Jörg Peltzer: Der Rang der Pfalzgrafen bei Rhein. Die Gestaltung der politisch-sozialen Ordnung des Reichs im 13. und 14. Jahrhundert (= RANK. Politisch-soziale Ordnungen im mittelalterlichen Europa; Bd. 2), Ostfildern: Thorbecke 2013, 504 S., 29 Farbabb., 12 Stammtafeln, ISBN 978-3-7995-9122-5, EUR 39,00
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Jörg Peltzer (ed.): Rank and Order. The Formation of Aristocratic Elites in Western and Central Europe, 500-1500, Ostfildern: Thorbecke 2015
Rang und Status stellen zentrale, von der Forschung lange Zeit unterschätzte gesellschaftliche Ordnungskategorien und Deutungsmuster dar. [1] Als Analyseinstrument eröffnen sie einen neuartigen Zugang zu einem besseren Verständnis politisch-sozialer Ordnungsgefüge wie des römisch-deutschen Reichs. Jörg Peltzer wendet dieses Konzept in seiner Heidelberger Habilitationsschrift erstmals erfolgreich auf die Reichsfürsten als politische Führungselite des Reichs im Allgemeinen und auf die wittelsbachischen Pfalzgrafen bei Rhein als bedeutende Adelsdynastie und Inhaber zweier Fürstentümer im Besonderen an. Seine Suche nach dem spezifischen Platz der Reichsfürsten im mittelalterlichen Reichsgefüge setzt methodisch bei dem überaus dynamischen Vorgang der Formierung und Visualisierung des fürstlichen Rangs an und zeitigt beachtliche, ja vielfach bahnbrechende neue Erkenntnisse zur Entwicklung der Ordnung im Reich. Durch die gewählte Perspektive des (kur)fürstlichen Rangs, und damit der Sichtweise der Akteure selbst, erhalten die komplexen Ausdifferenzierungsprozesse im spätmittelalterlichen Hochadel des Reichs nunmehr schärfere Konturen als bisher.
Die Pfalzgrafen bei Rhein aus dem Hause Wittelsbach gründeten ihren besonderen Rang und ihre politisch-soziale Präzedenz auf unterschiedliche, vielfach miteinander vernetzte Faktoren und Elemente: auf ihre exponierte Stellung als Reichs- und Kurfürsten, auf bestimmte Ämter und Würden wie das Hof- und Erzamt, das Reichsvikariat und Richteramt über den König, auf ein ausgeprägtes, identitätsstiftendes Selbstverständnis und ein Konnubium von reichsfürstlicher Qualität. Ihr einzigartiger Rang und herausgehobener Status manifestierten sich in je eigenen Formen, Medien, Zeichen und (Handlungs-)Räumen.
Das 1214 vom König verliehene, vornehmste weltliche Reichsfürstentum wies den wittelsbachischen Pfalzgrafen einen führenden Platz in der politisch-sozialen Elite des Reichs zu und beförderte sie zu "personae publicae". [2] In den zeitgenössischen Quellen zu den Stützen, ja Säulen des Reichs gezählt, pflegten sie ein durchgehend enges Verhältnis zum Königtum - ihrem auch territorial unmittelbaren Nachbarn. König und Reich bildeten bis weit ins 15. Jahrhundert Fixpunkt und Referenzrahmen für die Gestaltung der pfalzgräflichen Politik.
Der Besitz der Kurwürde hob den Pfalzgrafen aus dem Kreis der Reichsfürsten heraus. Dieses Vorrecht, den König zu wählen und damit das Reich zu vertreten, besaß eine enorme rangbildende Kraft, wie Peltzer überzeugend darlegt. Aber was legitimierte das Führen einer Kurstimme? Die fehlende schriftliche Begründung dafür formulierte Martin von Troppau († 1278) in seiner Chronik: Er band das kurfürstliche Wahlrecht an die Ausübung eines Hofamtes. Diese neuartige Vorstellung vom Königswähler als einem derart legitimierten Amtsträger stieß auf Akzeptanz und wurde erstmals bei der Königswahl Albrechts I. 1298 in die politische Praxis umgesetzt. Das als Würde ("dignitas") gedeutete Hofamt wuchs sich in der Folge zu einem Ehrenamt ("officium") aus, das seinen Träger in eine herausgehobene, aber keinesfalls königsgleiche Position zwischen dem König und den übrigen Reichsfürsten rückte. Die Goldene Bulle von 1356 sanktionierte die untrennbare Verknüpfung von Kurfürstentum mit Wahlstimme und Erzamt und bestimmte den Pfalzgrafen bei Rhein (und nicht den Herzog von Bayern) zum alleinigen wittelsbachischen Inhaber der Kurwürde. Diese Festlegung machte zugleich alle früheren hausinternen Regelungen der Wittelsbacher (unter anderem im Hausvertrag von Pavia 1329) obsolet, die die Kur als Privileg ihres Hauses und als Gesamtbesitz ihrer Familie verstanden hatten.
Der Pfalzgraf gründete seine verfassungsrechtliche Sonderstellung im spätmittelalterlichen Reichsgefüge sowohl auf elementare, vielfach erprobte Befugnisse und Privilegien - wie das Ladungsrecht zur Neuwahl des Königs, die erste Stimme unter den weltlichen Königswählern und das Recht zur Durchführung der "electio per unum" - als auch auf Ämter und Funktionen wie das Reichsvikariat und das Richteramt über den König. Unter Karl IV. wurden diese Vorrechte einer Prüfung unterzogen und entscheidend verändert. Es gelang dem Pfalzgraf infolge dieser Veränderungen weder, eine dauerhafte Führungsrolle innerhalb des (kurfürstlichen) Wahlkörpers zu behaupten, noch Ämter mit rangfördernder Eigenschaft wie das Reichsvikariat in seiner Hand zu monopolisieren. Die letzten Merkmale einer pfalzgräflichen Sonderstellung bei der Königswahl beseitigte schließlich die Goldene Bulle.
Wie die Pfalzgrafen sich selbst rangmäßig verorteten und öffentlich inszenierten, offenbart ihre Titelführung und illustrieren die dabei benutzten Medien und Zeichensysteme wie Siegel, Wappen und Kleidung. Während sie den Titel eines Erztruchsess erst seit 1338 konsequent führten, wurde der Kurfürstentitel im 14. Jahrhundert noch kein fester Bestandteil der pfalzgräflichen Titulatur. Ihre Selbstbezeichnungen dokumentieren unmissverständlich, dass sie sich primär als Pfalzgrafen und Herzöge von Bayern verstanden. Die Positionierung innerhalb der eigenen Familie (der rheinischen und bayerischen Wittelsbacher) bildete folglich den ersten Referenzpunkt für die Gestaltung der je eigenen Titel und Siegel. "Erst dann folgte die Einordnung gegenüber den anderen Kur- und Reichsfürsten" (276).
Mit dem Konnubium und dem Hoftag rücken abschließend zwei weitere Handlungsfelder in den Fokus, wo sich der pfalzgräfliche Rang repräsentierte und seine Zeichenhaftigkeit visualisiert wurde. Der pfalzgräfliche Rang zeichnete sich vor allem durch den Rang seiner Umgebung aus und manifestierte sich in der Akzeptanz seines jeweiligen politisch-sozialen Umfeldes. Insbesondere in ihrem Heiratsverhalten verliehen die Pfalzgrafen ihrer Sonderstellung demonstrativ Ausdruck und Geltung. Zwischen 1200 und 1400 war der Wunsch nach einer möglichst ranghohen Ehepartnerin für sie handlungsleitend; im Vergleich zu anderen reichsfürstlichen Familien fällt der hohe Anteil königlicher Ehen der Pfalzgrafen ins Auge. Politische Versammlungen wie die Hoftage bildeten das Ranggefüge von König und Fürsten im Reich ab und wirkten massiv auf die Wahrung und Gestaltung des eigenen Rangs ein. [3] Weltliche Kurfürsten wie die Pfalzgrafen steigerten ihren Platz im Ranggefüge durch die Ausübung eines Hof- oder Erzamts, das sie rangmäßig über alle anderen Fürsten des Reiches stellte. Indem sie Herrschaftszeichen wie Schwert, Zepter oder Reichsapfel mit ihren Erzämtern verknüpften, erhoben sie diese zum festen Bestandteil ihrer kurfürstlichen Würde.
Jörg Peltzer hat einen fundamentalen Beitrag zur Ausgestaltung der politisch-sozialen Ordnung des spätmittelalterlichen Reichs und ihrer (kur)fürstlichen Träger vorgelegt, der die bahnbrechende Arbeit Ernst Schuberts von 1979 um einen zentralen Aspekt erweitert und manche ihrer Beobachtungen präzisiert und vertieft. [4] Die Wahl des Rangs als Perspektive und Arbeitsinstrument erweist sich als überaus tragfähiges Konzept mit großem Erkenntnispotential. Seine brillante und auf zahlreiche Archivalien gestützte Darstellung zeigt eindringlich, welche Ämter, Funktionen und Medien den Aufstieg des Pfalzgrafen zu einem der bedeutendsten Repräsentanten des Reichs bedingten und wie dieser sich im Rangwettstreit mit den anderen Reichsfürsten positionierte und zu behaupten suchte.
Peltzers strikte Kontextualisierung der Rangumgebung des Pfalzgrafen und dessen Verortung innerhalb des (kur)fürstlichen Ranggefüges wirken zudem auf die Gruppe der Kurfürsten zurück und verleihen ihr ein neuartiges, geschärftes Profil. Die Kurfürsten formierten sich bereits weit vor der Goldenen Bulle als korporativ strukturiertes Kollegium. Sie durchliefen eine dynamische Entwicklung, die sie von einer besonderen Verantwortung für das Reich im 13. Jahrhundert hin zu einer einzigartigen und umfassenden Repräsentanz des Reichs führte. Aus ihrem gemeinsamen Rang entwickelte sich im 15. Jahrhundert schließlich der neue politische Stand, der Reichsstand - eine der tragenden Säulen des Alten Reiches bis zu dessen Untergang 1803/06.
Anmerkungen:
[1] Auf die zentrale Bedeutung von Rang und Status zum Verständnis der Entwicklung der politisch-sozialen Ordnung im Reich wiesen erstmals nachdrücklich hin Hans-Werner Goetz: Der "rechte" Sitz. Die Symbolik von Rang und Herrschaft im Hohen Mittelalter im Spiegel der Sitzordnung, in: Symbole des Alltags - Alltag der Symbole. Festschrift für Harry Kühnel, hgg. von Gertrud Blaschitz / Helmut Hundsbichler / Gerhard Jaritz / Elisabeth Vavra, Graz 1992, 11-47, und Karl-Heinz Spieß: Rangdenken und Rangstreit im Mittelalter, in: Zeremoniell und Raum. 4. Symposium der Residenzen-Kommission der Akademie der Wissenschaften in Göttingen veranstaltet gemeinsam mit dem Deutschen Historischen Institut Paris und dem Historischen Institut der Universität Potsdam, Potsdam, 25. bis 27. September 1994 (= Residenzenforschung; 6), hg. von Werner Paravicini, Sigmaringen 1997, 39-61.
[2] Jörg Peltzer: "Personae publicae". Zum Verhältnis von fürstlichem Rang, Amt und politischer Öffentlichkeit im Reich im 13. und 14. Jahrhundert, in: Politische Öffentlichkeit im Spätmittelalter (= Vorträge und Forschungen; 75), hgg. von Martin Kintzinger / Bernd Schneidmüller, Ostfildern 2011, 147-182.
[3] Dazu schon Jörg Peltzer: Das Reich ordnen: Wer sitzt wo auf den Hoftagen des 13. und 14. Jahrhunderts?, in: Politische Versammlungen und ihre Rituale. Repräsentationsformen und Entscheidungsprozesse des Reichs und der Kirche im späten Mittelalter (= Mittelalter-Forschungen; 27), hgg. von Jörg Peltzer / Gerald Schwedler / Paul Töbelmann, Ostfildern 2009, 93-111.
[4] Ernst Schubert: König und Reich. Studien zur spätmittelalterlichen Verfassungsgeschichte (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte; 63), Göttingen 1979.
Hubertus Seibert