Martin Espenhorst (Hg.): Frieden durch Sprache? (= Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz. Abt. für Universalgeschichte; Beiheft 91), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2012, 202 S., ISBN 978-3-525-10194-0, EUR 49,95
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Die Frage nach der 'Friedensfähigkeit' von Sprache und nach den Auswirkungen von Sprache auf Friedensprozesse in der Vormoderne steht im Mittelpunkt eines Sammelbandes zu den kommunikativen Aspekten vormoderner Friedensstiftung und -wahrung, die im Rahmen der Förderaktion des Bundesministeriums für Bildung und Forschung zu den "Übersetzungsfunktionen der Geisteswissenschaften" in Mainz stattfand. Neben einer knappen Einführung des Herausgebers und einem allgemeine und grundlegende Probleme des Themenkomplexes "Sprachen des Friedens und Friedenssprache" aufgreifenden Beitrag von Johannes Burkhardt umfasst der Band sieben Aufsätze, die sich der Problematik aus unterschiedlichen Blickwinkeln nähern.
Drei Studien widmen sich bestimmten Konzepten respektive rhetorischen Aspekten von Friedens- und Konfliktsprachen: Ralf-Peter Fuchs untersucht das Ehrkonzept im Kontext der Friedenspolitik und der Versuche zur Vertrauensbildung während des Dreißigjährigen Krieges. Auf die besondere Relevanz des Ehrkonzepts gerade im Dreißigjährigen Krieg haben auch andere jüngere Forschungen sehr zu Recht aufmerksam gemacht (etwa Christoph Kampmann). Insofern ist es zu begrüßen, dass diesem Problem weiterhin Aufmerksamkeit zuteilwird. Daniel Hildebrand wendet sich der Frage zu, inwieweit Staatsräson als ein Friedensmotiv angesehen werden kann. Anuschka Tischer nimmt schließlich die Rhetorik frühneuzeitlicher Kriegserklärungen und Manifeste in den Blick und arbeitet dabei überzeugend auf die spätere Wiederherstellung des Friedens hin orientierte rhetorische Elemente in diesen einen Konflikt erklärenden und begründenden Texten heraus.
Besonders anregend sind aus der Sicht des Rezensenten zwei auf ausführlichen Quellenstudien basierende Untersuchungen zur Sprachwahl und zu Übersetzungsproblemen in vormodernen Außenbeziehungen, die sich zum einen mit der Rolle des Italienischen in der Diplomatie der Frühen Neuzeit, zum anderen mit den kommunikativen Funktionen und den Translationsleistungen europäisch-osmanischer Friedensabkommen des 17. und 18. Jahrhunderts befassen.
Matthias Schnettgers Beitrag beleuchtet die Rolle Italiens und der italienischen Sprache und geht dabei der Leitfrage nach, ob die Entwicklung der Diplomatie in der Frühen Neuzeit zu ihrem Bedeutungsschwund beigetragen hat. Hierbei knüpft seine Studie an andere jüngere Forschungsbeiträge an, welche die "Patina" des vorherrschenden "Dekadenzgemäldes" der italienischen Staatenwelt in der Frühneuzeit zugunsten einer differenzierteren Bewertung abzutragen begannen (25). Die Entwicklung der Außenbeziehungen dieser Staatenwelt - bekanntlich die 'Wiege' der neuzeitlichen Diplomatie - charakterisiert Schnettger auf der Grundlage einer ausgewogenen Argumentation als "langsame[n] Niedergang auf hohem Niveau" (26). Er plädiert in diesem Kontext für eine nach Akteuren differenzierende (auch Mindermächtige einbeziehende) und Rückprojektionen vom 18. auf das 16. und 17. Jahrhundert vermeidende Betrachtungsweise ihrer Handlungsspielräume. Ganz zu Recht konstatiert der Verfasser, dass die Sprachwahl Machtansprüche sinnfällig widerspiegeln konnte und die Auswahl einer bestimmten Sprache (zumindest in sehr formalisierten Handlungssituationen) "geradezu zum Bestandteil des Zeremoniells wurde" (59). Im Hinblick auf die Rolle des Italienischen als diplomatische Verkehrssprache im frühneuzeitlichen Europa verdeutlicht Schnettger, wie es zunächst vom Rückgang des Lateinischen profitierte, um dann seit dem 17. Jahrhundert im Zeichen des Aufstiegs des Französischen seinerseits an Bedeutung einzubüßen. Allerdings sei Italienisch auch im 18. Jahrhundert keineswegs nur eine internationale, sondern auch eine Diplomatensprache gewesen und habe sich als ein neutrales Idiom, mit dem kein Anspruch auf Hegemonie verknüpft wurde, durchaus auch in der Funktion einer Vertragssprache von zumindest regionaler Relevanz behaupten können. Diese Schlussfolgerungen, die Schnettger vor allem durch eine Untersuchung der venezianischen Relationen erzielen konnte, lassen sich durch eine Analyse der Nuntiaturberichte untermauern.
Besonders problematisch war die Formulierung möglichst eindeutiger Vertragsbestimmungen in der Vormoderne, wenn Potentaten ganz unterschiedlicher Rechtskulturen miteinander Friedensschlüsse aushandelten. Dennis Dierks befasst sich in einer detaillierten Studie mit europäisch-osmanischen Abkommen. Dabei werden sowohl die beiderseitigen Rechtsgrundlagen der Verträge als auch die sie betreffenden zeitgenössischen historisch-politischen Diskurse berücksichtigt und in Hinsicht auf die Vertragssprachen selbst Freundschaftsrhetorik sowie (eingehend) die Gestaltung der jeweiligen Vorreden analysiert. Schließlich wendet sich Dierks dem sehr wichtigen Spezialproblem der Übertragung der seit 1720 eingeführten unbefristeten Vertragsdauer in die Vertragssprache zu. Trotz seiner facettenreichen Untersuchung macht der Verfasser auf deren Grenzen aufmerksam und markiert damit Aufgaben für künftige Forschungen: Sie behandelt nämlich nur die Vertragswerke selbst, während eine - sicherlich sehr aufwändige - Analyse der Aushandlungsprozesse noch aussteht. Gerade deren Einbeziehung könnte jedoch erst Aufschluss über die Gründe für die Wahl bestimmter Begrifflichkeiten und die dahinter stehenden Verständniskategorien bieten. Insofern bildet ihre Untersuchung nicht zuletzt eine notwendige Voraussetzung für eine umfassende Würdigung der Translationsleistungen von Vertragsschlüssen aus kulturgeschichtlicher Perspektive.
Ein dritter Themenschwerpunkt des Buches basiert auf einem personen- beziehungsweise werkgeschichtlich orientierten Zugang zur Sprache des Friedens. Diesen Blickwinkel nehmen zwei kleine Studien zu Friedrich Carl von Moser und seinem "Versuch einer Staats-Grammatic" von 1749 sowie zu Johann Ebermairs exakt einhundert Jahre zuvor publiziertem "Triumphus Pacis" ein. Martin Espenhorst betont Mosers Bewusstsein "der engen Verbindung von Sprache und Recht für den Frieden in Europa" (131). Um Missverständnisse in Friedensprozessen und daraus später eventuell resultierende Konflikte zu verhindern, plädierte Moser - wie Espenhorst hervorhebt - keineswegs für die Beschränkung auf eine einzige europäische Sprache im diplomatischen Verkehr, sondern strebte eine semantische Abstimmung der jeweiligen Völkerrechtsterminologie zwischen den einzelnen Sprachen an. Damit orientiert sich Moser am Handlungsrahmen der Vielsprachigkeit der frühneuzeitlichen Diplomatie, welcher nicht grundsätzlich in Frage gestellt wird.
Thomas Haye schließt seinen Beitrag über die epische Verherrlichung des Friedens 1649 mit einem Hinweis auf die prinzipielle Wertneutralität von Sprache und deren funktionale Kontextgebundenheit. Insofern mahnt er an, die Formel "Frieden durch Sprache" um ihr komplementäres Gegenteil "Krieg durch Sprache" zu ergänzen (196). Dass beide Ebenen - Friedens- und Konfliktrhetorik - sehr gewinnbringend im Zusammenhang zu untersuchen sind, vermag im besprochenen Band bereits der Beitrag von Tischer zu illustrieren. Dieser Erkenntnis sollte die künftige Forschung Rechnung tragen.
Guido Braun