Alexander Koller: Nuntiaturberichte aus Deutschland nebst ergänzenden Aktenstücken. Nuntiaturen des Orazio Malaspina und des Ottavio Santacroce. Interim des Cesare dell'Arena (1578-1581) (= Nuntiaturberichte aus Deutschland nebst ergänzenden Aktenstücken. Dritte Abteilung: 1572-1585; Bd. 10), Berlin: De Gruyter 2012, LXXXVII + 671 S., ISBN 978-3-11-028710-3, EUR 139,95
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Allmählich werden die Lücken in der Edition des Nuntiaturberichte aus Deutschland für das 16. Jahrhundert, die bislang ja gerade für den für die römisch-kuriale Deutschlandpolitik bedeutsamen Pontifikat Papst Gregors XIII. (1572-1585) noch bestehen, doch noch geschlossen. Alexander Koller legt nunmehr die Relationen der päpstlichen Gesandten am Prager Kaiserhof zwischen Oktober 1578 und Dezember 1581 und die entsprechenden Weisungen des Kardinals Tolemeo Gallio (1527-1607) vor (346 Dokumente, jeweils mit Regest, archivalischen Angaben und knappen Kommentaren). Päpstlicher Nuntius war zunächst Orazio Malaspina († 1582), der enge Kontakte zum Mailänder Reformerzbischof Carlo Borromeo unterhielt, "ein in diplomatischer Hinsicht völlig unerfahrener Prälat" (X), ein Defizit, das sich in "Unsicherheiten und Ungeschicklichkeiten [...] nahezu über die gesamte Laufzeit" niedergeschlagen hat (XII). Im April 1581 wurde ihm mitgeteilt, dass Ottavio Santacroce (1542-1581) sein Nachfolger werden würde; Malaspina wurde noch mit einer außerordentlichen Gesandtschaft an den französischen Hof betraut, erkrankte während derselben und starb in Paris. Sein Nachfolger Santacroce stammte aus einer römischen Adelsfamilie und konnte auf eine Karriere in der Verwaltung des Kirchenstaats zurückblicken, ehe er 1576 Bischof von Cervia und 1577 Nuntius in Savoyen wurde, wo er nicht nur das Eindringen des Protestantismus aus Frankreich verhindern sollte, sondern auch von der Translation des "Grabtuchs Christi" von Chambery nach Turin am 9. September 1578 berichtete; schließlich wurde er am 28. März 1581 mit der Nuntiatur bei Kaiser Rudolf II. betraut. Bereits im August wurde er nach rund zwei Monaten Wirken in Prag schwer krank und starb am 3. September. Bis zum Eintreffen eines neuen Nuntius führte der seit 1578 als Auditor fungierende Cesare dell'Arena interimistisch die Nuntiaturgeschäfte.
Eine Priorität im Wirken der Nuntien war in dieser Zeit vor allem die Zurückdrängung des Protestantismus in den Habsburgischen Gebieten, besonders in Österreich und Böhmen (dort auch die Konversion von Hussiten), und deshalb die Stärkung der entschieden katholischen Partei am Kaiserhof, als deren Garantin die spanischstämmige Witwe Maximilians II., Maria, galt, deren Abreise nach Spanien man verhindern wollte. Zudem setzte man auf die Erzherzöge Ferdinand von Tirol und den österreichischen Statthalter in Wien, Erzherzog Ernst. Der gegenreformatorische Gesichtspunkt bestimmte auch den Blick auf die Berater und den Hof des Kaisers und die Berichterstattung über die Landtage in Böhmen; der Gesundheitszustand (malenconia 257, molto debole ... magro più del solito et assai palido 487) des Kaisers, auf den man sich in konfessioneller Hinsicht verlassen zu können glaubte, gab bereits zu dieser Zeit immer wieder zur Besorgnis Anlass. Der Gegenstandsbereich der Berichte erstreckt sich von Fragen der zwischenstaatlichen Politik über innerkirchliche Sachverhalte (Bischofsbesetzungen, bei denen regelmäßig der Einfluss der Nuntien eher gering gewesen zu sein scheint, Fragen der Priesterausbildung, Zurückdrängung des Protestantismus), wobei etwa immer wieder vergeblich von römischer Seite versucht wurde, den Fuldaer Fürstabt Balthasar Dernbach zu restituieren, den Druck des Talmuds (in den römischen Weisungen bezeichnet als "mahomedano [!] et impio" 41; "bestemmie contra il Salvator nostro" 79) in Basel über den Kaiserhof zu verhindern, oder die Entlassung des Vizedoms Hans Friedrich Hoffmann über die grundherrschaftlichen Besitzungen der Bamberger Bischofskirche in Kärnten zu erreichen. Aber auch in die mikropolitischen Erwerbsabsichten der Papstfamilie Boncompagni in Italien war der Nuntius einbezogen.
Die Editionskriterien entsprechen weitgehend der langen Reihe von vorangehenden Bänden des traditionsreichen Unternehmens. Was den Quellenwert der Berichte angeht, so wird man konstatieren müssen, dass die Nuntien in Fragen der Außenpolitik oft nur aus zweiter Hand informiert waren; zudem waren die Wahrnehmungs- und Beurteilungskategorien, gerade was Fragen der innerkirchlichen Reform und abweichender konfessioneller Praktiken angeht, überaus grob und undifferenziert. Immerhin helfen die Berichte aber doch, auf eine lange Sicht Schwerpunkte und Konstellationen der päpstlichen Deutschlandpolitik nachzuvollziehen. Spätere innerkirchliche Entwicklungen, etwa das Bemühen, die Bischöfe in stärkere Abhängigkeit vom Papsttum zu bekommen und deshalb den Kaiser zu bearbeiten, die Regalien erst nach der päpstlichen Konfirmation zu erteilen, misslingen noch, stecken aber bereits in den Anfängen. Alexander Koller erweist sich als erfahrener und zuverlässiger Bearbeiter; nur an wenigen Stellen hätte man sich vielleicht noch zusätzliche Informationen im Kommentar (etwa Seite 145 die Bullen zu den päpstlichen Talmudverboten) gewünscht. Den Editionskriterien der Gesamtreihe ist es geschuldet, dass wichtiges begleitendes Material, etwa die Korrespondenz der Nuntien mit anderen Persönlichkeiten, Denkschriften und viele innerkirchliche Akten, etwa zu Visitationen, nicht mit ediert wurden; diese Akten wären für viele Fragestellungen oft mindestens genauso wertvoll wie die offizielle Korrespondenz mit dem Nepoten oder - wie hier - dem päpstlichen Sekretär. Wolfgang Reinhard und seine Schüler haben zudem gezeigt, wie die offizielle päpstliche Außenpolitik nur die eine Seite eines Unternehmens ist, das durch die Mikropolitik der Papstfamilie und aller beteiligten Akteure ebenso geprägt ist, was in der offiziellen Nuntiaturkorrespondenz nur an einigen Stellen durchscheint. Doch heißt all dies nur, dass für viele Fragestellungen die Nuntiaturberichte ein Quellenbestand unter mehreren sind, die herangezogen werden müssen. Ihre hoffentlich einem zügigen Abschluss entgegengehende Edition ist ein großes Forschungsdesiderat, da erst dann über eine lange Sicht Differenzen zwischen den Pontifikaten und längerfristige Entwicklungen der vatikanischen Politik zuverlässig erfasst werden können. Hierfür hat Alexander Koller erneut einen wertvollen Baustein geliefert.
Klaus Unterburger