Rezension über:

Roberta Milliken: Ambiguous locks. An Iconology of Hair in Medieval Art and Literature, Jefferson, NC: McFarland & Company 2012, X + 290 S., 40 s/w-Abb., ISBN 978-0-7864-4870-8, USD 65,00
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Rezension von:
Julia Saviello
Institut für Kunstgeschichte, Ludwig-Maximilians-Universität München
Redaktionelle Betreuung:
Philippe Cordez
Empfohlene Zitierweise:
Julia Saviello: Rezension von: Roberta Milliken: Ambiguous locks. An Iconology of Hair in Medieval Art and Literature, Jefferson, NC: McFarland & Company 2012, in: sehepunkte 14 (2014), Nr. 9 [15.09.2014], URL: https://www.sehepunkte.de
/2014/09/24531.html


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Roberta Milliken: Ambiguous locks

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Verschiedene Autorinnen und Autoren haben sich in den letzten Jahren der Darstellung des Haares aus literaturwissenschaftlicher Perspektive gewidmet und dabei nicht nur Texte, sondern ebenso Werke der bildenden Kunst in den Blick genommen. Besondere Berücksichtigung erfuhren in diesen Forschungsbeiträgen vor allem die Farbigkeit des Haares sowie ihre vielschichtigen Konnotationen. [1] Die 2012 erschienene Studie von Roberta Milliken, Professorin für Anglistik an der Shawnee State University in Portsmouth/Ohio, reiht sich in die jüngst gesteigerte Aufmerksamkeit für den menschlichen Schopf und seine textliche wie bildliche Darstellung ein. Doch fokussiert sie, anders als die früheren Beiträge, allgemein die Ikonologie der weiblichen Haare in der Literatur und Kunst und dies vom Mittelalter bis ca. 1525.

Der Begriff der Ikonologie zeigt schon im Titel das Anliegen und den methodischen Zugang der Untersuchung an. Es geht der Autorin weniger um die Erstellung eines ikonografischen Kataloges zur Beschreibung und Wiedergabe des Haares in dem genannten Zeitraum als vielmehr um die Entschlüsselung der kulturgeschichtlichen Implikationen und Hintergründe speziell langer, offen getragener oder verschleierter Frauenhaare (3). Die Gestaltung des Haares in Text oder Bild ist im Sinne Millikens nicht nur als ein Spiegel historischer Konzeptionen von Weiblichkeit zu verstehen, sondern zugleich als ein Medium zur Festschreibung und Propagierung weiblicher Identität. Darüber hinaus konstatiert die Autorin eine grundlegende Ambivalenz in der Bewertung weiblichen Haares, womit die bisher in der Forschung meist unhinterfragten Deutung der Frisur als zuverlässiger Indikator des sozialen Standes einer Frau - etwa als Jungfrau, Verheiratete oder gar als Prostituierte - relativiert wird.

Die Studie untergliedert sich in drei Teile, wobei der erste Teil "Contexts" den Rahmen für die beiden folgenden Abschnitte bildet, in denen die genannte Ambiguität der weiblichen Locken auf die zunächst eher oberflächlich anmutende Gegenüberstellung von "schlechten" und "guten" Frauen übertragen wird. Diese Unterteilung ist bewusst gewählt, wie im ersten Teil deutlich wird. In diesem Abschnitt wird die gegenseitige Bedingung der seit der Antike und durch das Mittelalter hindurch wenig veränderten Auffassung von der Frau als eines dem Mann unterlegenen, ja im Gegensatz zu diesem körperlich wie moralisch schwachen Wesens und dem ebenfalls konstanten Topos des weiblichen Haares als 'Liebesfessel' aufgezeigt. Diese grundlegende, genderspezifische Problematik wird schließlich mit den verschiedenartigen Versuchen enggeführt, reglementierend in die Gestaltung des Haares einzugreifen. Eine Frau, so hebt die Autorin mehrmals hervor, stand im androzentrischen Wertesystem des Mittelalters und der Frühen Neuzeit stets vor dem wenig subtilen Scheideweg zwischen Gut und Böse (7), und die Art, wie sie ihr Haar trug, war diesbezüglich richtungsweisend.

Wie genannte Polarität des Frauenhaares in der Literatur und bildenden Kunst konzeptualisiert und fortgeschrieben wurde, ist Thema der folgenden beiden Teile, die wie schon der erste Abschnitt profunde Einblicke in die jeweils zentralen historischen Quellen bieten. Unter der Überschrift "'Bad' Women" widmet sich Milliken in einem ersten Schritt so moralisch fragwürdigen Figuren wie Sirenen, Meerjungfrauen, Hexen und Prostituierten, aber auch Eva und Venus finden in diesem Abschnitt Erwähnung. Ihnen gemeinsam sei, diese Überlegung stellt die Autorin in einer kurzen Einleitung voran, dass ihr offenes, regellos fallendes und unverschleiertes Haar als Zeichen eines unkontrollierten sexuellen Verlangens und Ausdruck einer Verweigerung, sich dem Mann unterzuordnen, gelesen werden könne (89). [2] Ganz im Sinne dieser Gleichung definiert sich die 'gute' Frau, die im dritten und letzten Teil zur Diskussion steht, für Milliken hingegen über einen wohl geordneten, bedeckten Schopf (171). Als tugendhaftes Vorbild einer jeden Dame führt in der Studie Maria die Vertreterinnen dieses 'Haarstils' an, gefolgt von Maria Magdalena, Maria von Ägypten, der Hl. Agnes und anderen jungfräulichen Märtyrerinnen sowie Jeanne d'Arc, mit der die sonst auf mythologische und biblische Figuren begrenzte Auswahl zugunsten einer historischen Person durchbrochen wird. Am Beispiel der jungfräulichen Muttergottes problematisiert die Autorin schließlich auch den Umstand, dass in vielen Fällen 'gute' und 'schlechte' Frauen nicht eindeutig anhand der Darstellung ihrer Haare differenziert werden könnten (161, 176).

Ein solches Zugeständnis an die in bildlichen wie textlichen Darstellungen nie gänzlich aufzulösende bzw. bewusst eingesetzte Ambivalenz des weiblichen Haares nimmt die Kritik an der von Milliken gewählten Untergliederung gewissermaßen vorweg. Die getrennte Behandlung von vermeintlich 'guten' und 'schlechten' Frauen sowie ihren Haarschöpfen führt im Text nicht nur zu zahlreichen Wiederholungen (167-171, 250-252), um die von der Autorin postulierte Multiperspektivität zu wahren, sondern oft auch zur Vereinfachung an sich komplexer Ambivalenzen zu bloßen Dichotomien. So wird etwa Maria Magdalena, die noch von Bernardino da Siena als Exempel einer übertriebenen Haarpflege angeführt wurde [3], allein der 'guten' Seite zugesprochen. Auch künstlerische Ausdrucksintentionen, die nicht an gegebene Haarkonventionen anschließen und das offene Haar stattdessen als äußerlich sichtbaren Mittler psychologischer Zustände instrumentalisieren, kommen in dem von der Autorin gewählten Schema zu kurz (192). Gerade am Beispiel Maria Magdalenas haben jedoch schon Aby Warburg und Moše Baraš die 'emotionale Aufladung' des Bildes durch bewegte Haardarstellungen thematisiert und auf ihre antiken Wurzeln zurückgeführt. [4]

Millikens Untersuchung ist insgesamt durch ein leichtes Ungleichgewicht zwischen den ausführlichen historischen Herleitungen und der eher exemplarischen Diskussion literarischer wie künstlerischer Haardarstellungen geprägt. Hierin liegt aber zugleich die besondere Stärke der Studie, die eben nicht nur einen ikonografischen Leitfaden bereitzustellen versucht, sondern darüber hinaus die weitreichenden kulturellen Zusammenhänge sowie die darauf aufbauenden Deutungstraditionen aufdeckt und problematisiert.


Anmerkungen:

[1] Chantal Connochie-Bourgne (éd.): La chevelure dans la littérature et l'art du Moyen Âge. Actes du 28e colloque du CUER MA 20, 21 et 22 février 2003, Aix-en-Provence 2004; Ralf Junkerjürgen: Haarfarben. Eine Kulturgeschichte in Europa seit der Antike, Köln 2009; Myriam Rolland-Perrin: Blonde comme l'or. La chevelure féminine au Moyen Âge, Aix-en-Provence 2010.

[2] Hierzu hätte Diane Wolfthal: In and Out of the Marital Bed. Seeing Sex in Renaissance Europe, New Haven / London 2010, 44-62, eine wichtige bibliografische Ergänzung dargestellt.

[3] Bernardino da Siena: Le prediche volgari, Bd. 5: Quaresimale del 1425, hg. v. Ciro Cannarozzi, Florenz 1940, 181f.

[4] Moše Baraš: Gestures of Despair in Medieval and Early Renaissance Art, New York 1976, 103, 105f., 109-111; Ernst H. Gombrich: Aby Warburg. Eine intellektuelle Biographie, Hamburg 1992, 334.

Julia Saviello