Koenraad Brosens / Leen Kelchtermans / Katlijne Van der Stighelen (eds.): Family Ties. Art Production and Kinship Patterns in the Early Modern Low Countries, Turnhout: Brepols 2012, 240 S., 150 s/w-Abb., ISBN 978-2-503-54227-0, EUR 70,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.
Sozial- und wirtschaftshistorische Fragestellungen sind der kunsthistorischen Niederlandeforschung wohlvertraut, seit sich der Blick auf den Kunstmarkt gerichtet hat und durch die Rembrandt- und Rubensforschung das Bewusstsein für Werkstattzusammenhänge gewachsen ist. Auch die prägende Rolle von Familienbetrieben und werkstattübergreifender Zusammenarbeit hat insbesondere für die Kunstproduktion der südlichen Niederlande Aufmerksamkeit erfahren.
Mit dem Thema "Familienbande" möchte der von Leuvener Forschern herausgegebene Sammelband Schlaglichter auf "Kunstproduktion" und "Verwandtschaftsmuster" werfen. Er ist dafür in vier Abschnitte gegliedert, die sich Quellen und Konzepten sozialer Netzwerke, künstlerischen Familienverbänden, Vater-Sohn-Beziehungen sowie den sozialen und wirtschaftlichen Beziehungen von Auftraggebern und Kunsthändlern widmen. Die stets mit "some" bezeichneten Zwischenüberschriften (wie "Some Sources and Some Concepts") legen dabei eine gewisse zufällige Ausschnitthaftigkeit nahe. Eine umfassende Bestandsaufnahme ist offenbar nicht gewollt, sie tritt vielmehr zugunsten von teilweise sehr reichen und informativen Fallstudien zurück.
Zu bedauern ist, dass auf eine Einleitung verzichtet wurde. So darf der Leser weder eine historiografische Einbettung des Themas noch übergreifende Schlussfolgerungen für Forschungsperspektiven erwarten. Lediglich der Beitrag eines der Herausgeber, Koenraad Brosens, bietet derartiges mit Blick auf die (rhetorische) Frage, ob die Tapisserieforschung von Wirtschaftssoziologie und Netzwerkanalyse profitieren könne (44-51). Bemerkenswert selbstkritisch stellt er, ein Pionier im sozialgeschichtlichen Zugang seines Faches, bisherige Schwächen heraus. Statt selbstentwickelter Analysemethoden und eher intuitivem Gebrauch grundsätzlicher Begrifflichkeiten wie dem "Netzwerk" sieht er die Notwendigkeit systematischeren Vorgehens nach soziologischen Modellen. Das im Fall der Brüsseler Teppich-Manufakturen durchaus reichlich vorhandene Archivmaterial sollte aus seiner Sicht strukturell erfasst, kartiert oder anderweitig visualisiert werden.
Vor Datenbanken, Graphen und Tabellen schrecken Kunsthistoriker oft zurück - manchmal aber auch vor zu abstrakten oder zu globalen Aussagen, die den Einzelfall vernachlässigen. Vor dem Hintergrund des kunsthistorischen Handwerks von Stilanalyse und eher monografischer, quellenbasierter Forschung wirkt die lesenswerte Einführung des Leuvener Soziologen Axel Marx in die Netzwerkanalyse (25-42) wie ein Fremdkörper. Denn außer Brosens arbeiten ausschließlich Neil de Marchi und Hans van Miegroet in ihrem Beitrag zu Risikovermeidungsstrategien Antwerpener Familienbetriebe mit wirtschaftshistorischer Terminologie, so dass ein Graben zwischen diesen und den übrigen Beiträgen nicht geschlossen wird: Es handelt sich schließlich nicht um ein gemeinsames Forschungsprojekt, sondern um die Akten eines 2009 in Leuven gehaltenen Symposiums. [1]
Rudi Ekkart gewährt einen faktengesättigten Überblick über holländische Malerfamilien und liefert den einzigen Beitrag zu den nördlichen Niederlanden. Bekannte und unbekanntere Familienbetriebe werden durch Natasja Peeters (eindrucksvoll zu den zahlreichen Mitgliedern der Familie Francken), Miroslav Kindl (De Herdt), Jeremy Howarth (Steenwyck), Hans Vlieghe (Teniers) und Prisca Valkeneers (Van Egmont) in den Blick genommen. Für das Fehlen eines gesonderten Beitrags zur "Firma Brueg(h)el" wird man ein wenig durch die auffallende Omnipräsenz der berühmtesten Malerfamilie in den Beiträgen des Bandes entschädigt. Was bei den Teniers zu beobachten ist, führt Nils Büttner auch in Bezug auf Rubens genauer aus: über Generationen reichende Nobilitierungsstrategien. Alison Stoesser beschreibt das zwischen Antwerpen und Neapel gespannte Netzwerk der Maler und Kunsthändler Lucas und Cornelis de Wael.
Äußerst dankbar ist man für die beigefügten Stammbäume der teilweise recht umfangreichen Malerfamilien. Sie beschränken sich allerdings zumeist auf die "Kernfamilien" und lassen andere Beziehungen wie Patenschaften und Freundschaften außer Acht. Für die manchmal überraschenden, immer wieder in den Beiträgen thematisierten Beziehungsgeflechte zwischen verschiedenen Familien - programmatisch bei Jeremy Howarth, der die Verbindungen der Steenwycks zu den Valckenborch, Brueghel, Vredeman de Vries' und Neefs beschreibt (145-152) - wären eigene Visualisierungsmuster hilfreich, die die Netzwerkanalyse durchaus bieten könnte.
Die Fallstudien bieten Fragestellungen, die innerhalb umfassenderer Analysen fruchtbar gemacht werden können. Indem Brecht Dewilde sich den Beziehungen der Brügger Malerfamilie Claissens und Marcus Gerards' widmet, will er zugleich zwei verschiedene Formen der (für Aufträge und wirtschaftlichen Erfolg entscheidenden!) Netzwerkbildung in den Blick nehmen: die traditionellen ortsgebundenen und durch Familie, Paten und Gildekollegen bestimmten Beziehungen auf der einen und das "ortlose" Netzwerk der République des Lettres auf der anderen Seite. Lassen sich diese verschiedenen Netzwerktypen auch in größerem Kontext beschreiben und in Verbindung mit der Kunstproduktion bringen? Eine andere Frage betrifft Spezialisierungsstrategien: Söhne setzten entweder die Produktpalette des Familienbetriebes fort, der eine Marke vertrat, oder sie setzen sich wie Jan Brueghel I oder David Teniers II bewusst vom Genre der Väter ab. Kann man generelle Aussagen über die (wirtschaftlichen) Rahmenbedingungen und (individuellen) Voraussetzungen einer solchen Entscheidung treffen?
Gegenüber Karel van Manders Schilder-Boeck, dessen Darstellungen von Verwandtschaft und Beziehungen Hessel Miedemas Beitrag gewidmet ist, und durch Monografien gehobenen, aber kaum je im Hinblick auf die Soziabilität von Künstlern ausgewerteten Quellen (vgl. Dewilde, 85) sind Familienporträts nicht weniger interessant, wenn es um "Familienbande" geht. Vor dem Hintergrund dieses Bandes wünschte man sich mehr Analysen von standardisierten oder außergewöhnlichen Bildstrategien, mit denen soziale Beziehungen sichtbar gemacht wurden. Die Nachvollziehbarkeit gemäldebezogener Argumentationen wurde im Buch leider durch die Abbildungsqualität beeinträchtigt. Differenzierungen in den durchgängig schwarz-weißen Abbildungen sind leider verloren gegangen, vor allem erschließt sich nicht immer, warum entscheidende, unbekanntere oder vielfigurige Bilder klein, gut zu lesende hingegen groß gesetzt werden mussten.
Der mit informativen, teilweise sehr anregenden Beiträgen bestückte Band weckt den Wunsch nach der Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten und Grenzen der Netzwerkanalyse für die Kunstgeschichte der Niederlande. Datensammlungen können dabei kaum Ziel an sich sein, es geht vielmehr um die angemessene Adaption von Methoden für eigene Fragestellungen. Anregungen aus der Geschichtswissenschaft und die Ergebnisse des Berliner Requiem- und selbstverständlich ebenso des Amsterdamer Ecartico-Projekts bieten dafür Perspektiven, aber auch ein Beitrag im vorliegenden Band, der noch eigens hervorzuheben ist: Bert Timmermans interdisziplinärer Zugang zu Stiftungen von Familienkapellen im Antwerpen des 17. Jahrhunderts (189-217).
Anmerkung:
[1] Dies freilich erfährt man nur aus Fußnoten (49, 140). "Family Ties. On Art Production, Kinship Patterns and Connections, 1600-1800", 10.-11. Dezember 2009, KU Leuven, organisiert von Katlijne Van der Stighelen und Leen Kelchtermans, http://www.arts.kuleuven.be/flemishbaroque/doc/fam-ties.pdf.
Almut Pollmer-Schmidt