Catrien Santing / Barbara Baert / Anita Traninger (eds.): Disembodied Heads in Medieval and Early Modern Culture (= Intersections. Interdisciplinary Studies in Early Modern Culture; Vol. 28), Leiden / Boston: Brill 2013, XX + 311 S., ISBN 978-90-04-25354-4, EUR 125,00
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Jürgen Petersohn: Capitolium Conscendimus. Kaiser Heinrich V. und Rom, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2009
Larissa Tracy / Jeff Massey (eds.): Heads Will Roll. Decapitation in the Medieval and Early Modern Imagination, Leiden / Boston: Brill 2012
Timothy S. Miller / John W. Nesbitt: Walking Corpses. Leprosy in Byzantium and the Medieval West, Ithaca / London: Cornell University Press 2014
Abgeschlagene Körperteile erfreuen sich gleich aus zwei Gründen großer Beliebtheit in der gegenwärtigen Forschung: Sie greifen die Ansätze der Körpergeschichte auf und entsprechen zugleich der aktuellen Hinwendung der Geisteswissenschaften zu materiellen Objekten und Mensch-Ding-Beziehungen. Der vorliegende Sammelband nähert sich diesem interdisziplinären Feld anhand von zehn Fallstudien an, denen Catrien Santing und Barbara Baert eine konzise Einleitung vorangestellt haben; dabei steht hier stets der Kopf als außergewöhnlicher Körperteil im Mittelpunkt der Betrachtung.
Der Band nimmt dazu vor allem einen Brückenschlag zwischen Geschichte und Kunstgeschichte anhand bestimmter literarischer und künstlerisch umgesetzter Bildmotive vor. So bespricht Marina Montesano den Schädel Adams, der auf Kreuzigungsszenen unter dem Kreuz Christi zu sehen ist, geht den Ursprüngen der dahinter liegenden Vorstellung nach und deutet ihre Verbindung zur Heilig-Blut-Verehrung an. Der Johannesschüssel widmet sich der Beitrag von Barbara Baert, die auf die Funktion dieser Bilddarstellung als Andachtsbild eingeht, das ebenso den Tod symbolisiert und - etwa in Zusammenschau mit der "vera icon" - auf die Auferstehung vorausweist. Der politischen Funktion von Johannesdarstellungen in Wrocław / Breslau geht Mateusz Kapustka nach. In dieser Stadt kam dem Johanneskopf insofern besondere Bedeutung zu, als Fragmente des Schädels als Reliquien in der Kathedrale aufbewahrt wurden und somit zur Stützung des bischöflichen Anspruchs herangezogen werden konnten; zugleich übernahm die Stadt das Bild des Johanneskopfes als Zeichen ihrer eigenen Autorität. Arjan R. de Koomen diskutiert jene Darstellungen abgeschlagener Köpfe der Renaissance (Johannes, Goliath, Holofernes), in denen man Selbstporträts der jeweiligen Künstler hat sehen wollen. Kritisch gegenüber psychologisierenden Interpretationen, schlägt de Koomen vor, in diesen Darstellungen vor allem das spielerisch-künstlerische Element, das Ausloten fiktionaler Realitäten mittels des Bildes, zu erkennen; diese Darstellungen wollten kein Statement des Künstlers über sich selbst sein und seien somit von der modernen Kunst (wie im Falle von Marc Quinns aus eigenem Blut skulpturiertem Kopf "Self") stärker abzusetzen.
Dem Feld der Hagiografie widmet sich etwa der Beitrag von Robert Mills über den Topos des sprechenden Schädels; Mills macht dabei deutlich, dass der Gehalt der dem abgetrennten Kopf zugeschriebenen Botschaft von der vorher bestehenden Erwartungshaltung der Gesellschaft abhängig ist. Scott B. Montgomery verfolgt an zahlreichen Beispielen, wie die bekannte Vorstellung der ihren Kopf nach dem Martyrium tragenden Heiligen durch geistliche Gemeinschaften genutzt werden konnte, um die Behauptung eigenen Reliquienbesitzes an diesen Heiligen zu stützen. Jetze Touber argumentiert für das Rom der Gegenreformation, dass ähnlich wie in der textlichen Kritik für die Heiligenviten auch die Körperteile der Märtyrer (wie eben die Schädel) genauere Begutachtung und kritischere Zuschreibungen an die Heiligen erfuhren. Die von Touber an den Anfang seines Beitrags gestellte Beobachtung des Jesuiten Baudouin de Gaiffier, der 1971 die Häufigkeit der Enthauptung als den Tod herbeiführende Hinrichtung der frühchristlichen Märtyrer bemerkte, leitet inhaltlich direkt zurück zum Beitrag von Esther Cohen, die eine ganz ähnlich gelagerte Debatte des Hochmittelalters aufgreift, die John Pecham 1271 an der Universität Paris führte. Dabei verbindet Cohen die bevorzugten Hinrichtungsarten des Hoch- und Spätmittelalters (Erhängen, Enthaupten) mit der Frage nach der - vor dem komplexen Befund ohnedies schwierig entscheidbaren - Prävalenz von Kopf oder Herz; ihr zufolge lässt sich hier ein Residuum der Vorstellungen des 12. Jahrhunderts, der zufolge der Kopf das Zentrum des Lebens sei, in der späteren Strafpraxis erkennen. Der originelle Beitrag von Bert Watteeuw, der Funktionen und Zuschreibungen an die Halskrause des 17. Jahrhunderts untersucht, eröffnet anthropologische Vergleiche und einen neuen Blick auf ein Detail zahlreicher Porträts der Zeit, indem er die Fremdheit dieser Tracht (wieder) verständlich werden lässt. In dieser Sicht hebt die Halskrause den Kopf vom lebenden Körper ab und unterstreicht dabei kulturelle und soziale Grenzen.
Der Sammelband eröffnet mit seinen facettenreichen Beiträgen neue Einsichten in dieses derzeit sehr aktive Forschungsfeld. Dabei können freilich nicht alle Aspekte Berücksichtigung finden, die in diesem Kontext relevant wären, wie die Herausgeber selbst in ihrem Vorwort unterstreichen. Der abschließende Beitrag von Catrien Santing macht dies besonders deutlich, in dem die Mitherausgeberin des Bandes das Thema der abgeschlagenen Köpfe noch einmal in Konkurrenz zur Rolle des Herzens in Spätmittelalter und Früher Neuzeit bringt. Ihr konziser Überblick verweist auf das Desiderat, auch andere Körperteile und deren Verhältnis zum Ganzen, zur Persönlichkeit des Individuums zu untersuchen. Dazu ließen sich neben der anthropologisch-archäologischen Dimension auch gerade das frühere Mittelalter und kanonistische Vorgaben in die Überlegungen mit einbeziehen; dem Fall des abgetrennten Kopfes der Katharina von Siena (284) könnte man so beispielsweise andere hochmittelalterliche Beispiele vergleichend gegenüberstellen, in denen der Kopf (an den das kanonische Recht den Grabplatz gebunden sah) alleine überführt wurde. Die in diesem Sammelband eröffneten, vielfältigen Perspektiven werden in diesem Sinne hoffentlich weitere Studien zur Geschichte der Körperteile in der Vormoderne anregen.
Romedio Schmitz-Esser