Tabea Schindler: Arachnes Kunst. Textilhandwerk, Textilien und die Inszenierung des Alltags in der holländischen Malerei des 17. Jahrhunderts (= Textile Studies; 6), Emsdetten / Berlin: edition imorde 2014, 319 S., 10 Farb-, 149 s/w-Abb., ISBN 978-3-942810-18-0, EUR 29,90
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Die textilen Künste und ihre Erzeugnisse sind in den letzten Jahren verstärkt ins Blickfeld der universitären Kunstgeschichte gerückt. Die Zürcher Buchreihe Textile Studies zeugt von der Bandbreite der damit angesprochenen Textilarten und Fragestellungen: Tapisserien, Kleidung und Gewebe jeglicher Art stehen in diesen Bänden zur Diskussion, aber auch deren bildliche wie literarische Erfassung - sowohl im Hinblick auf deren Verhältnis zu realen Objekten als auch unter Berücksichtigung der Gestaltungsprinzipien und Künstlerintentionen, die den jeweiligen Kunstformen eigen sind. [1] Arachnes Kunst von Tabea Schindler bereichert dieses weite Forschungsfeld um eine profunde Fallstudie zur Inszenierung des Textilhandwerks und seiner Produkte in der holländischen Malerei des 17. Jahrhunderts.
Eine vergleichbare Doppelperspektive auf die Darstellung textiler Objekte und ihrer Herstellungsprozesse durch die Maler des Goldenen Zeitalters hatte bereits Linda Stone-Ferrier in ihrer Untersuchung Images of Textiles. The Weave in Seventeenth-Century Dutch Art and Society von 1985 gewählt, wie Schindler anerkennend anmerkt (17). Ihre Studie, die aus einer an der Universität Zürich eingereichten Doktorarbeit hevorgegangen ist, zeichnet sich durch eine Erweiterung und Neubewertung dieses Ansatzes aus: Neben den mit den textilen Handwerken verbundenen gesellschaftlichen Wertvorstellungen finden in ihr auch der Symbolwert bestimmter textiler Erzeugnisse und die mit deren bildlicher Inszenierung einhergehenden Aussagen über das Metier des Malers Berücksichtigung. Aus der Textilkunde schöpfend und zugleich aktuelle Fragen der Bildtheorie aufgreifend, legt die Autorin so eine kunst- und kulturhistorische Fährte zu einem zentralen Motiv der holländischen Genremalerei (16).
Schindler geht der umrissenen Fragestellung in drei Teilen nach. Der erste Teil ist den vielfältigen bildlichen Inszenierungen der textilen Handwerke in Leiden und Haarlem gewidmet, die mit Blick auf genderspezifische Unterschiede vorgestellt werden. Während ausschließlich Männer in Webereien tätig gewesen seien und sie auch in der Malerei häufig die Webstühle bedienten, beschränkten sich die primär von Frauen ausgeführten Arbeiten - das Spinnen, Nähen, Klöppeln und Sticken - auf das häusliche Umfeld (24). Zwar liege auch in den Darstellungen männlicher Webtätigkeit ein gewisses Maß an künstlerischer Verklärung der realen Arbeitsverhältnisse vor (37f.), doch äußere sich die Anlehnung an zeitgenössische Moralvorstellungen weitaus unmittelbarer in Bildern weiblicher Handarbeit. Unter weitgehender Ausgrenzung der mit den genannten Werkprozessen stets verbundenen körperlichen Mühen stehe in ihnen das Textilhandwerk als "Inbegriff weiblichen Fleißes und häuslicher Tugendhaftigkeit" im Vordergrund (53) oder dominierten Aspekte des Memento mori und der Unmoral, etwa wenn ältere Frauen zur Haspel griffen und derart das Ende eines Fadens bestimmten (82) oder jüngere Damen aus Faulheit und Liebeslust ihre Handarbeit zur Seite legten (101-109). Diese Erkenntnis fasst die Autorin unter den Begriff der Inszenierung, der als Leitprinzip auch der beiden folgenden Teile sowie zur Verbindung aller Abschnitte untereinander herangezogen wird (12, 297).
Der zweite Teil verhandelt eine Auswahl von Interieurtextilien in ihrer Bedeutung für die dargestellte Person oder Szene, wobei neben den holländischen Gewerben der Woll- und Leinenweberei nun auch Importprodukte wie Orientteppiche in den Fokus rücken. Weiße Tücher werden in diesem Abschnitt als Zeichen von Reinheit und Genügsamkeit vor- und den aufwändigeren, mit Spitze versehenen toilettes als Inbegriff von Überschwang und Eitelkeit gegenübergestellt. Kostbare Tapisserien interpretiert Schindler hingegen als Statussymbole und Bilder im Bild, die den Innen- mit dem Außenraum verschränkten, während orientalische Teppiche als exotische Luxusobjekte auf Reichtum und Weltgewandtheit schließen ließen. Fingierte Bildvorhänge und Vorhänge im Bild, die vierte und letzte exemplarische Objektgruppe, verdeutlichten den inszenatorischen Effekt gemalter Textilien - nicht zuletzt aufgrund ihrer Nähe zum Theater, der die Autorin in einem gesonderten Unterkapitel nachgeht (214-235). In den theatralen Stoffen spitzt sich zu, was auch den anderen Interieurtextilien eigen sei: Sie lenken den Blick auf zentrale Figuren und Bildgegenstände, deren Wesen und Bedeutung sie untermauern oder um weitere Facetten bereichern.
Die in Teil II als bedeutsame 'Requisiten' eingeführten textilen Objekte werden im dritten Teil auf ihre Funktion als Schaustücke künstlerischer Virtuosität hin befragt. In den Werken der holländischen Feinmaler, die dem Ideal einer getreuen Nachahmung der Realität auf besondere Weise verpflichtet gewesen seien (252-255), dienten glänzende Stoffe, farbenprächtige Tapisserien und geraffte (Bild-)Vorhänge stets auch dem Ausweis technischer Fertigkeit. Anders als in Italien, in dem der paragone der Künste vor allem zwischen den Gattungen der Malerei und der Bildhauerei ausgefochten wurde, konzentriere sich die theoretische Diskussion über den Vorrang des Malers in der holländischen Kunsttheorie entsprechend auf die Erfassung verschiedener Oberflächenstrukturen, wie sie eben im Textilhandwerk zu finden seien (257). Aber nicht nur die Darstellung von Textilien, sondern auch die Wiedergabe etwa eines Spinnrads in Bewegung berge eine maltechnische Herausforderung in sich, der die Feinmaler mit ihrer Vorliebe für das Detail jedoch nur mit Schwierigkeiten bzw. gar nicht begegnet seien (279).
Die gewählte Dreiteilung von Arachnes Kunst ermöglicht einen umfassenden Blick auf das holländische Textilhandwerk und seine Produkte als zentrale Themen der Malerei des Goldenen Zeitalters. Zugleich aber geht die Differenzierung verschiedener Strategien zur Inszenierung gesellschaftlicher Normen, individueller Lebensräume und malerischer Virtuosität nicht immer nahtlos auf. Gerade die Trennung der symbolischen Aufladung von textilen Objekten (Teil II) und ihrer Funktion als Medien künstlerischer Selbstreflexion (Teil III) führt zu leichten Redundanzen (157f.). Außerdem werden so zwei Aspekte isoliert, die im Bild meist Hand in Hand gehen und, wie in der Studie selbst an verschiedenen Stellen anklingt, sich gegenseitig stärken oder konterkarieren können. Diesem Kritikpunkt steht allerdings die stets fundierte historische Kontextualisierung der textilen Handwerke und Produkte sowie die ebenso umfassende Analyse ihrer malerischen Erfassung gegenüber. Gerade die parallele Berücksichtigung von Gemälden und Textilien erweist sich im Vergleich ihrer historischen Zusammenhänge und schöpferischen Leitprinzipien als produktiver Zugang jenseits des klassischen Kunstsystems, der etwa auch für eine Analyse der Wechselwirkungen zwischen der Malerei und dem Goldschmiede- oder Keramikhandwerk fruchtbar gemacht werden könnte.
Anmerkung:
[1] Tristan Weddigen (ed.): Unfolding the Textile Medium in Early Modern Art and Literature, Emsdetten / Berlin 2011; Philipp Zitzlsperger (Hg.): Kleidung im Bild. Zur Ikonologie dargestellter Gewandung, Emsdetten / Berlin 2010; David Ganz / Marius Rimmele (Hgg.): Kleider machen Bilder. Vormoderne Strategien vestimentärer Bildsprache, Emsdetten / Berlin 2012.
Julia Saviello