einer 'natürlichen' Gesellschaftsordnung begriff. Die interessanten anschließenden Kapitel "Monument und Moderne" (120-162) sowie "Das Reich im Osten" (163-211) thematisieren ausführlich die in kunsttheoretischen und literaturgeschichtlichen Schriften entwickelten Ideologeme des 'preußischen Stils' und des 'Ostens'. Anhand von Moellers architekturtheoretischen Werken wird sein Versuch, moderne Formen mit einer völkisch-nationalistischen Einstellung zu verbinden und eine preußisch-deutsche Identität über die Architektur zu begründen, nachgezeichnet. Weiß geht dabei auf die Elemente von 'Monumentalismus', 'Heroismus', Technik-Bejahung und die positive Rezeption des Futurismus in Moellers Denken ein (136ff.). Die irrtümliche Interpretation von Moellers Ostideologie, die dieser im Zusammenhang der von ihm besorgten erstmaligen deutschsprachigen Edition von Fjodor Dostojewskis Werk entwickelte, als slawophil oder antiexpansionistisch sucht Weiß zurückzuweisen. Er zeichnet zum einen die Transformation des ursprünglich theologisch-eschatologischen Motivs eines 'dritten Reichs' ins Politisch-Nationalistische durch Moeller nach (176ff.). Zum anderen befasst er sich ausführlich mit Moellers Entdeckung des Ostens als "Jungbrunnen und Quelle der deutschen Wiedergeburt" (182), die den Ausschluss Deutschlands aus der westlich-demokratischen Welt begründen sollte und den Bolschewismus als Ausdruck russischen Nationalismus interpretierte, keineswegs aber eine Gleichberechtigung der Sowjetunion implizierte und auch deutschen Expansionsplänen nicht entgegenstand (186ff.). Hier sei am Rande darauf hingewiesen, dass das mittelalterliche Interregnum im Heiligen Römischen Reich nicht, wie Weiß schreibt, durch einen 'Übergang' auf das Haus Hohenzollern beendet wurde (175), sondern mit König Rudolf I. (1218-1291) bestieg erstmals ein Habsburger den Thron.
Das Kapitel "Der Erste Weltkrieg und die Folgen" (212-224) beleuchtet knapp Moellers propagandistisches Wirken im Kontext der geistigen Kriegführung durch deutsche Intellektuelle. Neben den Inhalten agitatorischer Schriften, die vor allem den deutschen Anspruch auf Gebiete im Osten und Westen ("Belgier und Balten", 220) zu legitimieren suchten und rassentheoretisches Gedankengut entwickelten, arbeitet Weiß hier die bei Moeller fassbare, für radikal nationalistische Kreise typische Fortführung der ursprünglichen Kriegspropaganda in der Weimarer Republik heraus (222ff.). Das Kapitel "Die Ring-Bewegung in der Weimarer Republik" (225-262) behandelt Moellers Wirken bis zu seinem Tod 1925 sowie die Fortentwicklung der 'Jungkonservativen' bis zum Machtantritt des Nationalsozialismus. Die beiden folgenden, aus Sicht der Rezensentin wichtigsten Kapitel widmen sich dem konkreten Verhältnis zur Hitlerbewegung und zur Rezeptionsgeschichte Moellers im 'Dritten Reich'. In "Die Auseinandersetzung um Werk und Erbe Moeller van den Brucks im Nationalsozialismus" (263-298) geht es um die tatsächlichen Verbindungslinien Moellers zur nationalsozialistischen Bewegung zu seinen Lebzeiten, das Schicksal seines Werks unter seinen Weggefährten und dessen Institutionalisierung im 1933 begründeten Moeller van den Bruck-Archiv in Berlin. Weiß stützt sich auf Dokumente des Archivs, die von der Forschung noch nicht ausgewertet wurden. Er kann dabei nicht nur für Moellers Umkreis charakteristische Versuche nach 1945, aus auf konkurrierenden Führungsansprüchen und elitären Überlegenheitsgefühlen basierenden Divergenzen zwischen 'Jungkonservativen' und dem Nationalsozialismus eine ideologische Gegnerschaft zu konstruieren, überzeugend widerlegen. Weiß zeigt etwa deutlich, dass kritische Bezugnahmen in der 'jungkonservativen' Postille "Das Gewissen" auf den Hitlerputsch 1923 nicht einer prinzipiell ablehnenden Haltung gegenüber Hitler entsprangen, sondern auf strategische Defizite seiner Urheber zielten und um den Fortbestand der national-völkischen Bewegung fürchteten (267f.). Auch die von Armin Mohler (1920-2003) rezipierte Darstellung eines 1936 gegen Moellers Weggefährten und Nachlassverwalter Hans Schwarz (1890-1967) angestrengten Prozesses als angeblich politisch motiviertes Ereignis wird in ihrer Haltlosigkeit belegt: Das Verfahren richtete sich gegen die Homosexualität Schwarz', der nach einundhalbjähriger Haft keinen weiteren Behelligungen ausgesetzt war (279f.). Dass Moellers Werk im 'Dritten Reich' in keiner Weise indiziert, aber innerhalb der NSDAP durchaus konträr beurteilt wurde, zeigt Weiß im Kapitel "Nationalsozialistische Kritik: Erbe und Abweichung" (299-327). Er kommt dabei zu dem Ergebnis, dass die Partei ihn als "geistigen Vorkämpfer" (299) ansah, aber nicht in die Reihe der hauptsächlichen Propheten der nationalsozialistischen Bewegung aufzunehmen bereit war. Moellers Ostideologie mit ihrer Interpretation des Bolschewismus als potenziell spezifisch russischen 'National-Sozialismus' und damit idealen Bündnispartner war innerhalb den Brüdern Strasser nahestehenden Strömungen populär, stieß aber auf heftige Kritik der Kreise um Alfred Rosenberg (310ff.). Der Verfasser kann überdies nachweisen, dass andere Angriffe von dem Motiv getragen waren, die Rolle Moellers und somit auch des 'Jungkonservatismus' als Vorbereiter des 'Dritten Reichs' zugunsten des harten Kerns der 'alten Kämpfer' und Adolf Hitlers gering zu halten, nicht aber sein Werk an sich verwarfen (313ff.). Obwohl Weiß zufolge in der Beurteilung des 'Jungkonservatismus' durch den Nationalsozialismus also in erster Linie der Konkurrenzgedanke in Rechnung zu setzen ist und 'jungkonservatives' Engagement nicht davor bewahrt habe, "nach 1933 ein glühender Nationalsozialist zu werden" (321), so weist er auch darauf hin, dass für den konservativen Widerstand, die Protagonisten des 20. Juli, Einflüsse Moellers eruierbar sind (326).
Das vorletzte Kapitel "Avantgarde und Faschismus" (328-364) vergleicht die Entwicklung des 'Jungkonservatismus' mit der des italienischen Faschismus und identifiziert Moeller mit Bezug auf die Bedeutung des Futurismus in seinem Denken als Repräsentanten einer besonders kulturrevolutionär geprägten deutschen Variante des Faschismus, die mit den Mitteln neuester Technik, den 'Massen' und somit eigentlich dem Liberalismus oder Marxismus verbundenen 'modernen' Attributen und unter Ausbruch aus den Denkwegen des traditionellen Konservatismus eine neue autoritäre Staatsordnung zu schaffen suchte (364). Im letzten Kapitel "Der faschistische Stil" (365-373) wird die Wirkungsgeschichte Moellers nach 1945 behandelt. Hier geht es um die Selbstdeutung überlebender Vertreter des 'Jungkonservatismus' in ihren apologetischen Intentionen, darüber hinaus zieht Weiß seine Linien aber sogar bis in die jüngste Vergangenheit, indem er die Rezeption Moellers in der Wochenzeitschrift "Junge Freiheit" sowie innerhalb der NPD anspricht und hier deutlich selbst politisch Stellung bezieht (369ff.).
Weiß' Studie stellt keine klassische Biographie dar, sondern die Untersuchung einer spezifischen Denkrichtung innerhalb des deutschen Konservatismus am Beispiel eines ihrer Vorreiter. Er wählt den Forschungsansatz einer 'historischen Diskursanalyse', die charakteristische Darstellungsmodi zur Folge hat. Ohne grundsätzlich unterschiedliche methodische Herangehensweisen zu erörtern, ergeben sich aus Sicht der Rezensentin aus dem Ansatz einige Probleme. Die Studie ist nicht stringent chronologisch, sondern nach den "vielfältigen Interessen" (20) Moellers thematisch gegliedert, was leider zu einer gewissen Unübersichtlichkeit führt. So wechseln Kapitel zur sozial-, zeit- und ideengeschichtlichen Einordnung mit solchen zu den Hauptthemen Moellers ab, was auf den ersten Blick bisweilen irritiert. Die Hintergrundkapitel, wie etwa die an den Anfang der Arbeit gestellte Einführung zum Wilhelminismus ("Kaisertum, technische Moderne und gesellschaftliche Gliederung", 31-67) bieten ausführliche Darstellungen der aktuellsten Forschungsergebnissen zu den jeweiligen Problemen, was für den uninformierteren Leser einerseits hilfreich sein mag, andererseits aber zeitweise den roten Faden in Bezug auf eine Gesamtargumentation etwas vermissen lässt. In den Kapiteln zu den zentralen Programmpunkten von Moellers Denken werden diese sehr breit innerhalb des zeithistorischen konservativen Diskurses kontextualisiert. Das ist zwar grundsätzlich zu begrüßen, manchmal erscheinen die spezifischen Beiträge Moellers dazu im Vergleich aber etwas blass. Die Rezensentin hätte sich häufig deren 'quellennähere' Erläuterung und insgesamt eine ausführlichere und klarere Zusammenfassung der erarbeiteten Ergebnisse gewünscht.
Anmerkungen:
[1] Armin Mohler: Die Konservative Revolution in Deutschland 1918-1932, 2 Bd., 3. Aufl., Darmstadt 1989.
[2] Stefan Breuer: Anatomie der Konservativen Revolution, 2. Aufl., Darmstadt 1995, 182.
Nikola Becker