Rezension über:

Hans-Wolfgang Bergerhausen: Paulus von Worms († 1579). Ein Würzburger Ratsherr, Bürgermeister und Spitalpfleger in seiner Zeit, Würzburg: Echter Verlag 2021, 334 S., 2 s/w-Abb., ISBN 978-3-429-05565-3, EUR 19,90
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Rezension von:
Rainer Leng
Institut für Germanistik, Karlsruher Institut für Technologie
Redaktionelle Betreuung:
Bettina Braun
Empfohlene Zitierweise:
Rainer Leng: Rezension von: Hans-Wolfgang Bergerhausen: Paulus von Worms († 1579). Ein Würzburger Ratsherr, Bürgermeister und Spitalpfleger in seiner Zeit, Würzburg: Echter Verlag 2021, in: sehepunkte 21 (2021), Nr. 6 [15.06.2021], URL: https://www.sehepunkte.de
/2021/06/35379.html


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Hans-Wolfgang Bergerhausen: Paulus von Worms († 1579)

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In Würzburg trafen im Jahr 2017 zwei Jubiläen aufeinander: 500 Jahre Reformation und der 400. Todestag des Würzburger Fürstbischofs Julius Echter von Mespelbrunn (reg. 1573-1617). Das Doppelgedenkjahr wurde mit mehreren Ausstellungen und Tagungen begangen. [1] An den meisten der daraus hervorgegangenen Publikationen war Hans-Wolfgang Bergerhausen beteiligt. Sie betrafen ein Feld, in dem auch die Biographie des Ratsherrn, Bürgermeisters und Spitalpflegers Paulus von Worms angesiedelt ist: Das spannungsreiche Verhältnis von bürgerlichem Protestantismus und katholischer Bischofsstadt, von frühabsolutistischem Zentralismus und kommunaler Autonomie, von konfessioneller Praxis und Agieren der geistlichen und bürgerlichen Funktionseliten in der alltäglichen politischen Kommunikation.

Bergerhausen eröffnet seine Biographie mit einem Schlaglicht: den letzten Stunden im Leben des Paulus von Worms und der minutiös dokumentierten Niederlegung seines Testaments. Diesen exemplarischen Beleg eines winzigen Ausschnitts der archivalisch überaus dichten Überlieferung kontrastiert die folgende Klage über einen ebenso markanten Mangel an Ego-Dokumenten, die Einblicke in individuellere Innenperspektiven verbieten. So bleibt als Ziel der Studie die biographische Mikroperspektive mit kontextualisierter Einbettung in Netzwerke, Klientelverhältnisse, Geschäftsbeziehungen und Lebensschicksale unter den Auspizien einer immer rigoroseren Konfessionalisierung (15-21).

Der lange Rückblick über Herkunft und Elternhaus scheint zunächst ein wenig vom Gegenstand wegzuführen, erweist sich jedoch als treffende Einführung in familiäre und politische Netzwerke und Hinführung zu den Aufgaben der kommunalen Verwaltung im Spannungsfeld von Bischofsherrschaft und Ratsautonomie. Die sorgsam vor allem aus städtischen Akten der Steuerverwaltung rekonstruierten Vermögensverhältnisse zeigen Paulus von Worms als einen der reichsten Bürger der Stadt, der mit zunehmendem Alter sein im überregionalen Wein- und Einzelhandel erworbenes Vermögen verstärkt in Immobilienbesitz investierte. Parallel vollzog sich sein Aufstieg vom Ratsherrn zum Bürgermeister. Das Kapitel vermittelt en passant detaillierte Einblicke in Funktionsweisen und Arbeitsfelder der städtischen Verwaltung. Paulus von Worms erscheint dabei als Exponent einer bürgerlichen Elite (116 f.), die sich über konfessionelle Grenzen einig war im Bestreben, landesherrliche Eingriffe in kommunale Autonomie nach Möglichkeit abzuwenden. Seine Mitverantwortung für die antijüdische Politik des Rates benennt Bergerhausen deutlich (125).

Ob man sich allerdings seinem Fazit anschließen muss, Paulus von Worms sei am Ende nur als "Gelegenheitspolitiker" ohne bleibende Wirkung (138) einzustufen, wäre noch zu diskutieren. Immerhin setzte die landesherrliche Kontrolle des Rates seinem Wirken sehr enge Grenzen. Eine zu offensive Autonomiepolitik wurde in Würzburg seit der Schlacht von Bergtheim (1400) und zuletzt noch einmal nach dem Bauernkrieg (1525) durch die Fürstbischöfe mitunter blutig unterbunden. Insofern mag Paulus von Worms als sehr typischer Vertreter einer langfristig angelegten Ratspolitik gelten. Sie musste sich auf kontinuierliche Wahrung, Stabilisierung und Erweiterung von Kompetenzfeldern des Rates richten, dabei aber stets unterhalb einer Aufmerksamkeitsschwelle bleiben, die den Argwohn des Fürstbischofs weckte.

Mit der Etablierung im Rat war üblicherweise auch die Übernahme von weiteren Ämtern verbunden. Paulus von Worms wurde 1561 zum Spitalpfleger ernannt und erhielt somit die Aufsicht über das städtische Bürgerspital zum Heiligen Geist, einem der zentralen Instrumente kommunaler Sozialpolitik. Im Unterschied zu den ansonsten häufig wechselnden Pflegern übte Paulus von Worms das Amt bis zu seinem Tod 1579 aus. Trotz ungewöhnlich langer Amtszeit und einer im Würzburger Stadtarchiv aufbewahrten umfangreichen Aktenüberlieferung bleibt sein Wirken hier leider eher blass. Das lange Kapitel (139-217) präsentiert sich mehr als detailreiche Wirtschafts-, Sozial- und Alltagsgeschichte einer bürgerlichen Stiftung, in der Paulus von Worms nur noch randständig auftritt und eher Verwalter als Gestalter zu sein scheint.

Das letzte Kapitel "Der Stifter" (219-293) knüpft an die Eingangsszene an. Rückblicke widmen sich der Frage, ob Paulus von Worms Protestant gewesen sei. Bergerhausen beantwortet die Frage anhand tragfähiger Argumente positiv, ohne allerdings einem Kryptoprotestantismus das Wort zu reden. Zwar drängte sich konfessionell motivierte Politik zunehmend in den Vordergrund, und in seinen letzten Amtsjahren seit 1573 war Paulus von Worms mit einem Fürstbischof konfrontiert, der die Protestanten rigoros vertreiben sollte. Akut wurde der offene konfessionelle Konflikt jedoch erst Jahre nach Paulus' Tod. Bis dahin überwog die bürgerliche Solidarität noch konfessionelle Differenzen. Eine heterogene konfessionelle Praxis dürfte auch für einen Protestanten innerhalb der katholischen Bischofsstadt an der Tagesordnung gewesen sein, schon wegen gemischtkonfessioneller Familien-, Klientel- und Geschäftsverbindungen.

Das letzte Kapitel beinhaltet eine Reihe von Ausblicken, die sich an die Frage nach Absicht und Umsetzung einer testamentarisch verfügten Stiftung knüpfen. Neben den Begehrlichkeiten der Verwandtschaft bei der mit elf Jahren extrem langwierigen Vollstreckung des Testaments (243) stechen hier mehrere andere Punkte ins Auge. Entgegen der Verfügung, die Hauptmasse des gewaltigen Vermögens in eine Stiftung einzubringen, sorgte der Druck des Rates dafür, eine größere Summe für den Neubau des im Markgräfler Krieg (1552-1554) schwer beschädigten städtischen Bürgerspitals abzuzweigen. Der Erblasser selbst hatte dem Spital trotz langjähriger Pflegschaft eigentlich nur ein kleines Legat reserviert. Auf Druck Julius Echters mussten die Testamentsvollstrecker auch einen erheblichen Beitrag zu dessen landesherrlichem sozial-caritativen Leuchtturmprojekt leisten, dem bis heute bestehenden Julius-Spital. Die mit den Vermögensresten ausgestattete und bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts existierende Paulus-von-Worms-Stiftung trat gegenüber den beiden konkurrierenden Einrichtungen deutlich in den Hintergrund. Dass der Stifter Legate an Arme nicht an ein Gebetsgedenken knüpfte, deutet Bergerhausen als Hinweis auf dessen konfessionelle Einstellung. Die Unterstellung unter den Rat belegt ihre kommunalpolitische Ausrichtung als geplantes Gegengewicht zur fürstbischöflichen Sozialpolitik. Etwas mehr Aufmerksamkeit hätte vielleicht der Verzicht der Stiftung auf die im protestantischen Sozialwesen vorherrschenden sozialdisziplinierenden Aspekte bei der Armenversorgung verdient. Zeigt sich darin ein eben doch nicht rein protestantischer Stifterwille oder schlugen eher die Traditionen eines katholischen Umfeldes zu Buche?

Bergerhausen legt mit dieser Biographie ein Buch vor, das seinen Wert nicht von der Strahlkraft seines Protagonisten gewinnt. Paulus von Worms bleibt als Individuum blass, eine Eigenschaft, die er jedoch mit dem weitaus bedeutenderen Fürstbischof Julius Echter teilt. Auch zu ihm fehlen alle individuellen Zugänge, während das Regierungshandeln in Überfülle dokumentiert ist. Der Wert des Buches liegt vielmehr in seiner repräsentativen Aussagekraft als Mikrostudie. Mit exzellenter Kenntnis der umfangreichen archivalischen Überlieferung [2] und auf der Höhe der konfessionsgeschichtlichen Diskussion gewährt er tiefe Einblicke in den politischen Alltag des konfessionellen Zeitalters. Paulus von Worms mag dabei nur lokalgeschichtlich bedeutsam sein. Als typischem Akteur aus den hinteren Reihen der Funktionseliten verdient er jedoch exemplarisch überregionale Aufmerksamkeit. Diese mag man auch seiner Biographie wünschen.


Anmerkungen:

[1] In Auswahl: Julius Echter 1573-1617. Der Umstrittene Fürstbischof. Eine Ausstellung nach 400 Jahren. Katalog zur Ausstellung vom 23. Juni-bis 17. September 2017 im Museum am Dom Würzburg, hgg. von Rainer Leng, Wolfgang Schneider und Stefanie Weidmann (Quellen und Forschungen zur Geschichte des Bistums und Hochstifts Würzburg; Sonderveröffentlichung), Würzburg 2017; Julius Echter. Patron der Künste. Konturen eines Fürsten und Bischofs der Renaissance, hgg. von Damian Dombrowski und Markus Maier unter Mitarbeit von Fabian Müller, Berlin 2017; Hans-Wolfgang Bergerhausen, Protestantisches Leben in Würzburg während des 16. Jahrhunderts. Eine Annäherung, Begleitband zur Ausstellung des Stadtarchivs, hg. vom Stadtarchiv Würzburg (= Sonderveröffentlichungen des Stadtarchivs Würzburg; 10), Würzburg 2017; Fürstbischof Julius Echter: verehrt, verflucht, verkannt. Aspekte seines Lebens und Wirkens anlässlich des 400. Todestages, hg. von Wolfgang Weiß (Quellen und Forschungen zur Geschichte des Bistums und Hochstifts Würzburg; 75), Würzburg 2017; Landesherrschaft und Konfession - Fürstbischof Julius Echter (reg. 1573-1617) und seine Zeit, hg. von Wolfgang Weiß (Quellen und Forschungen zur Geschichte des Bistums und Hochstifts Würzburg; 76), Würzburg 2018.

[2] Dem Autor kamen deutlich sichtbar seine Erfahrungen aus früheren Quellenpublikationen zugute: Würzburger Ratsprotokolle der Riemenschneiderzeit, Teil 1: 1504-1513, bearbeitet von Uwe Schreiber und Renate Schindler unter Mitwirkung von Hans-Wolfgang Bergerhausen (Fontes Herbipolenses; 10), hg. vom Stadtarchiv Würzburg, Würzburg 2020; Hans-Wolfgang Bergerhausen (Hg.): Quellen zur Geschichte des Bürgerspitals Würzburg 1500-1650 (Fontes Herbipolenses; 8), Würzburg 2014, siehe dazu sehepunkte 15 (2015), Nr. 9.

Rainer Leng