Martin Hammer: Francis Bacon and Nazi Propaganda, London: Tate Publishing 2012, 224 S., 137 Farbabb., ISBN 978-1-84976-073-7, GBP 19,99
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Francis Bacons Werk stellt nach wie vor einen erratischen Block in der Malerei der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts dar. Die teilweise düsteren und schockierend aggressiven aber auch betörend schönen Gemälde faszinieren und erschrecken, ziehen an und stoßen ab. Zudem sind die Bilder des mythenumrankten Malers, dessen Interviews mit David Sylvester nach wie vor zu einer der lohnendsten Lektüren im Rahmen dieser spezifischen Gattung zählen [1], inzwischen zu den absoluten Spitzenlosen des internationalen Auktionsmarktes und zu den Highlights der großen Kunstmessen avanciert. Eine konzise wissenschaftliche Monografie mit neuen Quellen und Interpretationen tut da gut und lenkt den Blick auf den kunsthistorischen Forschungsgegenstand Bacon.
Der an der University of Kent lehrende Martin Hammer ist dem bemerkenswerten Umstand nachgegangen, dass Atelieraufnahmen verschiedentlich Größen des NS-Regimes - neben Adolf Hitler selbst auch Joseph Goebbels, Hermann Göring und Heinrich Himmler - zeigen, die von Bacon als fotografische Vorlagen und Inspirationsquellen für seine Bilder benutzt wurden. Das Buch belegt für den frühen Bacon seit Anfang der 1940er-Jahre eine überraschend intensive und tiefgehende Auseinandersetzung mit der Bildpolitik des "Dritten Reichs" sowie der zeitgenössischen medialen Repräsentation Nazi-Deutschlands. Einige verworfene, mitunter übermalte Bilder stechen hervor, etwa Untitled (Landscape) um 1942, das Albert Speers Nürnberger Kolonnaden zitiert.
Hammer verfolgt in einzelnen kurzen Abschnitten, die ihren Ausgangspunkt von Bacons irritierendem Fragment of a Cruxifixion aus dem Jahr 1950 nehmen, immer wieder in Einzelbildanalysen die visuellen Grundlagen der synthetischen Bildkompositionen Bacons, die gleichermaßen Bildtradition (siehe die schreienden Papstbildnisse auf der Grundlage von Velazquez Porträt von Innozenz X.) und populäre Bilderreservoirs (Magazinfotos oder Filmstils) zu eindringlichen Bilderfindungen verschränken. Vor allem das populäre Magazin Picture Post kann von Hammer als eine zentrale Quelle belegt werden. Aber auch andere Quellen, etwa offizielle Publikationen zur Neuen Reichskanzlei werden fruchtbar gemacht, auch wenn der Wille zur eindeutigen Zuschreibung mitunter etwas forciert wirken kann. Am Ende ist man jedoch überzeugt davon, dass Bacons Malerei in bislang unterschätztem Maße von den Bildern der Kriegszeit mit Bezug auf das "Dritte Reich" bestimmt ist. Dabei wird sie keine Illustration der Zeitgeschichte, aber Hammer betont aus gutem Grund, dass Bacon am Anfang einer intensiven malerischen Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus und dem Zivilisationsbruch, der sich in Auschwitz manifestiert, steht, die von Gerhard Richter und Luc Tymans weitergeführt wurde. Anselm Kiefer, der im Buch keine Erwähnung findet, wäre dabei ebenfalls zu nennen.
Als Schwäche des Buches ist die fehlende interpretatorische Kraft des Ansatzes zu bemerken, denn Hammer glänzt mit evidenten Belegen, nicht aber mit daraus abgeleiteten Thesen und Interpretationen. Wenn das wichtige Münchner Triptychon Kreuzigung von 1965 abschließend beleuchtet und als konzentrierte Weiterentwicklung der Drei Studien zu einer Kreuzigung von 1962 betrachtet wird, dann wird der vom Maler gestiftete Bezug zwischen Französischer Revolution und Nationalsozialismus nicht angesprochen. Hinweise auf die zeitgenössische Rezeption des Algerien-Kriegs sind in diesem Zusammenhang zwar erhellend, dass aber die meines Wissens bislang unerkannte Tod des Marat-Paraphrase auf der linken Seitentafel und die politische Deutungslinie vom Terror der Französischen Revolution über die Herrschaft des "Dritten Reichs" als spezifische Fehlentwicklung der massendemokratischen Moderne als Interpretamente für Bacon eine Rolle spielen könnten, wird nicht einmal angedeutet. [2]
Gleichwohl stellt Martin Hammers vorzüglich bebilderte Monografie einen wichtigen Beitrag zu den Anfängen von Bacons Malerei dar und bestätigt die von Armin Zweite anlässlich der großen Bacon-Ausstellung 2006/07 in Düsseldorf geäußerte Feststellung, dass "insbesondere die positivistische Forschung neue Sachverhalte und Ergebnisse" zur Bacon-Forschung beigetragen habe, nachdrücklich. [3] So stellt sie ein gelungenes Pendant zu der etwas modisch geratenen, dem "echten Bild" nahekommen wollenden Studie des amerikanischen Schriftstellers Jonathan Littell dar. [4]
Anmerkungen:
[1] Vgl. David Sylvester: Gespräche mit Francis Bacon, München 1982.
[2] Auch Jörg Zimmermanns Monografie zum Triptychon geht darauf nicht ein. Vgl. Jörg Zimmermann: Kreuzigung. Versuch, eine gewalttätige Wirklichkeit neu zu sehen, Frankfurt/M. 1986.
[3] Ausst.-Kat. Francis Bacon. Die Gewalt des Faktischen, hg. von Armin Zweite in Zusammenarbeit mit Maria Müller, K20 Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, 2006/07, 15.
[4] Vgl. Jonathan Littell: Triptychon. Drei Studien zu Francis Bacon, München 2013.
Olaf Peters