Felix Thürlemann: Mehr als ein Bild. Für eine Kunstgeschichte des hyperimage (= Bild und Text), München: Wilhelm Fink 2013, 224 S., zahlr. Abb., ISBN 978-3-7705-5606-9, EUR 34,90
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Dass die Rhetorik der Kunstgeschichte auch modischen Konjunkturen unterlegen ist, vergisst man gern, wird aber bei der ersten Begegnung mit zunächst absonderlich erscheinenden Begriffen dann doch immer wieder daran erinnert. In Anlehnung an die Literaturwissenschaft und die Informationstechnologie hat Felix Thürlemann in den letzten Jahren mit dem Begriff des "hyperimage" ein solches Wortungetüm eingeführt, dass auf ein gleichwohl bekanntes, zuvor aber kaum systematisch untersuchtes Phänomen der Kunstgeschichte hinweist. In seiner gut gegliederten Monografie "Mehr als ein Bild" hat er nun eine Grundlage für die Untersuchung gelegt, in der es nicht um das singuläre Meisterwerk, sondern um das "hyperimage" als "eine kalkulierte Zusammenstellung von ausgewählten Bildobjekten - Gemälden, Zeichnungen, Fotografien und Skulpturen - zu einer neuen, übergreifenden Einheit" (7) geht.
Bereits in seiner Einleitung betont Thürlemann, dass es sich hierbei um historisch wandelbare Konstellationen handelt und damit auch die jeweiligen Einzelobjekte eine neue Deutung erfahren (9). Der Aufbau des Buches, das sich auf den Zeitraum vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart konzentriert, orientiert sich an den Verantwortlichen dieser jeweiligen Zusammenstellungen: den Sammlern, den Kunsthistorikern und den Künstlern. Unter diesem Horizont präsentiert Thürlemann sodann jeweils drei mehr oder weniger exemplarische Fallstudien. Dabei reflektiert er sogleich den begrenzten Anspruch seines Unterfangens, das nicht behauptet ein neues Feld der Kunstgeschichtsschreibung erfunden zu haben, vor allem nicht das gesamte definierte historische Feld abdecken kann (22) und auch an verwandte, von ihm mitinitiierte neuere Studien anknüpft. [1] Im Anschluss an seine vorsichtigen methodischen Überlegungen wird deutlich, dass man Thürlemanns Perspektive (weniger modisch) auch als diejenige einer historischen Rezeptionsforschung beschreiben kann, die das Einzelwerk nun erstmals als Bestandteil eines mehrteiligen Zusammenhangs in den Mittelpunkt des Interesses rückt.
Dass die von Thürlemann vorgeschlagene Systematik einer Trennung von Sammler, Kunsthistoriker und Künstler freilich nicht in jedem Fall haltbar ist, verdeutlicht der erste Beitrag zum Kapitel "Ordnungen der Sammler" eher unfreiwillig. Im Mittelpunkt steht das um 1620 entstandene Gemälde "Der Triumph der Malerei" von Frans Francken d.J., das - wie Thürlemann selbst konzediert (31) - keine Darstellung der Hängung des Sammlers Abraham Ortelius ist, sondern einen raffinierten visuellen Diskurs über die sich eben zu jener Zeit durchsetzende Wandlung der Sammlungspräsentation vorführt. Der Sammler ist mithin Gegenstand der Reflexion eines Künstlers. Insofern könnte man die Zuordnung zu der unausgesprochen historisch definierten Kategorie des Sammlers als Produzenten des "hyperimages" in Frage stellen. Etwas anders verhält es sich bei der folgenden Studie zu Vivant Denons Präsentation in der Grande Galerie 1802 (47-60) und auch bei der historisch nahe liegenden Analyse der um 1820 erfolgten Zusammenstellung des Frankfurter Sammlers Johann Valentin Prehn (63-73), die beide auch dokumentarisch und nicht (nur) auf einer ästhetisch gebrochenen Ebene überliefert sind. Wie dem auch sei: In jedem Fall handelt es sich um eindrucksvolle kunsthistorische Beiträge zur Präsentationsform von Bildern, die Thürlemann in überzeugender Manier vorführt.
Das zweite Kapitel eröffnet den Schritt ins 20. Jahrhundert und widmet sich den Kunsthistorikern als Konstrukteuren von "hyperimages" (75-130). Es überrascht kaum, dass Heinrich Wölfflins "Kunstgeschichtliche Grundbegriffe", Aby Warburg sowie André Malraux' "Musée imaginaire" hier in den Blick gerückt werden. Im Einzelfall wird der jeweilige Experte hier kaum neue Erkenntnisse gewinnen, dennoch lesen sich auch diese kurzen Studien im Kontext einer formierenden Wahrnehmungsgeschichte des Faches mit Gewinn. Und zweifellos wird der Leser dazu provoziert, über die historischen Veränderungen und die Folgen für seine Gegenwart nachzudenken - eine Zeit, welche gut 60 Jahre nach Malraux nicht nur in der universitären Lehre gänzlich andere Voraussetzungen für die Erzeugung von "hyperimages" bereit stellt und damit auch das Verständnis von Kunst präformiert.
Thürlemann folgt dieser Fragestellung (aus gutem Grund) nicht und konzentriert sich in seinem abschließenden Kapitel auf die Künstler als Produzenten von "hyperimages" - mittlerweile ist man es (alternativ) wohl eher gewöhnt von "Metadiskursen" zu sprechen. Hier interessieren ihn nur solche Fälle, in denen "die Elemente einer Werkgruppe zu Lebzeiten des Künstlers auch einzeln oder in anderen Kontexten präsentiert worden sind" (129). Dankbare Beispiele liefern Thürlemann die eigenen Atelierfotografien von Pablo Picasso, die zu einer ebenso komplexen wie überraschenden neuen Deutung des Verhältnisses von Kunst und Musik am Beispiel des Themas der Gitarre führen (133-145). Im Sinne einer systematischen Geschichte des "hyperimages" weniger überzeugend ist dagegen die Analyse der Atelierhängung von Pierre Bonnard, die Thürlemann anhand von unterschiedlichen Fotografien von Henri Cartier-Bressons und Brassaï vornimmt (147-158). So schlüssig und clever seine hermeneutisch geschulten Ausführungen dabei auch sind, so vergisst Thürlemann doch, dass das scheinbar programmatische Bildarrangement von Bonnard hier im Unterschied zu allen anderen Formen des "hyperimages" nicht wirklich für die Öffentlichkeit konzipiert wurde. Genau dies unterscheidet sich entscheidend von der letzten Fallstudie zur Konzeption des Buches "if one thing matters, everything matters" von Wolfgang Tillmans, mit der Thürlemann sich wieder in überzeugender Manier mit einem gleichwohl großen historischen Schritt einem Künstler der Gegenwart zuwendet.
Nach der Lektüre von Thürlemanns Buch mit dem etwas dick aufgetragenen, da überflüssig programmatisch vorgetragenen Untertitel "Für eine Kunstgeschichte des hyperimages" ist die Fruchtbarkeit dieser Variante der Rezeptionsforschung wohl nicht mehr von der Hand zu weisen. Seine stets überzeugenden Einzel-Studien erschöpfen sich dabei keineswegs in der von ihm proklamierten Einsicht der Kunstgeschichte als einem "kontinuierlichen Prozess der Neuordnung tradierter und jeweils neu geschaffenen Bilder" (8). Ob es damit jedoch die Fach-Diskussion über die modische Begrifflichkeit hinaus auch in methodischer Hinsicht erweitert, darf man allerdings bezweifeln.
Anmerkung:
[1] Vgl. Carsten Juwig: Rezension von: David Ganz / Felix Thürlemann (Hgg.): Das Bild im Plural. Mehrteilige Bildformen zwischen Mittelalter und Gegenwart, Berlin 2010, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 7/8 [15.07.2011], URL: http://www.sehepunkte.de/2011/07/19003.html.
Stefan Gronert