Kristina Wengorz: Schreiben für den Hof und als Weg in den Hof. Der Pentalogus des Enea Silvio Piccolomini (1443), Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2013, IX + 563 S., ISBN 978-3-631-63943-6, EUR 89,95
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An neueren Publikationen zu Enea Silvio Piccolomini besteht kein Mangel. In kurzer Folge erscheinen Editionen, Textanalysen und biografische Studien, die den Starhumanisten und Kirchenfürsten zu einer der bestbekannten Figuren des 15. Jahrhunderts machen, vielleicht nur noch vergleichbar mit Nikolaus von Kues. Gleichzeitig erschließt der Komplex der inzwischen kaum noch überschaubaren Piccolomini-Forschung aus dem Fokus eines bedeutenden Akteurs typische Lebenswelten dieser Zeit: den Hof, das Konzil, die Kurie. Gerade hierin liegt der besondere Wert und das übergreifende Interesse dieser Forschungen.
Die Dissertation von Kristina Wengorz zum Pentalogus, dem berühmten Fünfergespräch am Hof König Friedrichs III., wird diesem Anspruch in besonderer Weise gerecht. Die minutiöse Textanalyse und forschungs- und quellengesättigte Kontextualisierung aller im Text angesprochenen Problemfelder, Personen und Ereignisse breitet ein handbuchartiges Tableau der wichtigsten Themenfelder von Kirche und Reich in der Mitte des 15. Jahrhunderts aus, dessen Nutzen weit über die engere Piccolomini-Forschung hinausgeht. Ein Fiasko, dass dem Band ein Register fehlt!
Die Voraussetzungen für ein solches Projekt waren freilich ausgezeichnet. Der vom Textumfang überschaubare Pentalogus blieb auch in der älteren Forschung nie ganz unbeachtet und war bereits Gegenstand mehrerer Dissertationen. Vor allem die ungedruckt gebliebene Dissertation des kürzlich verstorbenen Cusanus-Forschers Hermann Hallauer [1] lieferte wichtige Grundlagen; hinzu kamen gerade in neuerer Zeit zahlreiche Forschungen zum Basler Konzil, zur Reichsreform und zum Hof Friedrichs III. Wichtigste Basis dieser Arbeit ist jedoch die 2009 erschienene, mit Einleitung, Kommentaren und einer deutschen Übersetzung versehene kritische Edition des Pentalogus selbst von Christoph Schingnitz [2], dem die Autorin freilich vereinzelte Textkorrekturen und Zitatauflösungen hinzuzusetzen vermochte (z.B. 132, 139). Die inhaltliche Erschließung des Textes war bereits in großen Teilen geleistet, eine umfassende Gesamtinterpretation jedoch nicht.
Die titelgebende These der Arbeit, der Autor wollte sich durch das Hineinschreiben in die höfische Funktionselite den "Weg in den Hof" erschließen, also sich für höhere Aufgaben empfehlen, wird vollkommen plausibel dargelegt, deckt sich aber weitgehend mit dem Tenor der bisherigen Forschung. Wertvoller sind die vielfachen Detailanalysen der einzelnen Themenfelder.
Die Arbeit ist grob in zwei Teile gegliedert, zu "Autor, Werk und Rezeption" und zu den "Themen des Pentalogus". Im ersten Teil folgt auf die Einleitung eine biografische Darstellung der Lebensgeschichte Piccolominis und seiner Bedeutung als "Apostel" des Humanismus in Deutschland (15-45) und anschließend eine Rekonstruktion der Überlieferungsgeschichte inklusive einer ausführlichen Beschreibung des Clm 14134 (47-62) sowie eine Wiedergabe des Forschungsstandes zu Inhalt, Datierung und Deutung (62-78). Es folgen Studien zur Textgattung des Renaissancedialogs, die den Pentalogus sowohl in die antike Gattungstradition als auch in die Serie zeitgenössischer Dialoge Piccolominis und anderer Autoren einordnen (79-117). Zur Interpretation der fiktiven Musterrede für Friedrich III. greift die Autorin auf oratorische Analysekategorien von Johannes Helmrath zurück, wendet sie jedoch nicht konsequent an, sondern beschränkt sich meist auf eine deskriptive Paraphrase und Benennung der Stilmittel (118-130). Die sich anschließende philologische Stilanalyse zeichnet intertextuelle Bezüge zu Horaz, Cicero, Terenz und Petrarca nach (131-153).
Der stärkste Teil der Arbeit ist die prosopografische Analyse des potentiellen Rezipientenkreises des Pentalogus, welche auf der Basis des spekulativen literaturwissenschaftlichen Konzepts vom "intendierten Leser" eine umfassende Strukturierung der gelehrten Funktionselite des Hofes Friedrichs als Kommunikationsgemeinschaft herstellt, indem für zahlreiche höher- und gleichgestellte Angehörige des Hofes die Wahrscheinlichkeit der intendierten Ansprache geprüft wird (155-243).
Der zweite Hauptteil ist diskursanalytisch ausgerichtet. In drei Schritten werden die Hauptthemen des Pentalogus, Hof, Kirche und Reich, vor dem Hintergrund zeitgenössischer Diskurse analysiert. Der Fokus liegt weniger auf der Originalität des Autors als auf der pragmatischen Demonstration seiner noch zu wenig beachteten humanistischen, aber auch juristischen und landeskundlichen Fähigkeiten als politische Kernkompetenzen. Neuartige und traditionelle Angebote gelehrter Politikberatung konkurrieren. Die detaillierte Analyse der am höfischen Erwartungshorizont ausgerichteten Stellungnahmen liefert somit einen wichtigen Beitrag zum Wandel der politischen Kultur in der Mitte des 15. Jahrhunderts, ohne dass dies von der Autorin explizit angesprochen wäre.
Zunächst wird das Problemfeld des Hofes im Pentalogus analysiert, indem Elemente der Gattungstradition des Fürstenspiegels und Idealvorstellungen vom Hof identifiziert werden (251-321). Die folgenden Problemfelder Kirche und Reich sind im Pentalogus getrennt in je einem Fünfergespräch verarbeitet und verdienen die hier vorgenommene eingehende Analyse. Die Behandlung der Kirchenfrage (323-382) wird von der Frage nach einem vom Kaiser einberufenen "dritten Konzil" dominiert, dem am Hof Friedrichs III. nachhaltig vertretenen Königsweg zur Lösung des aktuellen Schismas. Die seitenlangen Ausführungen Enea Silvios sind hier kaum originell, sondern fließen unmittelbar aus einem mehrfach zitierten Traktat Lodovico Pontanos, welcher selbst direkt aus den Werken Francesco Zabarellas und Antonios da Butrio schöpft. Bemerkenswert ist dennoch der konsequent kanonistische Fokus. Eine Bewerbungsmappe für den höheren diplomatischen Dienst erforderte offenbar noch immer beträchtliche juristische Anteile. Gerade in der zwiespältigen Haltung des eigentlich noch dem Basler Konzil verhafteten aber gleichzeitig seine Loyalität zum König demonstrierenden Autors zeigt sich die für diese Zeit charakteristische Lösung des ekklesiologischen vom politischen Diskurs. Enea Silvio wendet sich vorerst nur politisch vom Konzil ab und versucht, ihm ekklesiologisch treu zu bleiben. Die Ausführungen zu den Reichsangelegenheiten (383-466) sind von der Forderung nach Bewahrung und Wiederherstellung alter Reichsrechte in Italien geprägt. Auch hier erfolgt eine skrupulöse Einordnung der angesprochenen Problemfelder in andere Schriften zur Reichsreform und zur Italienfrage.
Von der Translationslehre, über den aufkommenden Nationendiskurs, die Konstantinische Schenkung und die Beziehung von Regnum und Sacerdotium bis hin zur Autorität von Papst, Konzil und Kardinälen referiert der Pentalogus umfassend die wichtigsten Problemfelder seiner Zeit, um seinem Autor exzellente philologische, juristische und historische Kenntnisse zu bescheinigen, welche ihn bei der höfischen Kommunikationsgemeinschaft als hervorragenden Kandidaten für künftige Gesandtschaften ausweisen. Zusammen mit der Schingnitz-Edition eröffnet die sorgfältig recherchierte Studie von Kristina Wengorz einen denkbar bequemen Zugang zu den wichtigsten Bereichen der Welt des 15. Jahrhunderts. Beste Voraussetzungen für den Pentalogus, künftig zu einem der Klassikerthemen für Proseminare im Spätmittelalter zu avancieren.
Anmerkungen:
[1] Hermann Joseph Hallauer: Der Pentalogus des Aeneas Silvius Piccolomini, Diss. masch., Köln 1951.
[2] Christoph Schingnitz (Hg.): Eneas Silvius Piccolomini Pentalogus (= Monumenta Germaniae Historica. Staatsschriften des späteren Mittelalters; Bd. 8), Hannover 2009.
Thomas Woelki